#8 Wo bist du?

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POV Lucrezia Villani

Ich trank gerade einen weiteren Schluck von meinem Whiskey, da erkannte ich, dass Lexi nicht mehr bei ihren Freunden war. Wo war sie nur hin verschwunden? Die hatten doch gerade alle gemeinsam noch ausgelassen gefeiert? Fuck, ich sollte mich einfach aus ihrem Leben raushalten! Ich meine, sie war meine Schülerin, es stand mir nicht nur nicht zu, mich für sie zu interessieren, es war eigentlich moralisch total verwerflich! Und nur weil ich jetzt betrunken war und in diesem Zustand meine Gedanken nicht abstellen konnte, hieß das noch lange nicht, dass ich das nicht trotzdem versuchen sollte. „Hey cara mia, tutto bene? Du siehst irgendwie echt fertig aus", lachte meine Schwester nun. „Haha, sehr witzig. Ich bin betrunken", gab ich erst emotionslos zurück, lachte dann aber ebenfalls, warum auch immer. „Das merke ich, du solltest den Whiskey vielleicht zur Seite stellen und dir ein Glas Wasser holen...", schlug sie vor, doch nachdem ich sie einfach ignorierte, gab sie ihre Versuche irgendwann auf. Ich war alt genug, zu wissen, wann ich aufhören sollte und ich war auch alt genug, um diese Grenze bewusst zu überschreiten. Es war sowieso mein Problem, wenn ich morgen mit unglaublichen Kopfschmerzen aufwachen würde. Und ohne weiter darüber zu grübeln, richtete ich meinen Blick wieder auf das Geschehen unter dem Kirschbaum.

Tina wandte sich gerade von Tobi ab und... kam direkt auf Ludo, Jan und mich zu! Was wollte sie denn bitte? „Hallo, sorry, dass ich euch unterbreche, aber habt ihr Lexi gesehen? Sie wollte eigentlich nur aufs Klo gehen und ist jetzt sicher schon zwanzig Minuten weg..." Ich erschauderte. „Zwanzig Minuten?! Und ihr sucht erst jetzt nach ihr?! Ist euch eigentlich bewusst, was in zwanzig Minuten alles passieren kann?!", fragte ich ehrlich aufgebracht, ohne eine Ahnung zu haben, warum mich diese Information gerade so traf. Auch Tina schien ein wenig überfordert von meiner plötzlichen Aussage. „Ähm... Schon, aber wir haben irgendwie verpasst, dass sie nicht zurückgekommen ist, wir haben uns vorhin mit ein paar Leuten da drüben gut unterhalten", rechtfertigte sie sich, doch mich regte das nur weiter auf. „Tolle Freundin", schnaubte ich, dann stapfte ich davon. Irgendjemand musste sie doch suchen gehen, oder?

„Lexi? Bist du hier?", ich rief nun schon zum sicher zehnten Mal, doch nirgendwo war auch nur eine Spur von ihr. Ich hatte das Grundstück bereits verlassen und steuerte gerade auf den Bach zu, der aufgrund des Regens heute Nachmittag gar nicht wenig Wasser führte. Also wenn sie da hineingestürzt war, war sie nun vermutlich bereits ertrunken, so alkoholisiert, wie sie vorhin noch gewesen war.

„Lexi?", rief ich erneut, doch das Rauschen des Gewässers übertönte meine Stimme. Vielleicht war sie auch einfach nach Hause gegangen? Und ich suchte sie hier wie eine Irre... Warum tat ich mir das überhaupt an? Sie sollte mir doch eigentlich egal sein. Aber wenn ihr etwas passiert war und ich das wissentlich ignoriert hätte, dann würde ich mir das vermutlich niemals verzeihen, so viel Menschlichkeit besaß selbst ich.

„Dein scheiß Ernst?! Nimm deine ekelhaften Finger von mir!", vernahm ich plötzlich eine gedämpfte aber sehr deutliche Frauenstimme aus der Ferne. Es kam vom Waldrand. Sofort und ohne über mein Handeln nachzudenken, schnellte ich in die Richtung, aus der die Stimmen kamen und meinte noch zu erkennen, wie jemandem eine geklatscht wurde. „Au verdammt! Lass mich!" „Du machst jetzt, was ich sage, oder du wirst es bereuen! Gib diese Spielchen doch auf, du kannst dich mit deiner zarten Statur doch sowieso nicht wehren!" Ich wusste sofort, was da passierte und ich hatte die Stimme nun auch als Lexis identifiziert. Gut, wer sollte hier draußen sonst schon rumstreunen... Umgehend rannte ich los und sprintete das Stück in den Wald hinein, bis ich auch schon sah, was ich befürchtet hatte: Ein Mann Mitte 20 drückte meine Schülerin gegen einen Baum und versuchte, es sich an ihrer Hose zu schaffen zu machen. „Gib doch endlich auf, wenn du dich nicht wehrst, gefällt es uns womöglich beiden!" Mich ekelte diese Aussage an. Wer dachte er, wer er war? „Ich steh nicht mal auf Männer, du Schwein!", startete Lexi nun wieder den verzweifelten Versuch, sich aus seinem Griff zu befreien. „Du hast nur noch nicht den passenden Mann gehabt, du brauchst mal einen richtigen Schwanz!" Jetzt reichte es mir. Ich hasste dieses Mädchen zwar, doch hasste ich diesen Typen gerade viel mehr. Es war mir durchaus bewusst, dass Männer von diesen Stereotypen gegenüber lesbischer Frauen überzeugt waren und doch brachte mich dieser hier vor Wut zum Kochen. „Hey du Vollpfosten! Lass sofort von meiner Freundin ab, oder ich rufe die Polizei!" Na das war ja einfacher, als erwartet. Er sprang erschrocken zurück und blickte mich angsterfüllt an. „Ich... äh... Ich wollte nicht..." Ich rollte die Augen: „Wow, zuerst große Töne spucken und dann plötzlich Mami herbeiwünschen? Du bist ja ein ganz ein Cooler." Er machte auf der Stelle kehrt und rannte davon, Lexi blickte mich nur schockiert an und ließ sich dann den Baumstamm entlang zu Boden sinken. Sie sagte kein Wort, war wie erstarrt, erst als ich auf sie zukam, hob sie den Kopf und murmelte kleinlaut: „Wie viel haben Sie mitbekommen?" War es gerade ihre einzige Sorge, ob ich ihr Outing gehört hatte? „Alles denke ich, nachdem zum Glück ja noch nicht viel passiert ist...", entgegnete ich, doch sie senkte nur den Kopf. Warum war sie plötzlich so verletzlich? So kannte ich sie gar nicht. „Hey, ich weiß, dass du auf Frauen stehst, wenn es das ist, was dich bedrückt", sie riss ihren Kopf herum und starrte mich angsterfüllt an, „du hast das doch schon in deinem Aufsatz beim Nachsitzen geschrieben." Das schien sie wohl vergessen gehabt zu haben, denn sie wirkte nun wie ein geschlagener Hund. „Und... wie finden Sie das?" Ich musterte sie kurz. Was wollte sie denn hören? „Wie soll ich das schon finden? Es gibt viele, die so fühlen wie du." Das schien sie irgendwie zu beruhigen, doch dann richtete sie sich plötzlich auf und machte Anstalten, wieder zu gehen. Jap, sie war wirklich verdammt betrunken. Wäre ich nicht aufgetaucht, hätte der Typ sie wahrscheinlich echt vergewaltigt, blöde Sprüche zogen nämlich irgendwann nicht mehr als Abwehr. Doch selbst diese schienen ihr nun ausgegangen zu sein, denn sie war irgendwie viel ruhiger, ja fast schon resigniert! „Ich gehe jetzt nach Hause, danke für die Unterstützung", meinte sie und dann wankte sie schon Richtung Straße. „Warte doch, ich rufe dir ein Taxi", schlug ich vor und war gerade dabei, sie einzuholen, da begann sie einfach zu rennen. „Lexi! Verdammt, jetzt bleib doch stehen!", rief ich ihr hinterher, doch sie dachte nicht mal daran, anzuhalten. Was war nur mit diesem Mädchen los? Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr...

Als ich den Garten wieder erreicht hatte, traf ich auf Tina, die mir erklärte, dass sie Lexi gefunden hätten und dass sie von Jan gerade nach Hause gebracht werden würde. Ich war irgendwie beruhigt, denn bei ihm wusste selbst ich, dass ihr nichts mehr zustoßen würde. Ich mochte ihre Art zwar nicht, doch sie war eine Frau wie ich und ich hasste es, wenn jemand unser Geschlecht diskriminierte oder uns als minderwertige Sexobjekte betrachtete, was vermutlich mein Handeln von vorhin erklärte. „Gut, ich war eh nicht erfolgreich bei meiner Suche. Passt das nächste Mal aber besser auf die betrunkenen Mitglieder eurer Gruppe auf." Und damit hatte ich mich bereits wieder von meiner Schülerin und ihrem Freund abgewandt und schritt auf meine Schwester zu: „Ich wäre jetzt bereit, heimzufahren. Ich bin müde und will ins Bett..."


- A/N -

Kapitel Nummer zwei! Wie denkt ihr, wird sich das zwischen Lexi und Lucrezia noch entwickeln? Lasst gerne eure Vermutungen oder allgemein Feedback da! Es ist schön, zu sehen, dass jemand die Geschichte mag, da sie mir selbst sehr viel bedeutet... :)

Morgen Vormittag werde ich auf jeden Fall wieder updaten, vielleicht gleich beide Kapitel auf einmal, vielleicht aber auch erst eines am späteren Abend. Ich weiß noch nicht genau, wie es sich ausgeht. Ich wünsche euch aber jetzt schon mal frohe Weihnachten! <3

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