Siebzig

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Ich war froh als wir die Zelte hinter uns ließen und aus dem Schatten der Bäume auf die Lichtung traten. Der Anblick der vielen Ailés brachte mich auf andere Gedanken.

„Was ist da los?", wollte ich wissen und zeigte auf die Traube, die sich gerade aufzulösen schien. Ein paar Ordensmitglieder brachten sechs Pferde weg und Capitaine Deniau stand in der Tür seines kleinen Holzhauses.

Als Capitaine, dem höchsten Rang neben des Commandant in einem Lager, hatte er das Kommando über sämtliche Trupps und teilte sie ihren Aufträgen zu. „Milani, Lennox. Mitkommen!", rief er, als er uns sah.

Ich drehte den Kopf und entdeckte auch Caden, der auf uns zukam.

Doch als ich mich nicht rührte, fiel der Blick des Capitaine auf mich. „Brauchen Sie eine Extraeinladung, Lennox?"

Überrascht hob ich beide Augenbraue. Eigentlich war ich davon ausgegangen, dass mein Bruder gemeint war, aber als ich zu der Stelle sah, an der er gerade noch gestanden hatte, bemerkte ich, dass er längst auf dem Weg ins Haus war.
 
Ich riss mich aus meiner Starre und folgte ihm. Seit Etienne Girard mir die Wahrheit über Lex Tod gesagt hatte, war ich nicht mehr hier gewesen. Dieses Mal jedoch blieben wir im unteren Stock des Holzhauses, das als Besprechungsraum für die Offiziere diente. Noch immer lag auf dem Tisch in der Mitte eine große Karte, dieses Mal war es jedoch wesentlich voller als das letzte Mal.

Neben Girard und Capitain Deniau, der dessen alten Posten bekleidete, standen vier weitere Ailés um den Tisch herum. Bei dem Mann und der Frau, die sich bereits über die Karte gebeugt hatten, tippte ich auf Taktiker, und als ich am Offiziersabzeichen des Mannes hängenblieb, der mit verschränkten Armen in der Ecke des Raumes stand, musste ich schlucken. Sechs Sterne unter zwei gekreuzten Schwingen, was bedeutete, dass er Colonel war und damit den zweithöchsten Rang, den man verliehen bekommen konnte, inne hatte. Noch nie hatte ich so viele Sterne an einem Offiziersabzeichen gesehen.
 
Allerdings nur bis ich zu dem der Frau sah. Bei ihr waren es sogar sieben und mir wurde klar, dass ich Général Lora Mercier persönlich vor mir hatte. Sie war sogar noch beeindruckender als auf den Fotos, die in der Zeitung abgedruckt waren. Ihre Haare waren zu einer modernen Kurzhaarfrisur geschnitten worden, die ihr Gesicht noch schmäler wirken ließ. Unter ihrem Umhang trug sie einen Oxidium-Brustpanzer und an ihrem Gürtel waren neben ihrem Schwert noch Wurfmesser befestigt worden. Auf ihren Bracelets sah ich das Brandzeichen des besten Schmieds, den die Ailés hatten. Doch am beeindruckendsten fand ich ihre Augen. Sie waren grau, aber um ihre Pupillen zog sich ein brauner Ring. Entgegen meiner Erwartungen waren sie nicht stechend, sondern strahlten gleichzeitig Durchsetzungsvermögen und Freundlichkeit aus.
 
Girard schloss die Tür hinter uns. „Général, das sind Adjudant Caden Milani, der Truppenführer des besagten Trupps und Adjudant Jacob Lennox. Sie waren es, die die Gefahr, die von den Nigreos ausgeht, bemerkt haben."

Beinahe gleichzeitig salutierten wir.

Mercier nickte jedem von uns zur Begrüßung einmal zu, dann wandte sie sich wieder Girard zu. „Würden Sie mir bitte endlich erklären, was genau hier vor sich geht, Commandant?"

„Natürlich", meinte Etienne, bevor er begann von der neuen Limb-Art, die während unserer Abwesenheit auch in dieses Lager eingefallen war, den Morden an den Ausgestoßenen zu erzählen und erläuterte, was die Nigreos damit zutun hatten.

Während der männliche Taktiker ab und zu ein paar Fragen stellte, die entweder Caden oder Lex beantwortete, hörte sich Mercier alles stumm an.
 
Als der Commandant geendet hatte, trat Colonel Romain Gagnier vor. „Sie sagen also, die Nigreos, die schon eine Weile vom Orden beobachtet werden, haben wesentlich mehr Anhänger als wir annehmen. Außerdem ist es ihnen gelungen eine neue Limb-Art heranzuzüchten und funktionierende, moderne Schusswaffen nachzubilden und durch Morde an beiden Seiten beinahe einen Krieg anzuzetteln, in dem sie die Macht übernehmen wollen. Und das alles ohne das Wissen des Ordens oder der Wächter?"

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt