#55 Glaubst du, sie kommt je zu mir zurück?

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POV Lexi Falkner

„Komm her", meine Mutter erhob sich von ihrem Stuhl und schloss mich umgehend in ihre Arme. Ich zitterte und heulte, doch sie ließ sich davon überhaupt nicht beirren, sie meinte nur: „Lexi, du bist meine Tochter und ich liebe dich. Das habe ich immer getan und das wird auch immer so bleiben, ganz egal, zu wem du dich hingezogen fühlst oder nicht. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass du glücklich bist." Ihre Worte rührten mich zutiefst. Nie hätte ich nur zu denken gewagt, dass sie wirklich so positiv reagieren würde, umso erleichterter war ich nun. Sie war nicht enttäuscht. Sie hatte mich nicht rausgeworfen. Enterbt. Mich gebeten, für immer zu verschwinden. Sie hatte mich nur in den Arm genommen und hielt mich nun sicher schon einige Minuten, während ich mich langsam aber sicher wieder beruhigte. „Danke...", hauchte ich mit schwacher Stimme. „Da gibt es nichts zu danken, Lexi. Ich finde es nicht schlimm. Und ich hätte auch Julie niemals etwas anderes gesagt, weshalb es mir noch schwerer fällt, zu akzeptieren, wie das alles gekommen ist... Sie hatte Angst vor ihrer eigenen Mutter..." Nun war ich es, die beruhigende Worte fand: „Mama, sie hatte nicht Angst vor dir, sondern vor der Tatsache, dich zu enttäuschen. Und ich verstehe das, weißt du, man fühlt sich einfach so lange so falsch, so kaputt irgendwie und es dauert einfach, bis man sich selbst akzeptiert... Doch irgendwann schafft man es sogar, stolz zu sein, froh zu sein, dass es so ist, wie es ist, das hätte ich nie gedacht und Julie glaubte daran offenbar leider auch nicht. Hätte mir vor ein paar Jahren nämlich jemand gesagt, dass ich irgendwann meine Homosexualität als eine tolle Eigenschaft von mir sehen würde, hätte ich ihm den Vogel gezeigt und mich nervös wieder an mein Bin-ich-lesbisch-teste-dich-de-Quiz gesetzt, um falsche Antworten zu geben und vom Ergebnis ‚Du bist definitiv heterosexuell' beruhigt, schlafenzugehen. Aber das hat alles nichts mit dir zu tun, Mama. Man möchte seine Eltern stolz machen und wenn man nicht mehr auf sich selbst stolz sein kann, weil man meint, etwas stimme nicht mit einem, dann bekommt man eben einfach Angst, andere Leute würden einen von sich stoßen, weißt du?" Meine Mutter hatte jedes meiner Worte gebannt verfolgt und meinte nun, während sie mir mit ihrer Hand sanft über meinen Handrücken strich: „Ich werde immer stolz auf dich sein, du bist mein größter Stolz. Meine Kinder waren das schon immer und auch wenn Julie sich dazu entschieden hat, diese Erde zu verlassen, dann ist da immer noch der Stolz auf ihre Erfolge, ihre Art, alles an ihr. Dieser Stolz und diese Freude, solche Kinder geboren zu haben, das alles bleibt. Es tut mir leid, dass du so leiden musstest, bis du mit dir im Reinen warst... Vor allem, dass ich in dieser Zeit nicht für dich da sein konnte. Aber ich bin sehr froh, dass ich jetzt Bescheid weiß und wie gesagt, wenn du glücklich bist, bin ich es auch. Ich hab dich lieb, Lexi."

Wir hatten uns noch lange darüber unterhalten, wie ich das gemerkt hätte, was ich an Frauen toll fände und vor allem, ob ich eine Frau toll fände. Meine Mutter wartete gerade auf ihre Antwort, doch ich wusste nicht, wie ich ihr mein Lucrezia-Dilemma erklären sollte. „Also... Naja... Da gibt es jemanden, den ich sehr gerne mag... Wir waren auch zusammen bis... bis vor Weihnachten, doch dann hat sie...", meine Stimme brach und mir kamen wieder die Tränen, die mir meine schockierte Mutter sanft wegwischte, dann fragte sie: „Echt? Und ich habe einfach nichts gemerkt?" Ich schüttelte lächelnd den Kopf, bevor ich ergänzte: „Wie denn auch, wir haben uns in den letzten Wochen nicht so oft gesehen und die Beziehung ging nicht sehr lange..." Nun war ich aber so weit, ihr mehr zu erzählen. Ich erklärte ihr, dass ich mit diesem Mädchen in der Toskana gewesen war, dass wir uns eigentlich mochten und ich gedacht hatte, sie würde mich lieben, doch dass es da ein Hindernis gab, von dem ich ihr einfach nichts erzählen könnte. Meine Mutter akzeptierte das und meinte, sollte ich irgendwann dazu bereit sein, sollte ich direkt zu ihr kommen, sie würde mir gerne zuhören. Sie hatte diese Situation dann auch bewertet und meinte nun: „Vielleicht braucht ihr einfach mal Abstand voneinander und es wird wieder. Für mich klingt das alles nämlich nicht danach, dass sie dich nie geliebt hätte. Es klingt, als hätte sie Angst bekommen vor irgendwas und möglicherweise braucht auch sie einfach mal Zeit für sich, um ihre Gedanken zu ordnen. Gib sie noch nicht auf, aber gib auch dich nicht auf. Lebe dein Leben, auch ohne sie und wer weiß, vielleicht kommt sie ja irgendwann zu dir zurück."

Ich hatte noch lange über diese Worte nachgedacht, auch noch, als Tina mich abgeholt und wieder mit zu sich genommen hatte. Ich hatte mit meiner Mama ausgeredet, ab morgen wieder zuhause zu wohnen, doch ich musste Tina all das von heute noch erzählen, weshalb ich noch diese eine Nacht bei ihr blieb. Ich war so froh, dass ich mich mit meiner Mutter wieder versöhnt hatte und Tina war ich dankbar, dass sie mich dazu gedrängt hatte, zum Essen zu gehen. Im Endeffekt wusste sie immer am besten, was man in einer Situation machen sollte, um sie zu verbessern.

„Lexi?" Ich sah auf. Ich hatte bis jetzt auf meine Bettdecke gestarrt, die mich so angenehm wärmte, und nachgedacht. Ich war schwach. Zitterte und fühlte mich gar nicht gut. Das war auch Tina aufgefallen. „Worüber denkst du nach?" Ich seufzte. „Meinst du, Lucrezia kommt zu mir zurück? Meinst du, das wird wieder?" Tina runzelte die Stirn, bevor sie entgegnete: „Sein kann alles. Aber du solltest dich von dieser Hoffnung nicht in deinem eigenen Leben einschränken lassen. Du musst weitermachen, so wie es deine Mutter gesagt hat..." Ich ließ meinen Kopf zurück ins Kissen fallen und starrte an die Decke. Wie sollte ich denn weitermachen, wenn mein Halt und meine Freude auf eins, zwei entschieden hatten, mich zu verlassen? Lucy hatte sich seit unserem letzten Aufeinandertreffen im Treppenhaus nicht mehr gemeldet. Das war nun acht Tage her. Ich schien ihr wirklich nicht abzugehen, was mich noch trauriger machte. Und obwohl Tina und Mama meinten, dass sie mich liebte, konnte ich es immer noch nicht ganz glauben und fühlte mich... benutzt. Ja, das war es. Ich fühlte mich ausgenutzt und hängengelassen. „Ich weiß, dass das schwer ist, aber du solltest aufhören, Trübsal zu blasen und wieder mal etwas Spaß haben. Lass uns feiern gehen. Nur wir beide, ein Mädelsabend im Motion. Vielleicht findest du da auch jemanden, der dich ein wenig ablenkt?" Ich war Tina ja wirklich dankbar dafür, dass sie das mit mir machen wollte und so sehr für mich da war, doch ich hatte herzlich wenig Lust, auszugehen. Wenn es nach mir ginge, würde ich den ganzen Tag im Bett bleiben und absolut gar nichts tun, aber das akzeptierte meine beste Freundin leider nicht. Sie war der Meinung, das sei nicht gut für mich und bringe mich auch nicht weiter und irgendwo hatte sie ja auch recht, doch in die Disko ging ich sicher nicht. Zu viele Leute. Reizüberflutung. „Nein, Tina, mir ist echt nicht danach, ein anderes Mal vielleicht." Sie wusste, dass sie nicht weiterzureden brauchte, denn ich wurde in diesem Zustand der Trauer und der Verzweiflung höchstens aggressiv, aber keinesfalls umstimmbar. „Na gut, dann Eis löffeln und Filmschauen?" Das klang schon besser und entlockte mir sogar ein mildes Lächeln. Wenig später kuschelten wir auch schon in ihrem Bett und zogen uns irgendeinen Actionfilm rein.

In you I found remedyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt