Einundachtzig

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Ich erinnerte mich an einen Tag kurz nach meinem Abschluss, in dem ich aus einem kleinen Laden am Rande der Innenstadt geworfen worden war. Der Inhaber war ein ehemaliger Klassenkamerad gewesen. Deshalb hatte er auch um das limb'sche Blut in meinen Adern gewusst und mich achtkantig aus dem Laden geworfen.

Zuhause hatte mich dann mein Vater empfangen, der mir bereits angesehen hatte, dass etwas passiert sein musste. Sein sanftes Lächeln hatte mich jedoch noch rasender gemacht und schließlich war der ganze Frust, der sich deswegen in mir angestaut hatte, aus mir herausgebrochen. Ich hatte geflucht, getobt und war letztendlich heulend zusammengebrochen. Ich hatte einfach nicht verstehen können, warum Menschen und Limbs nicht friedlich zusammenleben konnten und warum ausgerechnet ich darunter leiden musste.
 
Dad hatte mich in den Arm genommen und bis heute hatte ich nicht vergessen, was er mir damals gesagt hatte. „Angst bringt die Leute dazu schreckliche Dinge zu tun, Aria. Und wenn es etwas gibt, wovor die Menschen, wovor jeder schreckliche Angst hat, ist es Veränderung."

Erst hatte ich nicht verstanden, was er meinte, doch irgendwann war es mir klar geworden. Die Schuld, dass unsere Gesellschaft so war wie sie nunmal war, lag nur halb bei uns. Die Probleme hatten schon begonnen als die ersten Limbs aufgetaucht waren. Damals waren unendlich viele Fragen auf die Menschen, die vermeintlich einzige intelligente Lebensform im ganzen Universum, eingestürzt und hatten sie unter sich begraben. Die ganze Zeit hatten sie außerhalb ihrer Welt nach anderen intelligenten Spezies gesucht und waren nie auch nur auf die Idee gekommen, dass sie bereits mitten unter ihnen gelebt hatte. Das Ungewisse hatte sich hinter einer Maske von Gewohntem versteckt und das war vermutlich das beängstigendste daran gewesen. Es hatte sie vollkommen aus der Bahn geworfen und weil sie sich nicht anders zu helfen wussten, haben sie den Limbs die Schuld daran gegeben.
 
Inzwischen gehörten die Limbs genauso zu diesem Planten wie die Menschen, doch die Abneigung hatte sich gehalten. Es war nicht unsere Schuld, dass wir die jeweils anderen hassten. Es war uns von unseren Eltern so beigebracht worden, so wie die es von ihren Eltern hatten beigebracht bekommen. Aber es war unsere Schuld, dass wir nichts daran änderten.
 
Das waren Dinge, über die ich mir mein Leben lang schon Gedanken machte. Niemals hätte ich gedacht, dass die Lösung so einfach sein würde. Man musste Menschen und Limbs einfach zusammen einsperren. Und plötzlich passierte etwas, was im ganzen letzten Jahrhundert unmöglich zu sein schien: Sie arrangierten sich. Sie lebten nicht mehr nebeneinander her und bekämpften sich, sondern lebten miteinander. Nichts war effektiver, um Leute dazu zu bringen zusammenzuarbeiten, als ein gemeinsamer Feind.
 
Leider konnte ich diesen seltenen Frieden kaum genießen. Die Stimmung im Lager war mehr als angespannt und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich daran eine Mitschuld trug. Schließlich hatte ich die Wächter an unseren Tisch eingeladen, obwohl wir selbst nicht genug Essen hatten. Manche mochten das Barmherzigkeit nennen, die meisten schienen jedoch andere Worte zu bevorzugen. Vor allem Maélys Morin hatte mir im Speisesaal vor möglichst vielen Ailés gesagt, was sie von meiner Aktion hielt. Sie dachte, ich sei nur auf Aufmerksamkeit aus gewesen und hätte die Heldin spielen wollen, was uns letztendlich alle das Leben kosten würde. Ich hatte sie ignoriert und mir stattdessen meine spärliche Portion geben lassen. Ich widersprach nicht, weil ich schlichtweg unsicher war. Die Wahrheit war, dass ich vor zwei Tagen selbst nicht gewusst hatte, was ich tat. Ich hatte keinen Schimmer gehabt, ob es das richtige gewesen war oder nicht und mich auf mein Bauchgefühl verlassen. Trotzdem würde ich es vermutlich wieder so machen, denn immerhin war ich mit meinem Gewissen im Reinen.
 
Das änderte allerdings nichts daran, dass bereits nach zwei Tagen merkte man die Sparmaßnahmen, die die Küche einhielt, um das gesamte Lager so lange wie möglich versorgen zu können. Jeder bekam nur so viel, dass er nicht vom Fleisch fiel. Anfangs war das kein Problem, aber der Hunger, der übrig blieb, schien sich zu summieren. Und mit ihm auch die schlechte Laune, die auch die Wächter teilten. Den meisten kam gar nicht erst in den Sinn dankbar zu sein, dass ich mich für sie eingesetzt hatte, aber eigentlich hatte ich auch nichts anderes erwartet.
 
Also hielt ich einfach den bösen Blicken stand, die mir durch das Lager folgten, und erledigte die Aufgaben, die mir zugeteilt wurden. Jeder musste helfen, egal in welchen Teil des Lagers. Meistens half ich dabei das Essen zu verteilen, stand am Zaun Wache oder griff der überfüllten Krankenstation unter die Arme. Tatsächlich gab es viel zutun, was mich immerhin von dem riesigen Damocles-Schwert ablenkte, das über unser aller Köpfe hing und mit jedem Tag, der verging, schwerer zu werden schien.

Feather, Sword & BloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt