Siebenundsechzig

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Mein Blick klebte an Jacobs Rücken. Seit Stunden ritt ich jetzt schon hinter ihm her und immer wieder fiel er auf die Stelle, wo eigentlich seine Flügel sein sollten. Glücklicherweise hatte er mein Starren noch nicht bemerkt, weil er viel zu beschäftigt damit war zusammen mit Caden in Erinnerungen zu schwelgen.
 
Irgendwie hatte ich mir nie vorstellen können, dass unser Sergent richtige Freunde hatte. Er war immer derjenige, der auch innerhalb unseres Trupps eine gewisse Distanz gewahrt hatte. Anfangs war ich davon ausgegangen, dass es mit seiner Position als Truppenführer zutun hatte, aber schnell hatte ich gemerkt, dass es einfach nicht Cadens Art war ein lockeres Gespräch zu führen.

Doch es war genau das, was er in diesem Moment tat. Er wirkte wie ausgewechselt. Seit ich ihn kannte, hatte den Ailé immer eine gewisse Ernsthaftigkeit angehaftet, die jetzt verschwunden zu sein schien. Er wirkte jünger, lächelte öfter. Die Unbeschwertheit meines Bruders schien auf ihn abzufärben und auf einmal konnte ich mir die beiden in der Ausbildung vorstellen, wie sie hinter Yates Rücken irgendeinen Unsinn anstellten oder sich in einer freundschaftlichen Rivalität auf dem Trainingsplatz bekämpfen und anschließend gegenseitig ihre Fehler unter die Nase rieben. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass Lex zwei Jahre älter war. Es war kaum zu übersehen, dass die beiden die besten Freunde waren.
 
„Du kennst ihn so gar nicht, oder?"

Ich hatte gar nicht gemerkt wie mein Blick zu Cadens Gesicht gewandert war. Schnell riss ich ihn davon los und sah Jules an, der links von mir ritt. Benson wiederum war einige Meter vor uns. Inzwischen ging es ihm soweit wieder gut. Drei Tage hatte es gedauert, bis er nicht mehr wie der Tod persönlich ausgesehen hatte. Eigentlich hätte er eine Pause gebraucht, aber angesichts der brenzlichen Lage hatten wir darauf keine Rücksicht nehmen können. Das einzige, was wir für ihn hatten tun können, war etwas langsamer zu reiten, weshalb das heute der fünfte Tag unserer Heimreise war.

„Bevor dein Bruder... verschwunden ist, war er nicht so abweisend. Ich bin froh, dass das jetzt vorbei ist", fuhr Jules fort. In meinen Ohren klang das ein wenig als wolle er sich anstelle des Sergents für unseren Streit vor knapp einer Woche entschuldigen. So wie er es schon einmal getan hatte. 
 
Ich nickte lediglich. „Wie geht es deinem Flügel?", fragte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Tatsächlich hatte seine Schwinge einen seltsamen Knick am Gelenk. Die Verbrennungen waren längst verheilt, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er bei manchen Bewegungen Schmerzen hatte.

„Ich fürchte, der war gebrochen. Wenn wir im Lager sind, gehe ich zur Krankenstation."

Ich verzog das Gesicht. Wegen unserer schnellen Regeneration musste man die Knochen nach einem Bruch normalerweise sofort richten, sonst wuchsen sie falsch wieder zusammen. Wenn das nicht passierte, mussten die Ärzte den Knochen noch einmal brechen, um ihn anschließend richten zu können. Klang schmerzhaft, war es auch.
 
Ich richtete meinen Blick wieder nach vorne. In der Ferne konnte ich den Silberwald erkennen und irgendwie freute ich mich darauf wieder ins Lager zu kommen. Es würde schön sein wieder einen festen Schlafplatz und feste Essenszeiten zu haben. Zwar waren es nur wenigen Monate gewesen, in denen wir weggewesen waren, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit.

„Was meinst du, wie wird es weitergehen?", meldete sich Jules wieder zu Wort.

Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wir werden Bericht erstatten und ab da wird es nicht mehr in unserer Hand liegen, denke ich."

„Das meinte ich nicht." Jules ließ Texas langsamer werden und Leil passte sich an die Geschwindigkeit seiner Stute an. „Du willst den Trupp verlassen, oder?"

Ich seufzte. „Es liegt nicht an euch, Jules. Ich kann das mit Caden nicht länger. Jedes Mal wenn ich denke, dass wir miteinander auskommen könnten, wirft er mir wieder Dinge an den Kopf, die ich ihm kaum verzeihen kann. Ich spiele für niemanden den Boxsack, an dem man seinen Frust auslassen kann."

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