Fünfzehn

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Drei weitere Monate vergingen und ich trainierte jeden Tag. Mein Ehrgeiz war geweckt. Ich wollte all den hochnäsigen Ailé zeigen, zu was ein halber Mensch im Stande war. Wenn ich nicht unter Yates Fittiche stand oder bei Girard Nachhilfe bekam, trainierte ich abends alleine auf einem der Sandplätze. Ab und zu nahm sich auch einer der Ordensmitglieder meiner an, gegen die ich aber immer kläglich verlor. Selbst meinen achtzehnten Geburtstag hatte ich auf den Plätzen verbracht, ohne dass jemand davon Notzig genommen hätte.
 
Ich war besser geworden und konnte inzwischen bei den Rekruten meiner Gruppe locker mithalten, von denen inzwischen nur drei ihre Flügel noch nicht bekommen hatten. Aber ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr weiterkam. Sowohl Yates als auch Girard ließen uns inzwischen gegeneinander kämpfen. Ganz nach dem Motto »Learning by Doing«. Die Grundkenntnisse beherrschte ich im Schlaf, trotzdem verlor ich die meisten Duelle.

An diesem Morgen stand ich alleine auf dem Sandplatz. Mein mir zugeteilter Trainingspartner war schon gestern nicht aufgetaucht und Yates hatte natürlich die Chance genutzt, mir damit eins auszuwischen. So hatte ich gestern alleine trainieren müssen, da es zahlenmäßig nicht aufgegangen war.

Und wie gestern auch schon, teilte sie mich Warren zu, der auch heute nicht pünktlich erschienen war. Eigentlich war ich ziemlich froh darüber, denn bei einem weiteren Training mit Maélys Morin hätte es sicher eine Tote gegeben. Es war unglaublich, wie schnell einem Mordgedanken kamen, wenn man jeden Tag mit tödlichen Waffen hantierte und zusätzlich noch lernte, damit umzugehen. Allerdings fürchtete ich, dass bei unseren derzeitigen Trainingsständen ich diejenige sein würde, die im Grab landete.
 
Ich hatte mich schon darauf eingestellt, heute schon wieder alleine trainieren zu müssen, als zwischen den Bäumen ein etwas träger Körper auftauchte. Er joggte, doch schon von weitem konnte ich erkennen, dass etwas an ihm anders war. Im Laufen nahm er sich ein Schwert und kam vor mir zum Stehen. Warren strahlte über das ganze Gesicht und das Grinsen und seine gute Laune war ansteckend.

„Du bist zu spät", lächelte ich.

„Hm, ja. Mir ist was dazwischen gekommen."

„Bin ich froh, dass du eine gute Ausrede hast", sagte ich und deutete mit dem Kopf auf Yates, die gerade zu uns kam.

„Da sind Sie ja wieder, Mills. Ihre Flügel machen Sie noch nicht zu seinem vollwertigen Ailé. Ich hoffe darüber sind Sie sich bewusst."

„Natürlich, Major", meinte Warren devot.

Sie nickte, dann sah ich etwas wie Freundlichkeit in ihren Augen. „Und herzlichen Glückwunsch." Auf ihrem Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns, doch bevor ich es als solches erkennen konnte, war es schon wieder verschwunden.
 
„Hat sie gerade gelächelt?", flüsterte ich, als sie weit genug weg war.

Er nickte verwirrt.

Dann wandte ich mich seinen Flügeln zu. „Zeig mal her. Die sind ja riesig!"

Er drehte sich stolz, damit ich sie in voller Pracht bewundern konnte. Tatsächlich waren sie größer als die der anderen, was aber an seinem Körperbau lag. So wie alle anderen hatte Warren inzwischen keinen Gramm Fett mehr an sich, sondern bestand fast gänzlich aus Muskeln. Trotzdem sah er noch etwas pummelig aus. Er war schlichtweg anders gebaut, was aber ihn aber auch etwas liebenswertes verlieh. Genau wie seine Figur schienen seine Flügel ein wenig wuchtig zu sein. Jede Feder schien am Ende rund auszulaufen, was sie irgendwie träge erschienen ließ, mich allerdings ich keine Sekunde daran zweifeln ließ, wie viel Kraft darin steckte.

Ich nahm mir vor, ihnen in einem Kampf aus dem Weg zu gehen.
 
„Und? Wie ist es so?", erkundigte ich mich.

„Ganz ehrlich? Ich dachte, es wäre ungewohnter. Nur darauf zu liegen ist am Anfang ein wenig seltsam."

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt