Fünf

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Als ich wieder aufwachte, war es bereits hell und ich hatte das Gefühl, dass wir uns in einer anderen Welt befanden. Draußen zog nicht mehr der hässliche Asphalt der Stadt an uns vorbei, sondern saftiges Grün. Felder zogen sich über die etwas hügelige Landschaft, dahinter erstreckte sich das Meer. Wir fuhren direkt auf einen riesigen Wald zu und verschwanden darin. Er verschluckte uns regelrecht und zwischen den Bäumen hatte ich endgültig das Gefühl, von der restlichen Außenwelt abgeschnitten zu sein. Wie recht ich damit hatte, wurde mir erst bewusst, als wir immer tiefer hineinfuhren. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren, aber das war auch völlig egal.
 
„Ich hoffe dein Französisch ist einigermaßen akzeptabel", sagte Caden. Seine ersten Worte seit Stunden.

„Besser als du denkst", entgegnete ich in perfektem Französisch.

Er ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. „Immerhin blamierst du dich nicht sofort", murmelte er und wechselte ebenfalls von Englisch in Französisch.
 
Ich wusste von meinem Vater und meinem Bruder, dass bei den Ailés französisch geredet wurde. Es war ein französischer Orden, da die ersten Ailés in Frankreich aufgetaucht waren. Hier in Europa wurde inzwischen fast nur noch Englisch geredet, aber Lex und ich waren mehrsprachig aufgewachsen. Mein Vater hatte stets französisch mit uns geredet, trotzdem sprach ich fließend und ohne Akzent Englisch. Das gleiche galt für Französisch.
 
Ich entgegnete nichts auf Cadens Seitenhieb. Ich war es gewöhnt, beleidigt und beschimpft zu werden, und stand inzwischen darüber. Beziehungsweise hatte ich keine Wahl als darüber zu stehen, was mich aber nicht davon abhielt, ebenfalls die eine oder andere Spitze zu setzten. Ich war nicht auf den Mund gefallen.
 
Gähnend setzte ich mich auf. Ich hatte schlecht geschlafen und war vermutlich sogar noch müder als vorher. Mein Nacken war steif und meine Stirn kribbelte, weil sie immer wieder leicht an das Fenster geschlagen war. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Rückenlehne und sah wieder nach draußen. Wir bogen um eine letzte Kurve, dann veränderte sich das Bild der sich aneinander reihenden Bäume schlagartig.
 
Eine große Lichtung tauchte vor uns auf. Sie wirkte heller als der Rest des Waldes, da das Sonnenlicht sich nicht durch das dichte Blätterdach kämpfen musste. Der Boden war eben und ganz in unserer Nähe standen einige Häuser. Sie waren aus Holz und dienten vermutlich der Verwaltung oder ähnlichem. Das größte Gebäude war etwas weiter hinten und wenn ich mich nicht irrte, dürfte das der Speisesaal sein. Lex hatte mir davon erzählt. Davor war ein wenig Platz, bevor der Wald etwas weiter rechts wieder dichter wurde. Zwischen einigen Bäumen standen kreuz und quer Zelte mit dicken Planen und Holzfundamenten verteilt, in denen die Ailés wohnten. Sie waren schon immer minimalistisch gewesen und nur die wenigsten lebten außerhalb eines Lagers. Dad hatte das nur getan, weil er noch eine Familie hatte, die anderen Ailés waren Ausgestoßene, die es nicht geschafft hatten, in den Orden aufgenommen zu werden.
 
Caden parkte vor dem großen Tor und wir stiegen aus. „Ich bringe dich zu dem Commandant des Lagers", erläuterte er und ging voraus.

Ich schulterte meine Tasche und folgte ihm. Dem Lärm der Stadt und dem Grau des Asphalts war Stille und Grün gewichen und obwohl alle Ailés, die hier herumliefen, bewaffnet waren, wirkte dieser Ort erstaunlich friedlich. Nirgends war ein Mensch zu sehen und auf einmal schien der Hass in weite Ferne gerückt zu sein. Politik und Geldsorgen spielten hier keine Rolle und ich wünschte, für Diskriminierung würde das gleiche gelten. Doch ich kannte die Blicke, mit denen mich die Ordensmitglieder ansahen, nur allzu gut.
 
Caden schien das nicht zu bemerken und ging zielstrebig auf eines der Holzgebäude zu. „Die Haupthäuser", erklärte er und führte mich zu dem vordersten. Es war nicht das kleinste, aber eins der kleineren und hob sich durch die feinen Holzschnitzereien von den anderen ab.

Der Ailé ging geradewegs auf die Tür zu und hielt sich gar nicht erst mit Klopfen auf, sondern riss sie so schwungvoll auf, dass augenblicklich alle Blicke der Anwesenden in unsere Richtung flogen. Nur zögerlich schob ich mich ebenfalls in den Raum. Im Gegensatz zu Caden war es mir mehr als unangenehm mit der Tür ins Haus des Kommandanten, der obersten Instanz dieses Lagers, zu fallen. Doch ich war niemand, der sich hinter jemanden versteckte. Schon gar nicht hinter Caden Milani, weshalb ich mich schließlich neben ihn stellte. 
 
In der Mitte stand ein großer Tisch, auf dem eine Karte ausgebreitet war, darum herum einige Stühle. Ich vermutete, es war eine Art Büro und wir waren mitten in eine Besprechung geplatzt. Zwei Männer standen davor und sahen von den Karten auf. Ihre Flügel lagen wie Cadens eng an ihrem Rücken, damit sie sie nicht störten. Hier versuchte niemand, sie zu verstecken.

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt