Sechsunddreißig

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Wir ritten nahezu den ganzen Tag und schon nach zwei Stunden schmerzte mein Hintern so sehr, dass ich am liebsten gelaufen wäre.

Mittags machten wir eine Pause und die Jungs aßen die Brötchen, die sie sich beim Frühstück gerichtet hatten. Da mir davon natürlich niemand etwas gesagt hatte, stand ich mit leeren Händen da. Doch bevor ich fürchten musste, zu verhungern, gab mir jeder von ihnen ein Teil ab, sodass ich am Ende sogar satt wurde.

Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich - trotz Caden - wohl in meinem Trupp. Mir gefiel die familiäre Struktur, der Zusammenhalt untereinander und die Selbstverständlichkeit, mit der sie mich unterstützten. Als würde ich schon ewig dazugehören.

Mir wurde immer klarer, dass es genau der Grund war, warum ich so sauer auf Caden gewesen war, als er einfach abgehauen war. Ich hatte das Gefühl vermisst, dazuzugehören. Mal abgesehen von einigen wenigen waren sie die einzigen, die es nicht im geringsten zu stören schien, dass ich halb Mensch war.
 
Ich beschloss, es auf sich beruhen zu lassen, weshalb ich mich wieder der Aussicht zuwandte. Die Landschaft der Bretagne war wunderschön. Vor allem der Silberwald hatte es mir angetan, den wir allerdings schon nach wenigen Stunden hinter uns gelassen hatten. Dahinter erstreckte sich kilometerweites Hügelland, die hauptsächlich aus Ackerland bestanden.

Nach den zwei großen Kriegen zwischen den Menschen und Limbs hatte sich das Problem der Überbevölkerung, so schrecklich es auch klang, gelöst. Die Kriege und die vielen Konflikte, die sie mit sich gebracht hatten, hatten geschätzte vier Milliarden Opfer gefordert und die Technologie so gut wie vollständig ausgelöscht. Zusätzlich waren viele Ressourcen, die sie für die Herstellung von Technologie brauchten, aufgebraucht. Die Ailés hatten sich an diese Situation angepasst, während die Menschen weiterhin versuchten, ihrem alten Glanz hinterher zu rennen.
 
Wir erreichten das nächste Dorf während der Dämmerung. Auf dem Land erinnerte einen die Bauweise der Häuser an längst vergangene Zeitalter. Sie waren größtenteils aus Holz gebaut und hatten einen rustikal gemütlichen Charme.

Caden steuerte geradewegs auf ein Häuschen am Rand zu und stieg vor der Tür von seinem Pferd.

Auch ich brachte Leil dazu, stehenzubleiben und blickte auf das Schild neben dem Briefkasten. Bonnet. Der Name kam mir nicht bekannt vor.

„Aria! Brauchst du eine Extraeinladung?" Genervt hievte Caden seine Satteltaschen vom Rücken seines Hengstes und ich verdrehte die Augen.

Ich sprang vom Pferd, als die Tür des Häuschens aufschwang und eine pummelige ältere Dame auf uns zukam. Ihre Bewegungen waren ein wenig schwerfällig und ihre Flügel sahen aus, als wären sie eine Last, die sie gezwungenermaßen mit sich herumschleppte, aber sie lächelte. Ich empfand ihren Anblick als ein wenig ungewohnt, da es lange her war, dass ich eine Person gesehen hatte, die nicht vor Energie und körperlicher Fitness strotzte. Schon gar keine Ailée. Trotzdem war sie mir sofort sympathisch. Sie hatte etwas mütterliches und unglaublich liebeswürdiges.

„Caden!", rief sie erfreut und legte ihm eine Hand auf den Arm.

„Schön Sie zu sehen, Madame Bonnet. Dürfte ich Sie um eine Unterkunft für heute Nacht bitten?"

„Du immer, mein Hübscher. Kommt rein. Pierre wird sich um eure Pferde kümmern. Pierre!"
 
Ein weiterer Ailé tauchte in der Tür auf. Ich tippte auf ihren Sohn, da er die gleichen Augen wie sie hatte. Das war es dann aber auch mit ihren Ähnlichkeiten. Während seine Mutter etwas untersetzt war, war er groß und hager. Okay, hager war vielleicht ein wenig untertrieben. Seine Oberarme hatten ungefähr den Durchmessers meines Handgelenk und seine fransigen Haare hingen ihm in die Stirn. Er sah aus, als würde er zusammenbrechen, wenn er versuchen würde, ein Schwert anzuheben. Er nickte uns freundlich zu und als er mir die Zügel abnahm, lächelte er mich schüchtern an. Doch bevor ich ihm meine Hilfe anbieten konnte, hatte uns seine Mutter schon ins Haus gescheucht.
 
Von innen sah es genauso aus wie ich es erwartet hatte. Schwere Teppiche lagen auf den unebenen Eichenholz-Dielen und in der Ecke brannte in einem Kamin ein ruhiges Feuer.

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt