Sechsundsiebzig

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Entgegen meiner Erwartungen waren es nicht die Nigreos, die das Lager angriffen. Stattdessen hatte sich vor dem Tor eine Kompanie der Wächter aufgereiht. Mit grimmigen Gesichtern und bis auf die Zähne bewaffnet standen etwa 200 Menschen in Reih und Glied. Auf ihren Uniformen prangte gut sichtbar ihr Abzeichen, das aus einem Dreieck mit einem Stern in der Mitte bestand, und anhand ihrer Schulterklappen konnte man den Dienstgrad erkennen. Die Uniformen waren das beste Beispiel für die Sturheit der Menschen. Sie stammten aus einer Zeit, in der sie noch die Alleinherrschaft über die Erde gehabt und sich gegenseitig bekriegt hatten, statt sich gegen die Limbs zusammenzuschließen. Gleichzeitig fand ich beeindruckend wie dynamisch das Militär doch war. Von einzelnen Armeen waren sie zu der Gemeinschaft der Wächter zusammengewachsen und hatten ihre Struktur und ihre Waffen an die neuen Umstände angepasst. Genau wie die Ailés waren sie zu Schwertern zurückgekehrt und wenn man mich fragte, hatten sie die Schmiedekunst perfektioniert.
 
Doch statt Anerkennung fühlte ich Unwohlsein in mir aufsteigen. Alleine, dass es eine Kompanie es wagte sich dermaßen vor einem Lager des Ordens aufzubauen, grenzte bereits an einer Kriegserklärung. Die Anspannung war greifbar und einige der Ailés, die ebenfalls einen Platz auf dem Steg ergattert hatten und bis zur Brust von den Spitzen des Holzzauns verdeckt wurden, hatten bereits Pfeile in die Sehnen ihrer Bögen gespannt und warteten nur darauf, dass das Chaos ausbrach. Das gleiche galt allerdings auch für die vorderen Wächter, was die Situation nicht gerade entspannte. Die Frage war nicht, ob sie eskalieren würde, sondern wann.
 
„Verdammte..."

„Scheiße", beendete Caden meinen Satz.

Mir war klar gewesen, auf was ich mich einließ, als ich die Ausbildung begonnen hatte. Jeder von uns hatte gewusst, dass wir im Falle eines Krieges an vorderster Front kämpfen würden und waren dieses Risiko eingegangen. Aber jetzt, wo ich sah wie brüchig der Frieden tatsächlich war, musste ich zugeben, dass sich das schwelende Gefühl von Angst in mir ausbreitete. Es ließ meinen Magen zu einem nervösen Klumpen werden und sorgte dafür, dass ich das Gewicht meines Schwertes an meinem Gürtel und das des Umhangs auf meinen Schultern nur noch deutlicher wahrnahm.
 
„Général Mercier!" Eine tiefe Stimme ließ das dumpfe Getuschel verstummen und eine gespenstige Stille breitete sich auf der Lichtung aus.

Die Kompanie teilte sich und machte Platz für einen Reiter. Neben dem Pferd verrieten die vielen Abzeichen auf seiner Uniform sofort, dass es sich um einen ranghohen Wächter handeln musste. Etwa zehn Meter vor dem Tor blieb er stehen und sprang aus dem Sattel. Erst jetzt erkannte ich ihn. Ich hatte sein Gesicht neben dem Artikel über Grace Lynchs Tod in der Zeitung gesehen. Doch mit dem stolz lächelnden Cyrus Lynch hatte der Witwer kaum mehr etwas gemeinsam. Die Wangen des Dox waren eingefallen und sein Gang war etwas schwerfällig. Er aus als hätte er in der letzten Woche die Hölle durchlitten, was vermutlich sogar zutraf.
 
„Mercier! Ich gebe Ihnen eine einzige Chance mir den Mörder meiner Frau auszuhändigen oder wir werden reinkommen und ihn suchen!", brüllte er.

Meine Augen weiteten sich und mein Blick flog zu dem Adjudanten, der die Augenbrauen zusammengezogen hatte.

„Falls das wirklich die Nigreos waren und es danach aussehen sollte als hätten die Ailés Lynchs Frau umgebracht, dann haben sie verdammt gute Arbeit geleistet", meinte Caden, ohne mich anzusehen.

„Ich fürchte nur, sie haben nicht damit gerechnet, dass der Dox herkommt, um die Sache selbst zu regeln", entgegnete ich.

Benson quetschte sich zwischen uns. „Und ist das jetzt gut?", wollte er wissen.

Ich schnaubte. „Ich habe absolut keine Ahnung."

„Na klasse..."
 
Unterdessen wurde der Dox ungeduldig. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und ich konnte die Wut, die er in sich trug, beinahe spüren. „Mercier!", schrie er noch einmal und ließ keine Zweifel daran, dass er das massive Tor eintreten würde, um zu bekommen, was er verlangte.

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt