Langsam begann ich ernsthaft an meinen Menschenkenntnissen zu zweifeln. Wie konnte ich mich nur immer wieder so dermaßen in den Leuten täuschen? Vor allem, weil die Identität des Verräters so offensichtlich logisch war. Als lagereigener Schmied hatte Gaspard Fabron nicht nur von der Oxidium-Ladung gewusst, er kannte auch das Versteck, in dem das ganze Oxidium jetzt gerade lagerte.
Den Lauf der Pistole auf Warren und Benson gerichtet, schob er seine massige Figur zwischen uns und die Treppe. In seiner Pranke von Hand sah die Waffe winzig aus, aber mir kam gar nicht erst in den Sinn, dass er damit nicht umgehen konnte. Schließlich zeugte neben meinem Oberschenkel die tote Ailée neben mir von seiner Zielgenauigkeit.„Zurück", verlangte er und brachte Ben und den Taktiker dazu sich neben uns zu stellen.
„Sie gehören zu denen? Das kann unmöglich Ihr ernst sein, Fabron", meinte Etienne Girard.
Der Schmied schnaubte. „Das hätten Sie nicht erwartet, was?"
Girards Gesicht verriet, dass er recht hatte. Es war das letzte, mit dem er gerechnet hatte. Niemand hätte dem freundlichen Schmied das zugetraut.
Doch mich interessierte nur eine Sache. „Warum?"Erst jetzt schien er mich zwischen den Ailés und Wächtern zu entdecken. Hinter seinem dichten Bart wurden seine Mundwinkel noch ein wenig schwerer. „Es ist nichts persönliches", versicherte er und ich hätte beinahe aufgelacht.
Für mich war es sehr wohl etwas persönliches. Als ich neu gewesen war, war er der einzige gewesen, der sich um mich gekümmert hatte. Er hatte mir Mut zugesprochen, mich unterstützt. Vor allem aber hatte er mich leiden sehen. Ich war beinahe daran zu Grunde gegangen nicht zu wissen, was meinem Bruder zugestoßen war und er hatte es nicht nur die ganze Zeit über gewusst, er gehörte auch zu den Leuten, die ihm das angetan hatten.
Unwillkürlich ballte ich meine freie Hand zur Faust und wollte einen Schritt auf ihn zumachen, aber er tat das einzige, das mich davon abhalten konnte: Er richtete die Waffe auf Lex. Da die Patronen aus dem gleichen Material waren wie Jacobs Brustpanzer, würde sie die dünne Schicht Metall problemlos durchschlagen. Er wusste das von uns allen am besten. Schließlich hatte er ihn geschmiedet.Zähneknirschend hielt ich inne. Er ahnte, dass ich keine Probleme damit hatte mich auf ihn zu stürzen und meine Klinge an seine Kehle zu halten. Schließlich hatte ich bei Girard auch nicht gezögert und die gleiche, rasende Wut wie Vorgestern brannte in meinem Bauch. Wieder stellte ich fest, dass verraten zu werden schmerzte.
In der Zwischenzeit schien Fabron einen Entschluss gefasst zu haben. Ohne die Waffe von der Brust meines Bruders zu nehmen, sah er mich an. „Ich weiß, dass du schon einmal Eves Angebot ausgeschlagen hast, Aria, aber ich biete dir ein zweites Mal an dich uns anzuschließen. Du musste nicht mit dem Rest des Lagers zu Grunde gehen."Um ehrlich zu sein, überraschte mich sein Angebot. „Warum ich?", fragte ich deshalb. Ja, zu Beginn meiner Ausbildung hatte er mich ein wenig unter seine Fittiche genommen, das war aber auch schon alles gewesen. Später hatte ich ihn ab und an noch besucht, aber es war nicht so als hätten wir eine tiefe Freundschaft gepflegt.
Gaspards Blick zuckte kurz in Richtung des ehemaligen Commandant. „Im Gegensatz zu allen anderen, hast du mich nicht als selbstverständlich gesehen", war schließlich seine Antwort.„Das?", mischte sich auch Jules ein, „Das ist der Grund, warum Sie das gesamte Lager verraten haben? Weil Sie sich nicht wertgeschätzt fühlen?"
Natürlich konnte er das nicht nachvollziehen. Er und sein Bruder waren innerhalb des Ordens aufgewachsen. Er war schon immer ihre Familie gewesen. Doch auch mir entzog sich das Verständnis. Niemand bedankte sich dafür, dass wir während der Missionen regelmäßig unsere Leben aufs Spiel setzten und keiner hatte sich bei mir jemals dafür entschuldigt, wie sie mich wegen meiner menschlichen Hälfte behandelt hatten. Trotzdem war mir nie in den Sinn gekommen deshalb zwei Rassen zu unterjochen.
„Ihr Soldaten habt keine Ahnung wie es ist unsichtbar zu sein", sagte Gaspard jetzt zu Jules und sah abschätzig auf ihn herab, „Die Nigreos waren dankbarer als es der Orden und die Ailés jemals gewesen sind. Ich habe jedes einzelne Schwert, das gerade auf mich gerichtet ist, eigenhändig geschmiedet und die einzige, die sich jemals dafür bei mir bedankt hat, ist Aria Lennox."
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Feather, Sword & Blood
FantasyIm letzten Jahrhundert hat sich die Welt verändert. Eine Genmutation brachte neben den Menschen weitere Spezies hervor. Kriege, in denen nahezu das gesamte Wissen über moderne Technologie verloren ging, forderten über zwei Milliarden Leben und zerri...