#68 Maturazeugnisverleihung

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POV Lexi Falkner

Ich war nervös. Obwohl ich schon die beiden mündlichen Prüfungen in Deutsch und Psychologie hinter mir hatte, käme jetzt gleich Italienisch. Heute war der letzte Tag der Matura und somit auch der Tag der Maturantenverabschiedung mit der feierlichen Zeugnisverleihung. Ich hatte das Glück oder Pech, wie man es auch sehen wollte, als allerletzte dranzukommen. Tina war bereits fertig, da sie mündlich nicht in Italienisch sondern stattdessen in Biologie maturiert hatte. So kam es auch, dass ich nun ganz alleine im Nebenraum wartete, bis mich jemand aus der Prüfungskommission holen kommen würde, um mir meine letzte Prüfung abzunehmen. Ich dachte an Lucrezia und daran, ob sie wohl stolz auf mich wäre, wenn sie mich dort drinnen gleich ihre Muttersprache sprechen hören würde, wurde aber zum Glück von der sich öffnenden Tür aus meinen Gedanken gerissen, noch bevor ich trübselig werden konnte. Frau Fradler stand vor mir und bat mich, ihr zu folgen.

Ich begrüßte die sieben Kommissionsmitglieder, darunter meine neue Italienischlehrerin Frau Feller, zog dann zwei Themenpools, wobei ich mich für das Thema „Wohnen und Umgebung" entschied und nahm anschließend im Vorbereitungsraum Platz. Ich hätte jetzt zehn Minuten, um mir Notizen für den Monolog und den Dialog zu machen, anschließend würde ich mich auf den vorbestimmten Platz setzen und meine letzte Reifeprüfung ablegen. Meine Nervosität hielt sich mittlerweile in Grenzen, da ich wusste, was ich konnte. Ich hatte ein tolles Thema erwischt und machte mich sogleich an die Arbeit.

Bevor ich dann aufstand und nach vorne trat, um mich meinem Schicksal zu stellen, fasste ich mir nochmal an meine beiden Ohrläppchen. Ich trug die Ohrringe von Lucrezia, in der Hoffnung, sie würden mir Glück bringen. „Damit ich dir nahe sein kann, auch wenn es nicht geht", rief ich mir ihre Worte sinngemäß in Erinnerung, dann stand ich voller Zuversicht auf und marschierte an den kleinen Tisch. Ich konnte es nicht leugnen, Lucy nicht mehr in meinem Leben zu haben, tat weh. Aber das Leben ging weiter. Auch ohne sie.

„Herzlichen Dank, Sie können nun draußen warten. Wir holen Sie in etwa fünf Minuten alle herein zur Notenvergabe", mit diesen Worten wurde ich aus dem Raum entlassen. Ich atmete tief durch. Es war vollbracht. Jetzt hing es nicht mehr von mir ab, wie das alles endete.

Die fünf Minuten zogen sich schier endlos hin, als endlich die Tür aufschwang und vier weitere Leute aus meinem Jahrgang und ich wieder in die Klasse gebeten wurden, in der die Prüfung stattgefunden hatte. Wir stellten uns nebeneinander auf und der Vorsitzende und unsere Direktorin verkündeten nach und nach unsere Noten. Nicht nur jene von heute, sie verlasen auch die der schriftlichen Matura und der Prüfungen der letzten Tage. Ich war wirklich gespannt, konnte nicht einschätzen, was da jetzt auf mich zukäme, doch ich hatte nach jeder Prüfung ein gutes Gefühl gehabt, an das ich mich jetzt auch klammerte, um nicht unsicher zu wirken.

„Frau Alexandra Falkner, zu guter Letzt nun zu Ihnen: Gratulation, Sie haben als Jahrgangsbeste die Matura absolviert. Schriftliche Prüfungen: Deutsch – Sehr Gut, Mathematik – Gut, Italienisch – Sehr Gut. Mündliche Prüfungen: Deutsch – Sehr Gut, Psychologie und Philosophie – Sehr Gut, Italienisch – Sehr Gut! Wir sind sehr stolz auf Sie!" Ich konnte mein Glück kaum fassen! Das war ein Ausgezeichneter Erfolg! Damit hatte ich im Leben nicht mehr gerechnet! Meine Direktorin trat auf mich zu, als sie allen anderen schon die Hand geschüttelt hatte und flüsterte mir ins Ohr: „Und Sie dachten, Sie schaffen das nicht... Ich bin sehr froh, dass Sie nicht aufgehört haben. Sie waren eine Bereicherung für diese Schule." Meine Augen wurden feucht, da mich ihre Worte so sehr rührten, doch ich blinzelte die Tränen schnell weg und lächelte sie dankbar an. Das musste ich dann gleich Tina erzählen, die hatte ihre Noten gestern schon bekommen und einen Guten Erfolg erreicht, was sie mehr als zufrieden gestimmt hatte. Ich verabschiedete mich, wie die anderen meiner ehemaligen Klasse auch, bei der Kommission und verließ glücklich den Raum. Ich wollte mich mit Tina und Tobi neben der Bibliothek bei der Couch treffen, da wir gleich hierbleiben würden, bis heute Abend die Maturantenverabschiedung begann. Heimfahren zahlte sich beim besten Willen nicht mehr aus. Als ich den beiden von meinen Noten erzählte, fielen sie mir nacheinander in die Arme und gratulierten mir, was mich noch stolzer und glücklicher machte als die Worte der Direktorin. Sie freuten sich für mich, obwohl sie ein wenig schlechter abgeschnitten hatten. Da war kein Neid. Keine Missgunst. Bloß pure Erleichterung und geteilte Freunde. Womit hatte ich diese Freundschaft nur verdient...

Wir alle saßen im Turnsaal der Schule. Meine Mutter und Gerald hatte ich bereits begrüßt. Sie waren beide ebenfalls unglaublich stolz auf mich und ich war froh, dass ich ihnen nie etwas von dem Schulabbruchplan erzählt hatte. Es war mir im Nachhinein wirklich peinlich.

Da die Zeremonie langsam beginnen würde, fanden wir Maturantinnen und Maturanten uns nun wieder auf unseren Plätzen in der ersten Reihe ein. Ich schaute mich um und erkannte etliche Lehrpersonen, die gekommen waren, um mit uns zu feiern, aber auch unglaublich viele Eltern und Verwandte. Es herrschte eine besondere Stimmung, die ich nicht genauer zu beschreiben wusste. Jeder, der heute hier saß, hatte die Matura in der Tasche. Natürlich gab es Leute, die die Prüfungen noch nicht geschafft hatten und darum im Herbst beim Nebentermin nochmal antreten würden, die waren heute aber auch nicht hier.

„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Eltern, Verwandte, Freunde, liebe Maturantinnen und Maturanten...", begann Frau Weinberg nun ihre Rede und das Gemurmel verstummte. Sie erzählte Anekdoten von den Prüfungen und den Vorbereitungsstunden, die viele zum Schmunzeln brachten, lobte uns und bedankte sich bei uns, dass wir diese Schule gewählt hatten. Dann begann sie, uns einzeln aufzurufen, um uns unser Zeugnis in die Hand zu drücken. Zuerst war unsere Parallelklasse dran, was mich immer aufgeregter machte, ich konnte es kaum erwarten, dieses Zertifikat endlich in den Händen zu halten. Als Tobi dann aufgerufen wurde, wusste ich, dass ich ebenfalls bald dran wäre, da ich im Alphabet nicht weit hinter ihm kam. Nach weiteren zwei Jungs aus meiner Klasse sprach die Direktorin dann endlich meinen Namen: „Frau Alexandra Falkner." Ich stand auf, streifte mein elegantes, bodenlanges, hellblaues Kleid glatt und trat dann lächelnd auf sie zu. „Sie haben mit Ausgezeichnetem Erfolg Ihre Reifeprüfung bestanden, herzliche Gratulation!" Sie schüttelte mir die Hand, reichte mir den Umschlag mit dem Schullogo darauf und verwies mich dann weiter auf den Rest der Kommission, die mir auch alle noch gratulierten. Bevor ich mich wieder setzte, wagte ich noch einen Blick in die Menge, mit dem Ziel, diesen Moment tief in mir aufzusaugen, um ihn für immer in meinem Gedächtnis abzuspeichern, als meine Augen plötzlich an etwas hängenblieben. An jemandem hängenblieben, den ich hier nie erwartet hätte - in der vorletzten Reihe saß doch wirklich Lucrezia Villani! Was machte die denn hier?! Sie war ebenfalls festlich gekleidet, trug einen schwarzen Hosenanzug und Kreolen in ihren Ohren. Mehr konnte ich aus der Ferne jedoch nicht erkennen. Ihr Blick traf nun direkt auf meinen und eine Weile musste ich wie versteinert dagestanden haben, denn sie deutete mir mit einer knappen Kopfbewegung an, die provisorisch aufgebaute Bühne wieder zu verlassen. Das erst holte mich in die Realität zurück und mit einem entschuldigenden Blick zur Direktorin schritt ich wieder zurück zu meinem Platz. Jedoch nun eher auf wackeligen Beinen. Auch Tina schien aufgefallen zu sein, dass ich mich viel zu lange vorne draußen aufgehalten hatte, denn sie taxierte mich nun mit einem fragenden Gesichtsausdruck. Ich antwortete nur flüsternd: „Sie ist hier." Für mehr Erklärung reichte die Zeit nicht, denn schon wurde auch meine beste Freundin gebeten, auf die Bühne zu kommen. Sie erhob sich mit einem verwirrten Blick, schien dann aber verstanden zu haben, denn sie schaute mich vielsagend an, nachdem sie ihr Zeugnis erhalten hatte. Als sie wieder neben mir Platz nahm, raunte sie mir ins Ohr: „Ich habe keine Ahnung, was die hier will, aber bitte, Lexi, egal wie dieser Abend heute endet, bleib vernünftig und mach nichts Dummes. Hab stets im Hinterkopf, wie sehr sie dich verletzt hat, ja? Das kann sie nicht wiedergutmachen..." Ich presste meine Lippen aufeinander und senkte meinen Blick. Dann nickte ich knapp, wobei ich darüber nachdachte, ob sie denn wirklich wegen mir hier sein könnte. Sie würde mich kaum zurückwollen, dazu war es wohl zu spät. Sie hatte sicher einen besseren Grund für ihr Erscheinen und ich sollte nicht immer gleich annehmen, dass sich alles um mich drehte. Das war echt egozentrisch, so war ich normal nicht und so wollte ich auch nicht sein. Ich würde sie einfach ignorieren.

Und trotzdem sagte mir irgendetwas, dass der Abend heute noch spannend werden würde...

In you I found remedyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt