Zwei Jahre. So lange hörte ich nichts von dem Trupp.
Es war nicht so, dass ich von ihnen abhängig war. Das war ich nie gewesen. Aber sie waren in der kurzen Zeit, in der wir uns kannten, zu meiner Basis geworden. Selbst wenn ich das erst begriffen hatte, als sie weg gewesen waren. Sie hatten sich um mich gekümmert und ich hatte gewusst, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Außerdem hatten sie mich in ihren Kreis aufgenommen und das tat niemand sonst. Ich hatte gedacht, dass sie irgendwann zumindest für einen Besuch vorbeikommen mussten, aber ich hatte mich geirrt. Nach einem Jahr hatte ich aufgehört zu warten und mich stattdessen voll und ganz auf die Ausbildung konzentriert.
Ich wurde besser und irgendwann zahlte sich mein hartes Training aus. Erst waren die Ordensmitglieder nicht gerade begeistert gewesen, dass ich jedes Mal noch länger blieb und „ihren" Platz beanspruchte, aber nach einer Zeit hatten ich mich als gute Trainingsgegnerin herausgestellt. Die Erfahrung, die ich bei den zusätzlichen Kämpfen sammelte, kam nicht nur meinem Schwertkampf zugute, sondern auch meinem Ansehen. Langsam aber sicher brachten mir die Ailés etwas wie Akzeptanz entgegen und dass ich halb menschlich war, schien in Vergessenheit zu geraten. Was hatten sie auch für eine andere Wahl? Ich entsprach nicht dem Klischee, das sie den Menschen anhängten, und so konnten sie größtenteils über meine Herkunft hinwegsehen.Sie duldeten mich sogar an ihrem Tisch, an dem ich nach der Abreise von Caden Milanis Trupp weiter sitzengeblieben war. Zwar fühlte ich mich völlig fehl am Platz und nicht selten bekam ich mit, dass sich Ailés darüber empörten, aber alles war besser als bei meiner eigenen Trainingsgruppe zu sitzen.
Damit, dass ich die ungeschriebene Regel der Tischordnung brach und bei den regelmäßigen Kämpfen gegen die erfahrenen Ordensmitgliedern öfter gewann als es ihnen lieb war, machte ich mich unter den Rekruten nicht gerade beliebt. Sie waren der Meinung, dass mir mein Nachname und meine Verbindung zu Girard Vorteile verschaffte, aber dem war nicht so. Girard warf mich sogar aus seiner Nachhilfegruppe, weil ich sie bald nicht mehr nötig hatte und Yates schien noch unbarmherziger je besser ich wurde.
Die Ausbildung war hart, wie es Girard mir versprochen hatte. Wir verfeinerten unseren Schwertkampf, den Umgang mit unserer Zweitwaffe und unsere Nahkampffähigkeiten und immer öfter trainierten wir außerhalb des Lagers. Von Zeit zu Zeit gab jemand von uns auf und ergab sich dem Schicksal eines Ausgestoßenen, aber ich hielt durch. Hauptsächlich, weil ich keinesfalls zu meinem alten Leben zurückkehren wollte.
Ich gewöhnte mich an das Leben als Ailée und wenn ich ehrlich war, fand ich sogar Gefallen daran.———}§{———
Ich atmete aus und ließ den Pfeil los. Er zischte leise und schlug kurz darauf mit einem dumpfen Geräusch in die Mitte der Scheibe ein. Zufrieden ließ ich den Bogen sinken. Er war zu meiner Zweitwaffe geworden. Ich liebte es, wie viel Kraft man aufwenden musste um die Sehne zu spannen und wie sich diese Kraft auf den feinen Pfeil übertrug. Doch am besten war die Sekunde, bevor man ihn losließ. In diesem winzigen Moment blendete ich alles um mich herum aus und fixierte mein Ziel. Es gab nichts anderes als mich und das Ziel.
Der Bogen gehörte mir. Ich hatte ihn von meinem Sold gekauft und er war einer meiner einzigen Besitztümer. Ich war minimalistisch geworden. Wenn ich genauer darüber nachdachte, war ich das schon immer gewesen. Tante Jill war nicht gerade der großzügigste Mensch und ich hatte nie viel besessen, weshalb es für mich keine große Umstellung gewesen war. Offensichtlich sparte meine liebe Tante auch mit Worten, denn obwohl ich ihr noch zwei Briefe geschrieben hatte, hatte ich nie eine Antwort erhalten.
Ich ging durch die Schneeschicht, die den Boden bedeckte, zur Zielscheibe und zog meine Pfeile heraus. Die letzte Woche war es für Winter wirklich warm geworden und der Schnee geschmolzen, diese Nacht hatte es zum ersten Mal seit einer Woche wieder geschneit. Ich steckte die Pfeile zurück in den Köcher auf meinem Rücken und hängte mir den Bogen wie eine Umhängetasche um den Oberkörper.
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Feather, Sword & Blood
FantasyIm letzten Jahrhundert hat sich die Welt verändert. Eine Genmutation brachte neben den Menschen weitere Spezies hervor. Kriege, in denen nahezu das gesamte Wissen über moderne Technologie verloren ging, forderten über zwei Milliarden Leben und zerri...