Fünfundvierzig

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Im Nachhinein hatte ich keine Ahnung, ob ich wieder so gehandelt hätte. In diesem Moment hätte ich ihn am liebsten eigenhändig erwürgt, aber das spiele kurz darauf schon keine Rolle. Mein Verstand setzte aus und meine Instinkte übernahmen.

Rein aus Reflex warf ich mich gegen ihn und riss ihn mit mir zu Boden. Ich hörte, wie ihm ein überraschtes Ächzen entfuhr, weil ihn meine Schulter in der Magengrube traf und ihm anschließend die Luft aus den Lungen gedrückt wurde, da ich halb auf ihm landete.

Keine Sekunde später flog ein riesiger Schatten über uns hinweg und eine Klaue zerschnitte genau an der Stelle die Luft, an der noch kurz zuvor Cadens Kopf gewesen war. Mit einem dumpfen Poltern landete der Schatten im Schnee und ich riss meinen Kopf herum.
 
Für einen Moment blieb die Zeit stehen. Es war jetzt etwas über zwei Jahre her, dass ich eine der Mutationen live gesehen hatte und obwohl ich damals eine von ihnen hatte töten können, bereiteten sie mir noch immer unruhige Nächte. Und jetzt stand einer dieser fleischgewordenen Albträume vor mir und fletschte die Zähne. Die Wut, die Enttäuschung und den Verrat, die sich gerade eben noch in meiner Brust zusammengeballt hatten, verschwanden schlagartig und zurück blieb blanke Panik.

Dann war der Moment vorbei und die Welt drehte sich mit einer rasenden Geschwindigkeit weiter. Ich rollte von Caden herunter und griff nach meinem Schwert, doch bevor ich es aus der Lederscheide herauszerren konnte, setzte das Biest bereits zum Sprung an. Sogar der Ailé brauchte einige Sekunden, bis er begriffen hatte, dann erst setzte er sich in Bewegung.

Glücklicherweise hatten sich die Farrow-Brüder schneller wieder gefangen, denn gerade als der wolfsähnliche Limb sich mit seinen Hinterläufen abdrücken wollte, sprangen sie in seine Flugbahn und schlugen mit ihren Schwertern nach ihm. Knurrend wich es einen halben Schritt zurück und ich nutzte den Moment, um wieder aufzuspringen und mein Schwert zu ziehen.
 
Doch in diesem Moment kamen zwei weitere Silhouetten zwischen den Bäumen auf uns zu und sie ließen sich von den Klingen weniger beeindrucken als die erste Mutation. Benson musste dem Prankenhieb der größeren ausweichen, während die andere sich auf Jules stürzte. Bevor es jedoch seine Zähne in seine Schulter bohren konnte, hatte ich ihm mein Schwert in die Flanke gerammt. Später hatte ich selbst keine Ahnung gehabt, wie ich dorthin gelangt war. Ich dachte nicht länger nach, ich handelte einfach.

Die Bestie brüllte auf und wirbelte zu mir herum, weshalb ich den Griff losließ und einige Schritte zurücktaumelte. Jules hatte sich in der Zwischenzeit wieder aufgerappelt und verpasste ihr nun seinerseits eine tiefe Schnittwunde. Geschickt sprang er vor seinem Angriff zurück, packte den Griff meines Langschwertes und zog es mit einem Ruck heraus. Dann warf er es mir zu und ging ein weiteres Mal auf das Ding los.
 
Ich fischte es mit einer Hand aus der Luft und wirbelte herum, um nach den anderen Mutationen zu sehen. Gerade rechtzeitig, denn eine davon hechtete gerade auf mich zu. Doch ich war nicht mehr so unerfahren wie vor zwei Jahren. Ich hatte gelernt, auf unvorhersehbare Situationen zu reagieren und so nutzte ich den Schwung meiner Drehung, zog mein Schwert nach und erwischte das Tier an der Nase. Es gab ein Geräusch von sich, das einem Aufschrei nahe kam, und fixierte mich mit seinen kleinen Augen. Benson nutzt den Moment, in dem es abgelenkt war, und versenkte seine Klinge in seinem Auge. Wie erstarrt hielt es in seiner Bewegung inne und fiel dann um.
 
Ich hielt mich nicht mit Triumphgefühlen auf, sondern reagierte auf meinen Namen, den mir jemand zurief. Noch in der Bewegung sah ich den Grund dafür und wurde im nächsten Augenblick bereits von dem Monster zu Boden geworfen.

Wieder retteten mir meine Reflexe das Leben, denn ich hatte es gerade noch geschafft, mein Schwert hochzureißen, bevor es auf mir landete. Mit den Vorderpfoten drückte es gegen die Klinge, die waagrecht vor meinem Gesicht schwebte und sich zwischen seinen Zähnen verkantete. Es versuchte nach mir zu schnappen, aber ich hielt es davon ab, indem ich mit dem Metall gegen seinen Kiefer drückte. Sein fauliger Mundgeruch nahm mir den Atem und Sabber lief über das Oxidium, zusätzlich schnitt ihm die Klinge in die Mundwinkel. Doch das schien es überhaupt nicht zu interessieren. Das Blut fraß sich neben mir in den Schnee und tropfte auf mein Mieder, trotzdem lehnte es sich mit seinem vollem Gewicht dagegen. Das Verlangen, mich zu töten, überwog sogar seinen Selbsterhaltungstrieb. Dieses Ding hatte keine Seele. Es war erschaffen worden, um zu töten. Selbst wenn es selbst dabei starb.
 
Meine Arme begannen zu zittern und ich spürte, dass ich diese Position nicht mehr lange halten können würde. Gleichzeitig war mir bewusst, dass wenn ich auch nur einen Millimeter nachgab, mir das Tier vermutlich den Kopf von den Schultern reißen würde. Also drückte ich weiter dagegen, selbst wenn mir meine eigene Klinge in die Handfläche schnitt und die Lederriemen meiner Bracelets sich mit meinem Blut vollsogen.

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt