1000 Fragen

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„Tschüss Leute, bis morgen" verabschiedet sich Nowi von seinen Bandkollegen, die grade bei der Garagentüre rausgehen, und setzt sich dann wieder hinters Schlagzeug, um noch eine Weile in der Musik zu versinken. Als die anderen drei sich ein Stück von der Garage entfernt haben, meint Stefanie „Sagt mal, ist euch Andreas heut nicht auch irgendwie seltsam vorgekommen? Irgendwie so neben der Spur..." Die Brüder sehen sich an und nicken dann. „Ich weiß nicht so genau, aber ich glaub mit seiner Freundin kriselt es ein bisschen...aber ihr kennt ja Nowi, der macht ja am liebsten immer alles mit sich selbst aus, anstatt mit anderen drüber zu sprechen" erklärt Johannes. Stefanie sieht ihn spöttisch an. „Als ob ihr beide da so anders wärt" sagt sie und die beiden ziehen unbewusst den Kopf ein. „Ich glaub, ich frag ihn morgen einfach mal, was los ist" erklärt Stefanie entschlossen und erntet von Thomas dafür nur ein „Tu, was du nicht lassen kannst." Als die drei am nächsten Tag bei ihrem Proberaum in Nowis Garage ankommen, dringt der Klang des Schlagzeugs schon bis nach draußen, obwohl die Garage extra gut abgedichtet wurde, damit Nowi dort in Ruhe üben kann, ohne die ganze Nachbarschaft zu stören. „Na wenn der so weiter macht, schafft er's glatt noch, sein Schlagzeug zu zerstören" grinst Thomas, bevor er die Tür zur Garage öffnet.

Er will hinein gehen, doch plötzlich bleibt er stehen, weil er sieht, dass der ganze Boden mit Zettel bedeckt ist. Stefanie, die gleich hinter ihm nachkommt, läuft in ihn rein und stößt einen überraschten Laut aus. Dieser lässt Nowi vom Schlagzeug aufblicken, ansonsten hätte er die drei gar nicht bemerkt. „Oh, ist es schon so spät?" fragt er erstaunt und kommt dann schnell hinterm Schlagzeug hervor, um die ganzen Zettel aufzuheben. „Tut mir leid, dass es hier so aussieht" murmelt er, während er hektisch alle Blätter aufsammelt. Da geht Stefanie zu ihm hin und legt ihm eine Hand auf den Rücken. „Lass doch liegen, Now! Willst du uns nicht lieber erzählen, was eigentlich los ist?" fragt sie. Nowi sieht zu ihr auf und ihr besorgter Blick bringt ihn dazu, sich seufzend auf den Boden zu setzen und die aufgesammelten Zettel in seinen Schoß fallen zu lassen. Stefanie setzt sich neben ihn, die Brüder Stolle lassen sich gegenüber von den beiden am Boden nieder. Eine Weile schweigen die vier und Nowi betrachtet die Zettel in seinem Schoß. Endlich hebt er seinen Blick wieder und meint „Ich...ahm...ich hab da ein bisschen was aufgeschrieben..." Gleichzeitig hält er Stefanie ein paar Zettel hin. Leise liest sie vor, was drauf steht, damit auch Johannes und Thomas wissen, was Nowi aufgeschrieben hat „1000 Fragen drehn sich nur um dich. Was soll ich tun, mein Engel? Wann siehst du mich? Ich fleh dich an, denn ganz egal, was ich tu, du machst die Augen zu, du machst die Augen zu." Nowi deutet ihr, am anderen Zettel weiterzulesen. „Siehst du nicht dieses Meer über uns. Ich hab Angst und wir treiben ohne Land in Sicht. Hab versucht deinen Blick zu verstehn. Könnt ich nur durch deine Augen sehn." Als Stefanie geendet hat, flüstert Nowi „Na, jetzt wisst ihr in etwa, wie's in mir drin aussieht..."

Stefanie streicht ihm vorsichtig über den Rücken. „Aber was ist denn nur geschehen? Ihr wart doch immer so glücklich zusammen..." Nowi seufzt leise. „Wenn ich das nur wüsste...genau aus diesem Grund hab ich ja 1000 Fragen in meinem Kopf. Sie gibt mir irgendwie nichts mehr, an das ich glauben kann. War das alles nur Schein in den letzten zwei Jahren? Sie lässt mich nicht mehr in unsre gemeinsame Welt rein. Und dadurch zerfällt diese...Ich hab einfach das Gefühl, dass unsre Zeit langsam ausläuft. Wisst ihr, wir gehen tausend Straßen lang...ohne Ziel und sie kommt niemals an. Ich lauf doch nur noch alleine. Ich will nur wissen, wie's weitergeht, doch sie redet einfach nicht mit mir" erzählt Nowi zerknirscht. „Vielleicht habt ihr euch einfach auseinander gelebt?" meint Johannes „Sie bereitet sich auf ihr Studium vor, will die Welt entdecken...und du verbringst die meiste Zeit des Tages hier drin, um dich am Schlagzeug zu verbessern, weil wir vier ein gemeinsames Ziel vor Augen haben. Möglicherweise sind eure Ziele mittlerweile so konträr geworden, dass es sich einfach nicht mehr vereinbaren lässt..." Nowi sieht seinen Freund nachdenklich an. „Vielleicht hast du recht...aber ich will sie einfach nicht gehen lassen...sie ist mir doch wichtig!" erwidert er. „Dann solltest du wohl dringend mit ihr reden" schlägt Stefanie vor, doch Nowi sieht sie traurig an. „Ja wenn sie doch nicht will...wenn sie mir einfach nicht zuhört. Immer ist irgendwas anderes wichtiger, wenn ich eigentlich mit ihr drüber reden will..." „Dann müssen wir sie eben dazu bringen, dass sie dir zuhört" sagt Thomas bestimmt. Drei Paar Augen sehen ihn fragend an, weshalb er sich erklärt „Nowis Texte...wir machen einfach gleich einen Song draus und spielen ihn ihr dann vor. Daraufhin muss sie einfach mit ihm reden." Nowi sieht ihn skeptisch an. Er denkt nicht, dass das was hilft, doch da Johannes und Stefanie sofort dafür sind, stimmt er schließlich zu. „Einen Versuch ist es wert...schlimmer kann es eh nicht mehr werden..." flüstert Nowi, bevor sie an die Instrumente gehen.

Die nächsten Tage arbeiten die vier nur an diesem einen Lied. Sie feilen noch ein wenig am Text, fügen noch ein paar Teile hinzu, bis vor allem Nowi schlussendlich damit zufrieden ist. Schließlich soll der Song ja das ausdrücken, was er fühlt. Er lädt seine Freundin ein, zwei Tage später am Abend in den Proberaum zu kommen. Nervös tigert Nowi durch die Garage. Stefanie geht zu ihm hin und hält ihn an den Schultern fest. „Atme einmal tief durch, Now! Du musst das nicht tun...wenn du's möchtest, spielen wir den Song für sie, wenn du's nicht willst, ist es auch vollkommen okay. Wir wollen dich da in nichts reinrennen, was du nicht willst" erklärt sie ihm. Nowi sieht sie dankbar an. „Ich weiß, Steff! Aber ich glaub, es ist echt notwendig. Anders kommen Laura und ich einfach nicht ins Gespräch" sagt er traurig. Stefanie zieht ihn kurz in den Arm und Thomas, der bei den beiden vorbei geht, klopft Nowi aufmunternd auf die Schulter. Fünf Minuten später klopft es und Nowi öffnet seiner Freundin die Tür. Er hat gefragt, ob sie nicht ein wenig bei der Probe zuhören möchte und zum Glück ist sie gekommen. Erst spielen die vier ein paar andere Lieder, um rein zu kommen. Dann machen sie eine kurze Pause und Nowi sieht seine Freundin an. „Den nächsten Song haben wir erst in den letzten Tagen geschrieben...er beschreibt, wie's momentan in mir drin aussieht. Bitte hör genau hin, Laura" sagt er leise und beginnt dann ziemlich aufgeregt einzuzählen. Nowi ist währen des Spielens so konzentriert, dass er gar nicht auf die Reaktion seiner Freundin achten kann, doch Stefanie beobachtet sie genau und bemerkt die Tränen, die sich in ihren Augen sammeln. Als der Song aus ist, steht Laura auf und während sie sich umdreht und zur Tür geht, murmelt sie „Es tut mir leid, Andreas..." Kurz darauf fällt die Türe ins Schloss. Verdattert starren ihr die vier hinterher, bis Thomas sich als erster fängt und ruft „Verdammt Nowi, jetzt renn ihr nach!"

Mit zitternden Knien kommt Nowi hinterm Schlagzeug hervor und verlässt ebenfalls die Garage. Er muss gar nicht lange suchen, Laura steht nur ein paar Meter weiter und hat das Gesicht in den Händen vergraben. Traurig bemerkt Nowi ihre bebenden Schultern, als er näher kommt. „Laura..." flüstert er vorsichtig, bevor er sie in seine Arme zieht. Leise schluchzt sie an seiner Brust auf. Als sie sich einen Moment später wieder etwas beruhigt hat, sieht sie mit verheulten Augen zu ihrem Freund auf. „Andreas...ich hätt schon viel früher mit dir sprechen sollen...aber...aber ich hatte einfach Angst. Ich...ich will dich nicht gehen lassen, du bist mir wichtig! Aber ich hab das Gefühl, dass wir schon vor einiger Zeit in unterschiedliche Richtungen abgebogen sind. Du weißt, ich möchte Kulturwissenschaften studieren, will das nicht nur in der Theorie lernen, sondern die Welt erkunden, am liebsten sogar im Ausland studieren...und du hast ebenfalls große Pläne. Ich versteh das und ich wünsch es euch so sehr, dass ihr mit der Band Erfolg habt! Aber ich glaube nicht, dass wir das alles unter einen Hut bringen..." schildert sie ihm mit rauer Stimme ihre Gedanken. Nowi schluckt hörbar, bevor er ihr sanft einen Kuss auf den Scheitel drückt. „Ich hab's irgendwie gefühlt...und es ist gut, dass es jetzt endlich ausgesprochen ist" flüstert er heiser und wischt sich schnell eine Träne aus dem Augenwinkel. „Die Zeit mit dir war trotzdem wunderschön und ich möchte sie nicht missen" wispert Laura und küsst Nowi zum Abschied noch einmal zärtlich auf den Mund. „Geht mir genauso" erwidert er und gibt sie dann aus seinen Armen frei. Als Laura schon ein paar Schritte Richtung Gartentor gegangen war, dreht sie sich noch einmal um und sagt mit einem Lächeln „Und wenn ihr dann mal euer erstes großes Konzert habt, werd ich in der ersten Reihe stehen und euch zujubeln!" Nowi schenkt ihr noch ein zartes Lächeln und sieht ihr dann nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden ist.

Traurig schlurft er zurück in die Garage, wo es sich die anderen drei in der Zwischenzeit auf der Couch gemütlich gemacht haben. Sofort verstummt ihr Gespräch und sie sehen Nowi fragend an, als er in die Garage tritt. Dieser schüttelt nur stumm den Kopf und eine Träne läuft einsam seine Wange hinunter. Stefanie springt sofort auf und zieht Nowi in ihre Arme. Auch Thomas und Johannes stellen sich dazu und legen ihre Arme um die beiden. „Es...es tut schon weh..." flüstert Nowi noch etwas aufgewühlt „aber es ist auch gut so...es hat einfach nicht mehr gepasst. So wir ihr gesagt habt, wir haben uns einfach auseinander gelebt, haben nun unterschiedliche Ziele vor Augen...und es ist an der Zeit, dass jeder seinen eigenen Weg geht." Die vier lösen sich aus der Umarmung und Stefanie meint lächelnd „Aber nur dass du's weißt: wir sind auf deinem Weg immer an deiner Seite!" Da stiehlt sich auch in Nowis Gesicht wieder ein zartes Lächeln und er erwidert „Das will ich wohl hoffen, denn mit einem Schlagzeug alleine auf der Bühne, werd ich vermutlich nicht so weit kommen!"

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt