Ich dachte nicht weiter nach, sondern hechtete über den Stein zurück zwischen die Bäume. Blind vor Angst und weil die Sonne noch nicht aufgegangen war, folgte ich dem Krach, der mich geradewegs zu dem Platz vor den Haupthäusern führte.
Die Hektik schaltete meine Instinkte vollkommen aus und so sah ich die Mutation erst als sie mich beinahe schon erreicht hatte. Im letzten Moment stieß mich jedoch jemand zur Seite, sodass ihr Angriff mich verfehlte. Von der Wucht ins Stolpern gebracht, stürzte ich schließlich und landete zusammen mit Benson auf dem Boden. Das Biest hatte inzwischen abgebremst, aber bevor es ein weiteres Mal auf uns zugehen konnte, hatte Lex sein Schwert bereits bis zum Schaft in seinem Brustkorb versenkt.
Ich schnappte nach Luft. Mein Verstand schaffte es nicht zu verarbeiten, was gerade passiert war, erst als sich mein Blick mit dem eines toten Ailés verfing, setzten sich die letzten Sekunden zu einem schlüssigen Bild zusammen. Die Mutationen waren im Lager. Und sie liefen Amok.
„Aria!" Mein Kopf zuckte zurück zu Benson, der gerade dabei war sich wieder aufzurichten. „Bist du verletzt?"Stumm schüttelte ich den Kopf und stemmte mich ebenfalls wieder auf die Beine. Als ich stand, hatten sich meine Augen endlich wieder an das Mondlicht gewöhnt, und ich sah das volle Ausmaß der Katastrophe.
Mindestens drei Dutzend Mutationen fielen über die wenigen Ailés und Wächter her, die sich bereits draußen aufhielten. Einige krochen sogar in Zelte hinein, aus denen die erschreckten Schreie derer drangen, die sie aus dem Schlaf rissen.
Ein Schatten tauchte in meinem Augenwinkel auf und ich griff nach meinem Schwert, doch es war nur Jules, der neben mich getreten war. „Wir müssen die anderen wecken", erkannte er.Ich nickte und war froh, dass sich mein Hirn endlich von dem Schock erholte und ich ebenfalls in den Kampfmodus schaltete. Aus eigener Erfahrung wusste ich wie schwierig diese Biester zu töten waren und dass es bis zu vier Leute gleichzeitig brauchte, um eines in Schach zu halten. Und dafür waren wir bei weitem zu wenig. Noch.
Ich drehte mich zu Caden um. „Das Horn!", rief ich.Er verstand sofort. Mit zwei kurzen Handzeichen gab er uns zu verstehen, dass die Farrows die linke Flanke übernehmen sollten, während er und Lex die rechte absicherten. Ich bildete die Spitze und gab die Richtung vor. Es brachte nichts kopflos zum Tor zu rennen, denn sonst wären wir tot bevor wir es erreicht hätten.
Tatsächlich ließ die nächste Mutation nicht lange auf sich warten. Caden und mein Bruder spaltete sich von uns ab, um zusammen mit zwei Wächtern auf das wilde Tier loszugehen, das mit seinen Klauen nach allen Seiten schlug und immer wieder in die Richtung der Ailés schnappte. Die Menschen schien es dabei weniger zu interessieren. Sie waren vielmehr ein lästiges Hindernis, das es zu überwinden galt, bevor es seiner bevorzugten Beute nachjagen konnte.
Wir hatten inzwischen beinahe das Tor erreicht. Ich zwang mich über die Leichen hinwegzusehen. Der Mond spiegelte sich in ihrem Blut und bei jedem schmatzenden Geräusch, das meine Stiefel von sich gaben wenn ich in eine Lache trat, steigerte sich mein Unwohlsein.Ich wollte nicht hier sein.
Am liebsten hätte ich meinem übermächtigen Fluchtinstinkt nachgegeben und wäre gerannt, stattdessen hielt ich auf den Aufgang zur Wehr zu. Eines der dämlichen Viecher versuchte gerade die Treppe hochzusteigen, aber scheinbar war ihm der kantige Untergrund nicht geheuer, weshalb es immer wieder zurückzuckte und wutentbrannt fauchte.
Ich sah nach oben und suchte vergeblich nach dem Wachposten, der eigentlich neben dem Horn stehen sollte. Verdammt! Jemand musste dieses verfluchte Horn blasen, doch der Aufgang war versperrt und die Ordensmitglieder auf der Wehr waren nicht nur zu weit weg, sondern auch zu beschäftigt. Also mussten wir wohl oder übel selbst dort hoch.
Fieberhaft suchte ich nach einem Weg wie ich das anstellen konnte, ohne draufzugehen, dann erinnerte ich mich an den Tag, an dem die Wächter sich vor unserem Lager aufgereiht hatten. Wozu hatte man Flügel wenn man sie nicht benutzte?
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Feather, Sword & Blood
FantasyIm letzten Jahrhundert hat sich die Welt verändert. Eine Genmutation brachte neben den Menschen weitere Spezies hervor. Kriege, in denen nahezu das gesamte Wissen über moderne Technologie verloren ging, forderten über zwei Milliarden Leben und zerri...