Draußen war es inzwischen dunkel. Die Sterne leuchteten am glasklaren Nachthimmel und mein Atem kondensierte in der bitterkalten Luft. Ich wusste wenig über die Zeremonie. Nie war ich auf die Idee gekommen, irgendeinen Ailé danach zu fragen, was wahrscheinlich daran lag, dass ich nie gedacht hätte, so weit zu kommen. Dementsprechend gespannt war ich.
Obwohl ich keinen Schimmer hatte, wo ich hinmusste, war es leicht, die anderen zu finden. Nahezu das ganze Camp hatte sich um den Trainingsplatz versammelt. Dort, wo alles angefangen hatte, sollte auch alles enden. Die Waffenständer, Zielscheiben und Trainingsgeräte waren weggeräumt und auf einem der Sandplätze war ein großes Lagerfeuer angezündet worden. Fackeln, die im Schnee steckten, leuchteten den Weg dorthin und als ich an der Menge angekommen war, tat sie sich beinahe ehrfurchtsvoll auseinander. Wo ich hinsah, lächelnde Gesichter. Immer wieder klopfte mir jemand auf die Schulter und gratulierte mir zu meiner guten Leistung heute morgen. Ich nickte ihnen dankbar zu und setzte ein etwas steifes Dauerlächeln auf. Noch nie war ich dermaßen im Mittelpunkt gestanden und alle Augen auf mir zu spüren war ungewohnt.
Je weiter ich jedoch in die Mitte des Trainingsplatzes kam, desto enger wurde es. Die Leute drängten sich um das Lagerfeuer herum und es war nur eine Frage der Zeit, bis ich mit jemandem zusammenprallte. Doch entgegen meiner Erwartung war nicht ich diejenige, die jemanden anrempelte, sondern anders herum. Ich prallte von der breiten Brust ab und strauchelte, konnte aber gerade noch verhindern, dass ich auf dem Hintern landete.Als ich aufsah, entfuhr mir ein entnervtes Schnauben. „Herrgott, pass doch auf", herrschte ich Caden an, der nur spöttisch auf mich herabsah.
„Was denn? Kein »Schön, dass du wieder da bist«?"
Unbeeindruckt funkelte ich ihn an. Ich hatte keine Entschuldigung erwartet, obwohl unser Zusammenstoß ganz offensichtlich seine Schuld gewesen war. Aber dass er die Frechheit besaß, von mir zu erwarten, dass ich mich über seine Rückkehr freute, überraschte sogar mich.
„Du hattest dein Empfangskomitee doch schon heute Vormittag", entgegnete ich und wollte mich an ihm vorbei quetschen, allerdings versperrte er mir frech den Weg.„Da ist ja jemand richtig angepisst", entgegnete er auf Englisch, das wohl seinen Slang unterstreichen sollte. Ein Freund hatte mal gesagt, dass in Französisch sogar eine Beleidigung höflich klang.
Ich brauchte einen Moment, um ebenfalls in die Sprache zu wechseln. Ich hatte ewig kein Englisch mehr gesprochen. „Du fragst ernsthaft warum ich sauer bin?", empörte ich mich. Wenn einer streitsüchtig war, dann ja wohl er. Aber wenn er auf eine Konfrontation aus war, dann konnte er sie bekommen.
„Ich bin nicht sauer, Caden, ich bin wütend." Meiner Meinung nach waren das zwei komplett unterschiedliche Dinge. Und letzteres war eindeutig schlimmer.
„Du hast mich alleine gelassen, mich im Stich gelassen. Hier unter lauter Ailés, die nach meinem Versagen lechzen. Hier, wo mich keiner haben will. In meiner persönlichen Hölle, wo ich neben den Blicken, die nur darauf gewartet haben, dass ich aufgebe, jeden Tag dauerhaft an meinen Vater und vor allem an Lex erinnert werde." Ich sprach etwas leiser, da mir eingefallen war, wo ich stand. Trotzdem bezweifelte ich, dass die Ailés, die uns umgaben, uns zuhörten. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt und die wenigsten verstanden englisch.
„Es war damals deine Entscheidung. Man hat dir die Wahl gelassen und du hast dich für das hier entschieden", verteidigte er sich.„Ja, aber was wäre meine Alternative gewesen? Dort bleiben, weiterhin stehlen und mich von Menschen, die mich nicht mal ansatzweise kennen, heruntermachen lassen nur wegen meiner Herkunft? Spätestens wenn ich die Flügel bekommen hätte, wäre mir keine andere Wahl geblieben als hier her zu kommen oder mich irgendwo zu verstecken. Du weißt, wie wenig angesehen Ailés sind, die nicht zum Orden gehören. Und ich bin niemand, der sich vor irgendetwas versteckt."
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Feather, Sword & Blood
FantasyIm letzten Jahrhundert hat sich die Welt verändert. Eine Genmutation brachte neben den Menschen weitere Spezies hervor. Kriege, in denen nahezu das gesamte Wissen über moderne Technologie verloren ging, forderten über zwei Milliarden Leben und zerri...