Dreißig

406 46 1
                                    

Gegen Nachmittag waren alle satt und langsam aber sicher leerte sich der Speisesaal wieder. Die Rekruten gingen zurück in ihre Zelte, um sich ein wenig auszuruhen, oder machten ihre private kleine Feier und die Ordensmitglieder begannen mit den Vorbereitungen für die Aufnahmezeremonie, die heute Abend stattfinden sollte.

Während meine Trainingskollegen sich zurückzogen, blieb ich wie immer alleine zurück. Dachte ich zumindest. Denn als ich das Zelt verließ, sah ich, dass die Farrow-Brüder auf mich warteten. „Was? Dachtest du, du musst bis zur Zeremonie alleine in deinem Zelt herumsitzen?", wollte Jules wissen.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich wäre noch ein wenig trainieren gegangen."

Benson schüttelte den Kopf. „Streberin. Heute trainiert keiner!" Er kam auf mich zu und legte mir einen Arm um die Schulter. „Wir haben etwas viel besseres."
 
Die beiden Ailés führten mich zu meinem Lieblingsplatz, wo wir uns auf dem Felsen einige Meter vor der Klippe niederließen. Ben zog eine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit unter seinem Umhang hervor, die er dort versteckt hatte.

„Was ist das?", wollte ich wissen.

„Tequila", antwortete Jules, „Frisch aus der Außenwelt eingeschmuggelt. Hast du Erfahrung mit Alkohol?"

„Her damit", sagte ich, nahm seinem Bruder die Flasche aus der Hand und nahm einen Schluck. Die Flüssigkeit brannte sich in meine Kehle und ich genoss das Gefühl. Im Camp war Alkohol strikt verboten, weshalb es das erste Mal seit drei Jahren war, dass ich welchen trank. Ich war 17 gewesen, als ich hier her gekommen war. In diesem Alter kam man draußen zwangsläufig mit dem Zeug in Kontakt. Ich hatte zwar nie zu denen gehört, die sich ins Koma tranken, dafür hatte ich ohnehin nicht genug Geld gehabt, aber selbstverständlich hatte ich zumindest probiert.
 
„Ich werte das als ein Ja", äußerte Benson und nahm mir die Flasche aus der Hand.

Ich wischte mir den Mund mit dem Handrücken ab, während er ebenfalls etwas davon trank und sie schließlich an seinen Bruder weiterreichte.

„Der Kampf vorhin war ziemlich..." Jules suchte nach dem passenden Wort.

„Überraschend?", schlug ich vor und er nickte, „Ihr hättet mich wenigstens vorwarnen können."

„Wir wussten nichts davon." Benson holte sich die Flasche zurück. „Überraschend, weil ich nicht erwartet habe, wie gut du inzwischen bist. Auf der anderen Seite ist das auch wieder nicht überraschend."

Ich winkte ab und zog mein Shirt ein Stück hoch, da er mich an etwas erinnert hatte. Prüfend betrachtete ich die Stelle auf meinen Rippen, an der Caden mich getroffen hatte. Sie war rot und ein wenig geschwollen.

„Besser als dein Bruder", fügte Jules vorsichtig hinzu.

Ich ließ den Stoff wieder fallen, sah auf und stellte fest, dass er mich beobachtete. Er wartete auf meine Reaktion, doch die fiel nicht so aus, wie er erwartet hatte. Ich lächelte leicht. „Danke." Ich wusste nicht so recht, ob ich stolz oder traurig sein sollte. Doch ich ließ es mir nicht mehr anmerken. Lex Tod lag nun schon fünf Jahre zurück und es war einfacher geworden. Nicht besser, aber einfacher.
 
„Wie waren eure letzten zwei Jahre?", wechselte ich trotzdem das Thema. Heute war ein Tag zum Feiern und ich wollte mir nicht die Laune verderben lassen, wenn ich daran dachte, dass Lex eigentlich bei mir sein sollte und wie stolz er auf mich gewesen wäre.

Ben schüttelte den Kopf.

„Das erzählen wir dir ein anderes Mal", sagte Jules seltsam belegt.

„Heute geht es nur um dich, Aria", pflichtete auch sein Bruder ihm bei.

„Tja, mein Leben ist ziemlich langweilig. Ich habe das gleiche getan, wie ihr damals."

„Bezweifle ich. Ich habe gehört, du ziehst ein Ordensmitglied nach dem anderen im Schwertkampf ab."

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt