Durch die Nacht

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Als die Garage von Nowis Eltern in Stefanies Blickfeld kommt, hört sie schon das Schlagzeug und den Bass. Haben die Jungs wohl schon ohne sie angefangen. Stefanie wirft einen Blick auf die Uhr. Kein Wunder, sie ist schließlich schon fast 20 Minuten zu spät dran. Sie bleibt stehen. Kurz überlegt sie, ob sie nicht doch wieder umdrehen soll. Eigentlich hat sie grade gar keine Lust auf Gesellschaft. Aber es ist die Musik, die sie hergetrieben hat. Die Musik ist ihr sicherer Ort. Der Ort, wo sie sich fallen lassen, ihre Probleme und Sorgen wenigstens für einen Moment vergessen kann. Sie wirft einen Blick in das schmutzige Fenster des Schuppens. Traurig lässt sie den Blick über ihr Gesicht wandern, über ihre langen lockigen Haare. 'Wieso bin ich eigentlich nur so ein normalo Mädchen? Wieso kann ich nicht die Hübsche sein mit den Markenklamotten?' schwirren die Gedanken durch ihren Kopf. Sie seufzt leise, als der Klang der Gitarre sie aus ihren Gedanken reißt. Sie sieht zur Tür, die in die Garage führt. Sie sollte wohl endlich reingehen, bevor die Jungs noch eine Vermisstenanzeige aufgeben. Normalerweise ist sie immer die Erste. Stefanie versucht, sich ein Lächeln ins Gesicht zu setzen und öffnet die Tür. Die drei Jungs bemerken sie gar nicht, weil sie so in ihr Spiel versunken sind. Stefanie lässt ihren Blick über die drei wandern. Erst seit Kurzem sind sie nur noch zu viert, die Brüder Johannes und Thomas, Andreas am Schlagzeug und sie. Sie kann zwar kein Instrument spielen, aber das mit dem Singen bekommt sie einigermaßen hin. Eigentlich haben sie immer zu sechst geprobt, aber irgendwie ist den anderen beiden die Luft ausgegangen. Sie wollten einfach nicht so viel Zeit investieren, hatten auch andere Interessen. So sind sie nun zu viert übrig geblieben. Sogar einen neuen Namen haben sie sich schon überlegt, sie heißen jetzt JAST – Johannes, Andreas, Stefanie, Thomas.

In dem Moment hören die Jungs zu spielen auf. „Na schön, dass Sie uns auch mit Ihrer Anwesenheit beehren, Frau Kloß" lacht ihr Thomas entgegen, doch als er in ihr Gesicht blickt, wird er sofort wieder ernst. „Ist was passiert, Steff?" fragt er gleich darauf besorgt. Die dunklen Augenringe und die leicht geröteten Augen verraten sofort, dass es ihr nicht gut geht. Außerdem reicht Stefanies Lächeln nicht mal ansatzweise bis zu ihren Augen. Auch Andreas und Johannes merken, dass mit Stefanie irgendwas nicht stimmt. Doch diese schüttelt den Kopf. „Alles gut, Jungs! Entschuldigt die Verspätung, lasst uns einfach anfangen" meint sie und stellt sich auf ihre Position. Alle drei werfen ihr noch fragende Blicke zu, doch da Stefanie anscheinend nicht darüber sprechen will, beginnen sie zu spielen. Sofort verliert sich Stefanie in der Musik, lässt sich von ihr weit davon tragen...Weg von ihren Zweifeln, weg von ihrem Kummer, weg vom realen Leben. Nach der Probe verabschiedet sich Stefanie so schnell wie möglich. Sie will nicht mit den Jungs reden, will nicht, dass sie fragen, was los ist. Kaum, dass sie bei der Garage draußen ist, sehen sich die Jungs verblüfft an. „Was ist der denn über die Leber gelaufen?" fragt Andreas und die Brüder Stolle zucken beide nur ratlos mit den Schultern. Auch die nächsten Tage verläuft die Probe gleich. Stefanie kommt meistens zu spät, redet kaum und verschwindet, sobald die Probe beendet ist. „Wisst ihr was? Das kann so nicht weitergehen! Morgen gehen wir nach der Probe Pizza essen und Steff kommt mit – sie soll endlich sagen, was los ist" erklärt Andreas eines Tages und die anderen beiden nicken zustimmend. Als Stefanie am nächsten Tag ausnahmsweise mal wieder pünktlich bei der Probe auftaucht, wird sie gleich in den Pizza-Plan eingeweiht. „Tut mir leid, Jungs...ich...ahm...ich kann nicht" versucht sie sich rauszureden, doch Andreas lässt keine Widerrede zu. „Steff, heute ist Freitag! Du bist 16, da wirst du doch nach der Probe mit uns noch zum Pizzaessen können!" Drei Paar Augen sehen sie auffordernd an und Stefanie weiß, dass sie dem nicht auskommt. Schließlich stimmt sie zu und die vier starten mit der Probe.

Drei Stunden später machen sie sich gemeinsam auf den Weg zu ihrer Lieblingspizzeria. Kurz bevor sie dort ankommen, bleibt Stefanie plötzlich stehen. „Ich...ähm...sorry Jungs, wir...wir sehen uns!" stottert sie, dreht sich um und ist auch schon weg, bevor die drei noch darauf reagieren können. Die Jungs schütteln den Kopf und sehen ihr ratlos nach. Keiner weiß, was eigentlich mit ihr los ist. „Soll ich nach ihr sehen?" fragt Thomas, doch sein Bruder meint „Lass sie einfach...Mädchen haben eben manchmal einen Vogel. Sie wird sich schon wieder einkriegen." „Hoffen wir's mal" nuschelt Thomas und grüßt dann seinen Klassenkameraden Toni, der eng umschlungen mit einem Mädel neben der Tür der Pizzeria lehnt. Sie setzen sich auf ihren Stammplatz in der Ecke und bestellen sich Pizza und Bier, doch so richtig genießen kann es keiner der drei. Stefanie liegt schon längst zusammengekuschelt in ihrem Bett, ihr Polster nass von ihren Tränen, als ihr Handy piepst und eine Nachricht von Thomas anzeigt. Er fragt, ob er irgendwas für sie tun kann. Traurig legt sie ihr Handy wieder zur Seite, ohne auf die Nachricht zu antworten. Was soll er denn machen können? Ihr lange, schlanke Beine verpassen? Ihr ein perfekteres Gesicht zaubern? Sie nicht mehr so unscheinbar wirken lassen? Niemand kann ihr helfen...Irgendwann schläft sie ein, doch mitten in der Nacht wird sie von ihren Tränen wieder wach. Gerade hat sie davon geträumt, dass sie mit ihm vor der Pizzeria steht, eng an ihn gekuschelt...nicht diese doofe Lea aus der Parallelklasse. Schon seit Wochen bekommt sie Toni nicht mehr aus ihrem Kopf. Hin und wieder hat er ihr sogar zugelächelt und sie begrüßt. Doch letzte Woche hat sie ihn mit Lea zusammen gesehen. Da ist ihre kleine Welt zusammengebrochen. Seit diesem Zeitpunkt versucht sie, ihn aus ihrem Kopf zu bekommen, doch es klappt einfach nicht. Irgendwie quält Stefanie sich durch die Nacht und schläft erst in den frühen Morgenstunden wieder ein.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt