Hab keine Angst vor deinen Schwächen (1/2)

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„Ach scheiße, Nowi! Irgendwann reicht es" tönt plötzlich eine zornige Stimme aus der Küche. Andreas, der sich gerade zum Schlagzeug gesetzt hat, um sich warm zu spielen, sieht erschrocken auf. Als die vor Wut bebende Stefanie in der Küchentüre erscheint, zieht er unbewusst den Kopf ein. Er weiß schon, was gleich auf ihn zukommt. „Kannst du...VERDAMMT NOCH EINMAL...die Stecker in der Steckdose lassen? Es ist neun Uhr morgens, ich brauche JETZT dringend meinen Kaffee und WIESO hab ich keinen in der Hand? Weil DU schon wieder die scheiß Stecker rausgezogen hast!!!" brüllt Stefanie wütend in seine Richtung. „Ich...es...es tut mir leid" murmelt Andreas und macht sich noch ein Stück kleiner hinter seinem Schlagzeug. „Steck dir dein Tut mir leid sonst wohin und lass lieber mal die Stecker drin!" schnaubt Stefanie, bevor sie sich umdreht und die Küchentür mit einem Knall ins Schloss fallen lässt. Thomas, der das Stimmen seiner Gitarre unterbrochen und die Szene still beobachtet hat, wirft jetzt einen Blick zu Andreas. Als er ihn völlig bedrückt und schuldbewusst dort sitzen sieht, fragt er besorgt „Alles okay Now? Du weißt, dass Steff sich gleich wieder beruhigt. Nimm dir das nicht so zu Herzen." Doch Andreas schüttelt nur den Kopf. „Sie hat ja recht" murmelt er betreten.

In dem Moment öffnet sich die Tür vom Proberaum und Johannes kommt herein. „Entschuldigt die Verspätung, ich hab Vera noch zum Zug gebracht..." begrüßt Johannes seine Bandkollegen, unterbricht sich aber selbst, als er die bedrückte Stimmung bemerkt. „Was ist denn hier los?" fragt er und sieht abwechselnd zu Thomas und Andreas „Und wo ist Steff?" Nachdem Andreas weiterhin stumm sein Schlagzeug betrachtet, antwortet Thomas „Steff hat mal wieder einen Auszucker bekommen, weil die Kaffeemaschine ausgesteckt war..." „Oh" ist das Einzige was Johannes erwidert, weil er sich vorstellen kann, wie das abgelaufen ist. Steff will man nicht erleben, wenn sie wütend ist, denkt er sich und ist froh, vorhin noch nicht dagewesen zu sein. „Wollen wir dann vielleicht anfangen?" fragt Thomas in der Hoffnung, die Stimmung damit verbessern zu können. „Ich hol mal Steff" fügt er hinzu und geht in die Küche. Dort lehnt Stefanie beim Fenster und sieht hinaus. „Na mein kleiner Brummbär, geht's wieder?" fragt Thomas vorsichtig und legt eine Hand auf ihre Schulter. „Nenn mich nicht so und nein, ich bin immer noch sauer" grummelt Stefanie, ihr Blick wird jedoch ein wenig weicher, als sie Thomas ansieht. „Was biste denn so zickig heute?" bohrt Thomas weiter, der die Launen seiner Freundin mittlerweile nur zu gut kennt. „Ich bin einfach müde, weil der Kleine nachts andauernd wach war. Weißt du doch eh, warst ja dabei" murrt sie. „Ja das weiß ich, geht mir genauso. Deshalb schrei ich aber nicht Bandkollegen an, die überhaupt nichts dafür können. Außerdem spielt unser kleiner Mann grade friedlich mit seinen Autos. Das heißt, wir könnten mal mit den Songs anfangen, ohne gleich wieder unterbrochen zu werden" erwidert Thomas. Stefanie grummelt irgendwas Unverständliches vor sich hin. Thomas sieht sie schmunzelnd an. „Noch eine Umarmung bevor's losgeht?" fragt er und zieht sie auch schon in seine Arme. Stefanie kuschelt sich an Thomas und brummt noch mal leise. „Sag ich ja, Brummbär" lacht Thomas und drückt ihr einen sanften Kuss auf den Scheitel. „Blödmann" nuschelt Stefanie, hat aber ein leichtes Lächeln um die Lippen, als sie zu Thomas aufsieht und ihm einen Kuss auf die Lippen drückt.

Kurz darauf gehen die beiden mit dem Kaffee, der nun endlich fertig ist, rüber zu den anderen beiden. Stefanie wirft einen Blick zu Andreas, der gerade damit beschäftigt ist, an seinem Schlagzeug was herumzuschrauben, damit er Stefanie nicht ansehen muss. Stefanie setzt an, um sich zu entschuldigen, doch sie bringt es nicht über die Lippen. Sie kann sich nicht entschuldigen, wenn ihr Ärger noch nicht ganz verflogen ist. Mit einem leisen Seufzer setzt sie sich auf ihren Platz und wartet darauf, dass sie mit der Probe starten. Thomas schlägt einen Song vor, den sie versuchen wollen, und alle machen sich bereit. Eine halbe Stunde versuchen sie es, doch es geht einfach nicht. Die Stimmung ist so angespannt, dass sich keiner richtig konzentrieren kann. Johannes und Thomas sehen sich an und kommunizieren ohne Worte, dass sie so gar nicht weitermachen brauchen. Die beiden hören auf zu spielen und Thomas sieht Stefanie an. Er deutet ihr mit seinem Blick, dass sie sich bei Andreas entschuldigen soll. Doch sie springt auf und murmelt „Ich seh mal nach dem Kleinen." Dieser ist kurz vorher mit seinen Autos in die Küche verschwunden, wo er jetzt vor einem Stuhl sitzt und mit den Autos die Stuhlbeine hoch und runter fährt. Eine Weile beobachtet Stefanie lächelnd ihren Kleinen und vergisst alles um sich herum. Erst als sie die Tür des Proberaums ins Schloss fallen hört, schreckt sie wieder auf. Sie geht zu den Jungs zurück und sieht sofort, dass Andreas nicht mehr da ist. „Wo ist Nowi?" fragt sie die anderen beiden. „Weg...er meinte, er braucht heute Abstand" erwidert Johannes leise. Da dreht sich Stefanie auf der Stelle um und rennt zur Tür. Hinter sich hört sie noch Thomas, der ihr nachruft „Stefanie, wo willst du denn jetzt hin?" Doch sie muss Andreas einholen. Sie kann das so nicht stehen lassen. Sie weiß, dass er sich wegen ihr schlecht fühlt. „Nowi, warte!" ruft sie durchs Treppenhaus, in der Hoffnung, dass er sie noch hört.

So schnell sie kann läuft sie die Treppen hinunter. Als sie völlig außer Atem unten ankommt, steht Andreas in der geöffneten Haustüre. „Stefanie bitte...ich kann heute nicht...ich will jetzt nach Hause" sagt er leise, dreht sich um und geht auf den Parkplatz hinaus. Stefanie fängt die Türe noch auf und ruft „Andreas Jan Nowak...du kommst jetzt sofort hierher!" Andreas dreht sich noch einmal um und kommt ein paar Schritte zurück. „Steff, lass gut sein. Du hast vollkommen recht...ich bin eine Last für euch alle. Ich komm meistens zu spät, ich treib euch in den Wahnsinn mit dem Stecker Rausziehen und meine Konzentration lässt momentan auch zu wünschen übrig. Ich halte euch nur auf. Macht heute ohne mich weiter..." Stefanie tut es im Herzen weh, wie hart Andreas über sich selbst urteilt. „Nowi, bitte hör mich an! Es tut mir leid! Ich hätte dich vorhin nicht so anschreien dürfen. Bitte komm wieder mit hoch" fleht sie ihn an und streckt ihm eine Hand entgegen. „Steff...es...ich...ich pack's heute echt nicht..." murmelt Andreas und Stefanie merkt, wie viel Kraft es ihn kostet, seine Tränen zurückzuhalten. Sie lässt die Tür los, die sie immer noch festhält und geht die paar Schritte zu ihm. Bevor Andreas reagieren kann, hat sie ihn schon in die Arme geschlossen. Kurz darauf spürt sie, wie ein paar Tränen seine Wangen runterlaufen. Da wird ihr erst bewusst, dass er schon die letzten Tage ziemlich abwesend gewesen war. Doch sie war so mit ihren eigenen Problemen und ihrem Schlafmangel beschäftigt gewesen, dass sie es gar nicht richtig wahrgenommen hat. „Bitte komm mit hoch und erzähl uns, was dich beschäftigt. Ich will dich so nicht gehen lassen. Ich hab dich doch lieb, Now" flüstert sie in sein Ohr und ihr schlechtes Gewissen plagt sie immer mehr. Wieso hat sie ihn nur so angeschrien? Sie hätte doch längst merken müssen, dass es ihm nicht gut geht. Erleichtert atmet sie auf, als er ihr schließlich zustimmt und wieder mit ihr mit hoch geht.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt