Acht

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Ich wachte davon auf, dass mir eine Ladung Wasser mitten ins Gesicht platschte. Innerhalb eine Millisekunde saß ich kerzengerade in meinem Feldbett und schnappte nach Luft. Panisch sah ich mich um und sah gerade noch, wie zwei Paar Flügel durch die Plane aus meinem Zelt schlüpften. Erst jetzt begriff, ich, was passiert war und spürte schlagartig den Protest meines Körpers gegen die schnelle Bewegung.

Leise stöhnte ich auf und ließ mich wieder in das klatschnasse Kissen fallen. Für einen kurzen Moment gab ich mich der Hoffnung hin, dass noch mitten in der Nacht war, aber die Sonnenstrahlen, die durch die Plane schienen, machten sie zunichte. In einem durchnässten Bett zu schlafen war ohnehin weder angenehm noch gesund. Den Eimer, mit dem sie mir das Wasser über den Kopf geleert hatten, hatten sie einfach neben dem Bett fallen lassen. Ich hatte diejenigen zwar nicht gesehen, aber ich konnte mir denken, dass es ein paar meiner sogenannten Teamkameraden gewesen waren. Ihr Gelächter hallte noch jetzt in meinen Ohren nach.
 
Mit einem wütenden Brummen schlug ich die Decke zurück, setzte mich auf und bereute es sofort wieder. Ich fühlte mich, als wäre ich über Nacht achtzig Jahre gealtert. Ich spürte jeden einzelnen Knochen, jeden Muskelstrang, jede Sehne. Eigentlich gab es kein Körperteil, das mir nicht wehtat. Sogar meine Füße fühlten sich an, als hätte jemand seine Hand darum geschlossen und würde so fest es geht zudrücken, wann immer ich auch nur auf die Idee kam, sie irgendwie zu bewegen. Am schlimmsten erwischt hatte es allerdings meine Beine. Meine Muskeln waren so verhärtet und ausgezehrt, dass ich beinahe Angst hatte, dass sie zerrissen, sobald ich sie anspannte. Aber das taten sie natürlich nicht und so blieb es bei einem schmerzhaften Ziepen.
 
Am liebsten hätte ich mich wieder hingelegt und den ganzen restlichen Tag gegen die Decke gestarrt, aber das ging natürlich nicht. In der Ausbildung trainierte man mindestens fünf Mal die Wochen und vom Wochenende waren wir noch weit entfernt. Alleine wenn ich daran dachte, dass ich in einer Stunde schon wieder auf dem Trainingsplatz stehen musste, sträubte sich mein kompletter Körper dagegen. Doch ich bezweifelte stark, dass Yates das auch nur im geringsten interessieren würde. Sie war gnadenlos und ich konnte mir denken, was sie vom Jammern hielt. Ich war zwar niemand, der sich oft beklagte, trotzdem wusste ich nicht, wie ich den heutigen Tag überleben sollte.
 
Ächzend und alles andere als elegant stemmte ich mich auf meine Beine und schwankte ein wenig. Als der Schwindel nachgelassen hatte, fiel mein Blick auf den Stapel sauber zusammengefalteten Klamotten, die man mir gestern ins Zimmer gelegt hatte. Es war das gängige Outfit der Ailé. Auch die Ordensmitglieder trugen es, sie personalisierten es lediglich ein wenig, während die Rekruten alle gleich aussahen. Vermutlich hatte das einen psychologischen Sinn, der aber irgendwie seine Wirkung verfehlte. Ich bezweifelte, dass die anderen Auszubildenden anders auf mich reagiert hätten, wenn ich die gleichen Klamotten getragen hätte wie sie.
 
Nachdem ich mich angezogen hatte, was sich mit mörderischem Muskelkater ein wenig zog, stellte ich mich vor den schmalen Spiegel, der an dem Regal lehnte. Ich trug eine braune Leinenhose, die ich in die ledernen Stiefel gesteckt hatte, und eine cremefarbene Bluse mit weiten Ärmeln, darüber eine Corsage. Auf der Rückseite der Bluse war nochmal eine Art zusätzlicher Ausschnitt, der bis auf die Mitte des Rückens herunterreichte und den man am Kragen schließen konnte, sodass nur noch ein großes Loch übrig blieb. Ich konnte mir denken, wofür das Loch war. Bei mir war es unnötig.
 
Als ich mich ansah, fühlte ich mich seltsam. Ich passte nicht hier her, aber die Kleider, die ich trug, behaupteten genau das Gegenteil. Sie standen mir. Mehr noch, es war als wären sie für mich gemacht. Außerdem musste ich zugeben, dass sie ziemlich bequem waren. Sie boten viel Bewegungsfreiheit und die Corsage bot ein wenig Schutz, in dessen Genuss die Jungs wohl nicht kamen.
 
Letztendlich bändigte ich meine roten Haare, indem ich mir einen Pferdeschwanz band und sah zu dem Eingang des Zeltes. Das da draußen war meine neue Welt, mein neues Zuhause, obwohl es sich, das Innere dieses Zeltes ausgenommen, ganz und gar nicht danach anfühlte. Ich fragte mich, wie es Tante Jill gerade ging. Sie dürfte meine Nachricht längst gefunden haben und ich hätte nur zu gerne ihre Reaktion gesehen. Stattdessen trat ich mit dem Eimer in der Hand aus dem Zelt und machte mich auf den Weg zum Hauptzelt, wo man normalerweise aß. 
 
Ich musste niemanden nach dem Weg fragen. Lex hatte mir alles so oft bis ins Detail beschrieben, dass ich das Gefühl hatte schon mal hier gewesen zu sein. Als ich in den Esssaal kam, war alles genau so wie er es mir erzählt hatte. Lange Tische und Bänke reihten sich aneinander, an einer Wand war ein Buffett aufgebaut und es war angenehm hell. Die Stimmen der vielen Ailés vermischte sich zu einem einzigen Rauschen, aber man konnte sich noch gut miteinander unterhalten. Neugierig ließ ich meinen Blick über die vielen Köpfe schweifen. Etwas weiter hinten entdeckte ich Caden, der mit einigen anderen Ailés an einem Tisch saß und mich nicht zu sehen schien. Oder mich ignorierte. Ich tippte auf letzteres. Es gab hier nicht so viele Limbs ohne Flügel und mit feuerroten Haaren.
 
Ich tat es ihm also nach und sah mich weiter um, bis ich den Tisch mit den Rekruten gefunden hatte. Sie hatten mich noch nicht bemerkt und zuckten dementsprechend erschrocken zusammen, als ich den Eimer auf den Tisch knallte. Doch als sie mich erkannten, schlich sich ein schadenfrohes Grinsen auf ihre Gesichter. Immerhin waren sie so taktvoll, wenigstens zu versuchen, es zu verbergen.

Der einzige, der mich mitleidig ansah, nachdem er eins und eins zusammengezählt hatte, war Warren. Ich wusste nicht, wer von ihnen es gewesen war, aber alleine Maélys spöttischer Blick verriet mir, dass sie die anderen höchstwahrscheinlich dazu angestiftet. Sie selbst würde sich zwar nicht die Finger schmutzig, oder in diesem Fall nass, machen, aber sie hatte damit zutun, weshalb ich zu ihr ging und den Eimer vor ihre Nase stellte.

„Ich glaube, der gehört dir", sagte ich ruhig.

Sie sah mich ohne eine Regung an, aber ich hatte auch keine Reaktion erwartet.

Ich erwiderte ihren stechenden Blick, bevor ich mich umdrehte und zum Buffett ging.
 
Mit einem vollbeladenen Teller kam ich zurück und setzte mich an das anderen Ende des Tisches. Soweit weg von den anderen Rekruten wie möglich. Ich hatte keine Angst vor ihnen, aber ich würde ihnen nicht die Genugtuung geben, auszurasten. Ich kannte das bereits und wenn ich meine Ruhe haben wollte, war die beste Methode, ihnen schlichtweg aus dem Weg zu gehen.
 
Immerhin war das Frühstück gut. Lex hatte nicht zu viel versprochen, als er erzählt hatte, dass es wirklich gut schmeckte. Für die Ailé nur das beste. Bei den Rekruten wurde da keine Ausnahme gemacht, auch wenn es die ungeschriebene Regel gab, dass die besten Sachen für die Ordensmitglieder reserviert waren. Erst nachdem ich zwei Brötchen mit Marmelade heruntergeschlungen hatte, fiel mir auf, wie sehr ich die Energie gebraucht hatte. Schließlich hatte ich gestern Abend nichts gegessen. Mein Magen nahm die Kohlenhydrate dankend an und danach fühlte ich mich tatsächlich ein wenig besser.
 
Wenig später folgte ich den anderen zum Trainingsplatz, wo Yates bereits auf uns wartete. „Wie ich sehe, haben Sie den gestrigen Tag überstanden", sagte sie zu mir.

Ich nickte bloß. Was sollte ich auch sagen?

Dann wandte sie sich der ganzen Gruppe zu. „Da Sie gestern beinahe den ganzen Tag gelaufen sind, haben Sie den Nachmittag frei. Doch zuerst werden Sie ein Krafttraining absolvieren."
 
Sie verschränkte ihre Arme auf dem Rücken und stellte sich vor mich. „Weil Sie erst eine Woche später zu uns gestoßen sind, haben Sie einiges verpasst, Lennox. Und um das aufzuholen, werden Sie wohl Überstunden machen müssen."

„Was?", fragte ich ungläubig.

„Haben Sie etwa etwas dagegen?"

Ich presste meine Lippen zusammen. „Nein, Major." Ich wollte nicht noch mehr Extrastunden aufgebrummt bekommen.

„Schön", sagte sie, „Dann schulden Sie mir 48 Stunden. Aber keine Sorge. Sie haben die gesamte dreijährige Ausbildung lang Zeit."

Ich hielt ihrem Blick stand und akzeptierte es stillschweigend. Um mich herum entstand schadenfrohes Gekicher.
 
Yates wollte sich gerade umdrehen, als ihr etwas auffiel. „Ihre Haare sind feucht, Lennox. Hat die Dame etwa heute Morgen geduscht?"

„Nein, Major."

Das Gekicher verstummte schlagartig und ich musste innerlich lächeln. „Ist etwas vorgefallen, von dem ich wissen müsste?", wollte sie weiter wissen.

Wieder sah ich ihr direkt in die Augen. „Nein, nichts." Ich war keine Petze und vor allem konnte ich meine Probleme selbst lösen. Dafür brauchte ich keine Ailée, auch wenn ich den anderen die Strafe gegönnt hätte.

Für den Bruchteil einer Sekunde kniff Yates die Augen zusammen, dann nickte sie. Sie kehrte zurück zu ihrem Platz vor der Gruppe. „Genug geplappert. Wir beginnen mit 50 Liegestützen. Auf die Knie! Los, los, los!"
 
Das Krafttraining war genauso schlimm wie das Laufen. Zumindest bekamen wir zwischen den unzähligen Sit-ups, Planks, Liegestützen und was weiß ich noch alles immer wieder kleine Pausen, um uns auszuruhen. Zwar immer nur zehn Minuten, aber ich war mir sicher, dass ich ohne sie nicht durchgehalten hätte.

Als es endlich zwölf Uhr war, gingen wir essen, danach entließ uns unsere Ausbilderin. Beziehungsweise jeden außer mich.

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt