Fünfundzwanzig

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Kaum war das Auto im Wald verschwunden, drehte ich mich um und lief zurück ins Lager. Es war ein seltsamer Abschied gewesen, aber ich hatte gelernt, je kürzer sie waren, desto einfacher. Mein Hirn hatte noch nicht wirklich verarbeitet, dass ich ihn in der restlichen Ausbildung vermutlich nicht wieder sehen würde und ich würde ihm auch keine Chance dazu geben. Schließlich waren das noch etwas weniger als zweieinhalb Jahre. Deshalb ging ich noch nicht in mein Zelt. Ich konnte jetzt ohnehin noch nicht schlafen. Dazu war ich zu aufgewühlt.
 
Es war bereits dunkel und ich ging zu meinem Lieblingsplatz. Da gab es noch etwas, das ich unbedingt ausprobieren musste. Die Klippe lagen im hellen Mondlicht und das Wetter gab heute nochmal alles. Wir hatten zwar inzwischen Herbst, aber es war angenehm war. Nicht mal der frische Wind, der mir entgegen geschleudert wurde, ließ mich frösteln.

Ich schmeckte das Salz auf meinen Lippen und schloss die Augen. Eine Gänsehaut breitete sich auf meiner Haut aus und erstaunt stellte ich fest, dass sie sich bis über meine Schwingen zogen. Es sah fast so aus, als würden sie sich ein wenig aufplustern. Ich zog sie an und legte sie um meinen Oberkörper. Sie schienen im Mondlicht zu leuchten und ich strich mit meiner Hand über die Oberseite der Flügel. Sie waren glatt und weich. Jede einzelne Feder war einfach nur perfekt.
 
Ich spürte, wie der Wind unter meine Flügel fuhr und fast automatisch breitete ich sie vollständig aus. Die Luft drückte sanft dagegen und ich merkte, wie stark sie waren. Unwillkürlich zog sich ein breites Lächeln über mein Gesicht. Dieses Gefühl war einfach unbeschreiblich.
 
Ein Blitz ließ mich plötzlich zusammenzucken und ich wirbelte herum. „Tut mir leid", sagte Jules Farrow und hob entschuldigend die Hände, „Ich wollte dich nicht erschrecken." In einer seiner Hände hielt er eine altmodische Polaroid-Kamera.

„Wow, ist die echt?"

„Klar. Ich haben sie von meinem Vater bekommen, als ich in den Orden aufgenommen wurde." Mit Kameras war es wie mit Autos. Sie waren selten und teuer. „Ist ein Hobby", meinte er und hob erklärend die Kamera hoch. 

„Und als du mich gesehen hast, dachtest du, dass du die Chance nutzt, um eine ahnungslos Ailée zu Tode zu erschrecken. Hat nur nicht so geklappt. Immerhin stehe ich noch auf der Klippe."
 
Jules hob abwehrend die Hände. „Wow. Spar dir den aggressiven Ton. Ich bin nicht Caden. Ich bin hier, um dir zu sagen, dass du recht hattest."

„Was? Kannst du das nochmal sagen?"

„Dass du recht hattest?"

„Mm. Musik in meinen Ohren. Das höre ich viel zu selten."

Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Jetzt verstehe ich, warum Caden so gerne mit dir streitet."

Dann wurde er ernst. „Nein, wirklich. Du hattest recht. Wir sind so in dem Hass gefangen, dass wir ihn gar nicht mehr hinterfragen. Ich bin so aufgewachsen und wusste eigentlich nie genau, warum ich die Menschen so verachte, aber wenn man darüber nachdenkt, hast du recht. Es ist völliger Schwachsinn. Der Hass macht einen blind. Er gibt einem ein Ziel, einen Gegner, den man bekämpfen kann und vielleicht ist das der Grund, weshalb die meisten sich ihm so bereitwillig und ohne zu überlegen hingeben. Weil es einfach ist."
 
„Ach, und da bist du ganz alleine drauf gekommen?", fragte ich spöttisch und verschränkte die Arme. Doch in Wahrheit war ich beeindruck über seine Ehrlichkeit. Es brauchte Größe, zuzugeben, dass man falschgelegen hatte.

„Wir haben lange darüber geredet und du hast recht." Er zuckte mit den Schultern. „Außerdem kam Ben zu dem Entschluss, dass er niemals so dumm sein würde, sich mit dir anzulegen."

Ich musste grinsen.
 
„Nur eine Frage. Deine Mutter. Sie war ein Mensch. Sie hat euch verlassen und dein Vater wurde von einem Menschen getötet. Warum hast du den Glauben an die Menschen nicht verloren? Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Nach all dem, was sie dir angetan haben, sie noch immer nicht zu hassen."

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt