Die Schreie

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POV. Isabella
Erneut pausiere ich meine Netflixserie. Seitdem Alessandro vorhin ohne weiteres aufgestanden und weggegangen ist, sitze ich in dem großen Wohnzimmer und schaue Netflix. Ich meine wenn man schon die Möglichkeit hat, dass man aus dem Zimmer raus darf, dann sollte man sie auch nutzen und das am besten mit einer Tüte Popcorn und einer guten Serie. Einziger Nachteil, die lauten und schmerzlichen Schreie, die alle paar Minuten aus dem Keller kommen und mich jedesmal zusammenzucken lassen. Was ist da nur los? Erneut dringt ein schmerzerfüllter Schrei durch das Haus und mich überkommt ein kalter Schauer. Noch nie in meinem gesamten Leben habe ich so etwas grauenvolles gehört.

„Na, was guckst du dir denn gerade an?" Ein gut gelaunter Luca lässt sich neben mich auf die Couch fallen und greift sich eine Handvoll Popcorn, bevor er auf den Bildschirm guckt. Ihm scheinen die Schreie nichts auszumachen, denn er zuckte noch nicht einmal mit der Wimper, als der Nächste ertönt. „Warum hast du pausiert? Keine Sorge du wirst mich garnicht bemerken." Anscheinend denkt er, dass ich wegen ihm pausiert hätte.
„Ich hab nicht wegen dir pausiert. Ich kann mich nur nicht auf den Fernseher konzentrieren, wenn hier die ganze Zeit jemand um sein Leben schreit, als würde er gerade seinen schlimmsten Alptraum erleben."
„Ach das meinst du." erst jetzt scheint Luca die lauten Schreie zu bemerken und verzieht das Gesicht. „Du hast vollkommen recht. Das geht ja mal überhaupt nicht. Ich werde ihnen kurz sagen, dass sie ein bisschen leiser sein sollen damit wir hier oben etwas verstehen. Vielleicht finde ich ja noch irgendwo Panzertape, damit ich diesem Kerl den Mund zukleben kann." Luca steht plötzlich auf und macht Anstalten, das eben gesagte zu verwirklichen. Hat der das gerade ernsthaft gesagt?!

„Halt! Was geht hier vor sich? Wer schreit da die ganze Zeit und wieso?"
Seufzend setzt sich Luca wieder neben mich und guckt mich prüfend an.
„Kennst du russisches Roulette?"
„Sollte ich?" was um alles in der Welt ist das denn jetzt schon wieder?
„Ach das ist ja auch nicht so wichtig. Stell es dir einfach so vor, wie eine Art Spiel."
„Ein Spiel? Wenn ich das hier beurteilen müsste, dann würde ich eher sagen, dass es sich anhört, als würde da gerade jemand Schmerzen der Todes durchleiden und nicht einfach nur Spielen."
Ein neuer Schrei kommt aus dem Keller und wer hätte es gedacht, dass das überhaupt geht, er ist lauter als die vorherigen. Mir kann hier keiner sagen, dass das nur ein Spiel ist. Ich bin vielleicht blond, doch das bedeutet noch lange nicht, dass ich dumm bin. Das scheint jetzt auch Luca zu erkennen, was ich an seinem kapitulierenden Seufzer zufrieden feststelle.
„Also, du musst dir vorstellen, dass man sich manchmal, besonders in dem Bereich wo wir uns befinden, mit vielen widerwärtigen Menschen rumschlagen muss. Diejenigen, die unschuldig sind, haben bei uns nichts zu befürchten, doch die wirklich schlimmen, wo die Polizei auch nicht mehr viel tun kann, die übernehmen wir. Wir reden hier von Mördern, die ohne mit der Wimper zu zucken, ein ganzes Gebäude samt Leuten in die Luft sprengen oder illegale Geschäfte, wie Drogen- und Menschenhandel, führen. Zwar betreibt die Mafia auch ein riesiges Drogenimperium, doch mit Menschenhandel wollen wir nichts zu tun haben. Wir sind selbst stark dagegen aber wieder zurück zum eigentlichen Thema. Also wir kümmern uns um diese grauenvollen Menschen und sorgen damit dafür, dass viele unschuldige Leben gerettet werden und diese Personen niemanden mehr etwas antun können. Ich bin mir zwar nicht zu hundert Prozent sicher, was Alessandro da unten genau tut, doch ich kann mir vorstellen, dass er den Kerl da unten daran erinnert, was er alles falsch gemacht hat."

Aufmerksam höre ich Luca zu. Vielleicht sollte ich geschockt sein, dass Alessandro da unten weiß Gott was mit dem Typen anstellt, doch ich bin es nicht. Ich bin weder geschockt noch ängstlich. Was ist nur mit mir los? Stecke ich schon nach nur eineinhalb Tagen so tief drinnen, dass es mich noch nicht einmal schockt?

Seufzend lasse ich mich tiefer in die Couch sinken. Ich sollte Abscheu und Wut empfinden, dass sie einen Mann auf brutale Weise quälen, doch ich tue es nicht. Ich sollte Angst vor dem da unten haben, doch ich tue es nicht. Auf eine mir unerklärliche Weise, vertraue ich Luca, dass der da unten es verdient hat und ich vertraue in gewisser Weise auch Alessandro, dass er sich da nicht irgendeinen Unschuldigen zum quälen auserkoren hat. Man ist diese ganze Sache verkorkst.

„Ok. Ich vertraue darauf, dass du mir die Wahrheit gesagt hast, doch ich warne dich. Ich lebe streng nach dem Motto, dass wenn jemand mein Vertrauen missbraucht, ich ihm nie wieder vertrauen werde."

Erstaunt sieht mich Luca an. Es ist ihm deutlich anzusehen, dass er nicht oder wenigstens nicht sofort damit gerechnet hat, dass ich ihm vertrauen werde und wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich damit auch nicht gerade gerechnet.

POV. Alessandro

Ein lebloser Giovanni liegt auf dem Boden vor meinen Füße. Ganze drei Stunden habe ich mich mit ihrem beschäftigt und ganze drei Stunden hat er geschrien wie ein Wahnsinniger. Zwar kam es nicht überraschend, denn ich bezweifle sehr stark, dass es besonders angenehm ist, wenn einem die Zähne und Nägel nach und nach rausgezogen werden und man mehrere Runden russisches Roulette ertragen muss, doch ein bisschen leiser wäre trotzdem schön gewesen.
Die gesamte Prozedur über, durfte ich mir anhören, was für ein grausamer Mensch ich bin und wie sehr er es bereut mich getroffen zu haben. Das glaube ich ihm nur zu gerne.

Ich verlasse die Zelle und blicke zu den beiden Männern, die bis vor ein paar Stunden noch auf die Zelle aufgepasst haben.
„Kümmert euch um die Leiche und macht danach die Zelle sauber."
Sie nicken nur, bevor sie die Zelle betreten und ich nach oben gehe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Isabella die Schrei mitbekommen haben muss und sich nun wahrscheinlich in ihrem Zimmer vor mir versteckt.

Ein lautes Lachen unterbricht meine Gedanken und erweckt meine Aufmerksamkeit. Das war doch gerade Isabella.

Schnell gehe ich in die Richtung, aus der es kam und finde mich schließlich im Wohnzimmer wieder. Isabella und Luca sitzen auf der Couch und gucken irgendeine Serie auf dem Fernseher.
Erneut überkommt mich die Wut, doch diesmal gilt sie Luca. Was hat er denn bei Isabella zu tun und warum scheinen die beiden so glücklich.

Ich Presse meine Lippen zusammen und atme ein paarmal tief ein und aus, um mich wieder zu beruhigen, bevor ich mich, durch ein Räuspern, bemerkbar mache.
Erschrocken drehen sich die beiden um und starren mich für einige Sekunden an, bevor sich Isabellas Lippen zu einem Grinsen verziehen.

„Da bist du ja endlich. Wir haben überlegt zum Strand zu gehen. Willst du mitkommen?"

Ich will gerade antworten, dass ich nicht besondere Lust auf den Strand habe und noch viel tun muss, da fällt mir auch schon Luca ins Wort.
„Na klar kommt er mit. Oder Kumpel?"
Genervt verdrehe ich die Augen. Warum bin ich nochmal mit ihm befreundet?

Meinetwegen, aber nicht so lange."
Das wird ein Spaß. (Ironie)

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