Ich kann kein Land mehr sehn

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Die letzte Tour der Monde ist schon über ein halbes Jahr her. Sie verbringen nun wieder viel Zeit im Proberaum, um an neuen Songs zu arbeiten. Schließlich will die Plattenfirma so bald wie möglich ein neues Album rausbringen. Ein bisschen was haben sie schon geschrieben, aber alle vier merken, dass es nur schleppend voran geht. Besonders bei Thomas landen mehr Zettel im Papierkorb als auf dem Stapel mit den neuen Ideen. Schon einige Tage lang beobachtet Stefanie ihn besorgt. Normalerweise nimmt er seine Gitarre oder geht zum Klavier und lässt seine Gedanken und Gefühle durch Melodien sprechen. Doch beide Instrumente hat er nun schon mehrere Tage lang nicht mehr berührt. Er beschäftigt sich nur mit Stift und Zettel, doch die meisten Textzeilen, die er aufschreibt, streicht er sofort wieder durch. Auch heute ist wieder einer solcher Tage, an denen die vier seit Stunden hier sitzen und gar nichts weiter geht. Es herrscht eine bedrückende Stille im Raum. Jeder sitzt in einer Ecke und hängt seinen eigenen Gedanken nach. Irgendwann hält Stefanie es nicht mehr aus und durchbricht diese quälende Stille „Jungs! Wir sollten dringend miteinander reden. So kann das nicht weitergehen." Nowi und Johannes sehen sofort von ihren Zetteln auf und nicken zustimmend. „Du hast Recht, das ist wohl dringend nötig!" gibt Johannes zu. Alle drei blicken zu Thomas, der weiterhin gedankenverloren vor sich hin starrt. Er scheint sie gar nicht gehört zu haben.

„Hallo! Thomas!" spricht Johannes ihn etwas lauter an. Das reißt ihn aus seinen Gedanken und er sieht seinen Bruder an „Was?". „Steff meinte grad, wir sollten mal dringend miteinander reden" klärt ihn Johannes auf. „Äh, ja...worüber denn?" fragt Thomas ziemlich abwesend. Johannes sieht zu Stefanie, doch merkt sofort, dass sie grade nicht in der Lage ist, etwas zu sagen. Sie ist zu aufgewühlt von Thomas Verhalten. „Ich denke, wir sollten genau das hier mal besprechen. Wir sitzen seit Tagen hier rum und bringen nichts weiter. Es ist einfach irgendwie die Luft draußen – bei uns allen" beginnt Johannes. Thomas sieht ihn nur mit ausdruckslosen Augen an. Dann steht er plötzlich auf. „Muss aufs Klo" murmelt er und verschwindet aus dem Raum. Stefanies Augen füllen sich mit Tränen. Nowi und Johannes starren Thomas hinterher, bis Stefanie mit einem Aufschluchzen ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht. „Oh Mann, Steff!" ruft Nowi und läuft sofort zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen. „Verdammt, ich kann nicht mehr" schluchzt sie in Nowis Armen „So geht es seit Tagen. Er redet nicht mit mir, er sieht mich nicht an...er...er berührt mich nicht. Es ist als wäre er gar nicht da..." Auch Johannes hat sich zu ihr gehockt und streicht ihr beruhigend über den Rücken. „Ich weiß, Kleine! Und ich wünschte, wir könnten dir irgendwie helfen. Aber ich befürchte, wir können dir nur helfen, wenn wir Thomas helfen...und das...das wirkt grade sehr aussichtslos" sagt Johannes bedrückt. „Ich glaub, wir brauchen alle dringend eine Auszeit" überlegt Nowi, während er Stefanie ein Taschentuch reicht. „Ja, ich denke, dass das im Moment die einzig sinnvolle Lösung ist" stimmt ihm Johannes zu. Die drei setzen sich gemeinsam auf die Couch und warten bis Thomas endlich zurück kommt. Nach einiger Zeit geht die Türe auf und Thomas schlurft mit einem Kaffee in der Hand wieder herein. „Sorry...wo warn wir stehn geblieben" fragt er ziemlich teilnahmslos und sieht die drei flüchtig an.

Obwohl Thomas normalerweise sofort spürt, wenn es Stefanie nicht gut geht, bemerkt er heute nicht einmal die Spuren der Tränen, die auf ihren Wangen noch zu sehen sind. Er setzt sich den dreien gegenüber auf den Stuhl und dreht seine Tasse in den Händen. „Ok, Leute!" über nimmt Nowi das Kommando „Wie wir alle vier merken, macht das hier zur Zeit überhaupt keinen Sinn. Wir könnten noch weitere Tage hier drin sitzen und nichts zustande bringen, aber davon hat keiner was. Es wäre sinnvoller, wenn wir uns eine kurze Auszeit nehmen, um wieder Energie und Ideen zu sammeln, und uns frühestens in einer Woche erst wieder hier treffen. Was meint ihr?" „Ich bin dafür!" sagt Stefanie sofort und Johannes fügt hinzu „Ich auch!" „Gut!" stimmt auch Thomas dem Vorschlag zu. Die vier räumen ihr Chaos im Proberaum noch auf und verabschieden sich dann. Johannes nimmt Stefanie in den Arm. „Ich werde die nächsten Tage zu Vera nach Hamburg fahren" sagt er leise „Aber wenn du was brauchst, dann ruf mich bitte an." Stefanie nickt. Während sie sich noch von Nowi verabschiedet, öffnet Thomas bereits die Türe. „Tschüss!" sagt er an Nowi und Johannes gerichtet und sieht dann Stefanie an „Ich warte unten." Dann ist er auch schon verschwunden. Stefanie steigen schon wieder die Tränen in die Augen. „Bleibst du in Berlin?" fragt sie Nowi hoffnungsvoll. Doch dieser schüttelt den Kopf. „Ich hab grad vorher beschlossen, in die Heimat zu fahren. Ein Tapetenwechsel kann nicht schaden." Als er Stefanies enttäuschten Blick sieht, fügt er noch hinzu „Tut mir leid, Kleine!" Stefanie schluckt ihre Tränen hinunter und strafft ihre Schultern. „Alles gut! Ich schaff das schon!" sagt sie – mehr zu sich selbst als zu den anderen beiden. Johannes und Nowi drücken sie noch einmal, bevor sie dann alle drei den Proberaum verlassen.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt