Achtundsiebzig

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Es war ein Schuss. Ein verdammter Schuss.

Die anschließenden Schreie ließen nicht lange auf sich warten und ich wirbelte herum. Die Formation der Wächter stob auseinander wie ein Pusteblumenfeld, durch das ein Windzug rauschte. Als wäre es ein Kinderspiel die Soldaten dermaßen in Panik zu versetzen, dass einige von ihnen blindlings flüchteten. Wie eine Welle rollten sie auf mich zu und kurz darauf befand ich mich mitten zwischen Uniformen, Eisen und angstverzerrten Gesichtern. Die meisten jedoch hatten bereits in den Kampfmodus geschaltet und erneut ihre Waffen erhoben. Dieses Mal richteten sie sie jedoch nicht gegen uns, sondern das, was von hinten angriff und die kleine Armee innerhalb weniger Augenblicke zerpflückt hatte. Eine Sekunde später konnte ich auch endlich erkennen, um was es sich dabei handelte.
 
Der hässliche Buckel und die kurze Schnauze waren unverkennbar. Mit gefletschten Zähnen stürzte sich die Mutation auf einen Wächter, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Sein borstiges Fell und seine Klauen waren von dem Blut bereits dunkel gefärbt und in seinen kleinen Augen flackerte die pure Mordlust. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sogar behaupten, dass dieses Vieh sich mit Vorfreude auf die Menschen stürzte.

Unbarmherzig schlug es seine Zähne in die Schulter eines Wächters, der vor Schmerz aufbrüllte und blindlings um sich schlug. Seine Waffe war ihm aus der Hand gefallen, aber viel hätte es ihm ohnehin nicht genützt. Bevor ich überhaupt Zeit hatte, nach meinem Schwert zu greifen, hatte die Mutation noch einmal zugebissen und ich hörte die Knochen des Mannes brechen. Augenblicklich erschlaffte er, woraufhin das Biest ihn endlich losließ. Doch es war bereits zu spät. Leblos fiel er auf den Boden und blieb in seinem eigenen Blut liegen.
 
Ich schluckte und riss mich aus meiner Starre. Die Mutation hatte in der Zwischenzeit sein nächstes Ziel anvisiert und setzte sich bereits wieder in Bewegung. Ich schaffte es endlich mein Schwert aus der Scheide zu zerren, doch ich zögerte. Der Lärm schwoll an und die Schüsse häuften sich. Das war nicht nur eine Waffe, es musste mindestens ein verdammtes Dutzend sein. Zusätzlich tauchten weitere drei dieser Monster in meinem Blickfeld auf und langsam wurde mir klar, dass wir eindeutig im Nachteil waren. Es waren einfach zu viele und wenn es wirklich Schüsse sein sollten, die durch die Luft peitschten, hatten wir nicht die geringste Chance.
 
Auch Lora Mercier schien das erkannt zu haben, denn noch während ich überlegte, was ich tun sollte befahl sie uns, dass wir uns zurückziehen sollten. Aus dem Augenwinkel sah ich wie die Ailés, die in meiner Nähe standen, einige Schritte rückwärts machten, in mir hingegen sträubte sich etwas dagegen. Die Schreie waren plötzlich allgegenwärtig und der Geruch des Blutes kroch mir in die Nase. Wir konnten die Menschen nicht einfach den Nigreos überlassen.

Deshalb drehte ich meinen Kopf zu dem Dox der Wächter, der gerade im Begriff war, sich in die Schlacht zu werfen. „Lynch! Befehlen Sie Ihren Leuten, dass sie sich zurückziehen sollen!", brüllte ich ihm über den Lärm hinweg zu.

Er hörte mich zwar, aber an seinen zusammengekniffenen Augen konnte ich erkennen, was er von meinem Vorschlag hielt.
 
Mit drei großen Schritten war ich bei ihm und packte ihn unsanft an der Uniform. „Sagen Sie ihnen, dass sie den Rückzug antreten sollen!"

Er verzog den Mund. „Die Wächter lassen sich nicht so einfach vertreiben", entgegnete er ungehalten und wollte mich zurückstoßen, doch ich blieb hartnäckig.

„Sie haben keine Chance, verdammt noch mal! Die Nigreos haben moderne Schusswaffen und diese Biester sind blutrünstig. Sie werden nicht aufhören bis jeder einzelne Ihrer Soldaten tot ist. Das ist der falsche Zeitpunkt für Überheblichkeit."

Erstaunlicherweise zeigten meine Worte sogar Wirkung, denn nach einem kurzen Moment gab der Dox nach. Er nickte und nachdem ich von ihm abgelassen hatte, ließ er sein Schwert sinken. „Rückzug!", schrie er, „Wir ziehen uns zurück!"

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt