Symphonie

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„Hallooooo Thomas!" ruft Nowi und winkt vorm Gesicht seines Bandkollegen, der abwesend ins Leere starrt. Überrascht sieht Thomas auf. „Was denn?" fragt er ein wenig gereizt. „Wo bist du denn mit deinen Gedanken? Wir haben grade überlegt, ob wir uns noch an einen neuen Song setzen wollen" erklärt ihm der Schlagzeuger ruhig. Doch der Gitarrist sieht nicht grade begeistert aus. Eigentlich ist meistens er derjenige, der die anderen dazu animiert, neue Texte aufzuschreiben, doch irgendetwas beschäftigt ihn heute. Stefanie wirft einen besorgten Blick zum Gitarristen. „Thomas, du weißt, dass du mit uns über alles reden kannst, nh?" sagt sie leise, als Antwort bekommt sie jedoch nur eine abweisende Handbewegung. „Es ist nichts, ich hab aber heute auch keinen Bock mehr. Ich werd schon mal losdüsen" erklärt er und packt seine Gitarre ein. „Warte, dann komm ich gleich mit" meint sein Bruder. „Sorry Hannes, ich treff mich noch mit Nici...sag Mama bitte, dass ich wahrscheinlich gleich bei ihr bleibe" bittet Thomas, doch Johannes schüttelt den Kopf. „Thommy, heute ist Mittwoch! Du weißt, dass Mutti absolut nichts davon hält, wenn du bei Nici übernachtest, schon gar nicht, wenn am nächsten Tag Schule ist" erinnert ihn Johannes. „Mensch, spiel hier nicht den Moral Apostel, Hannes! Ist ja schließlich meine Sache, was ich tue. Außerdem bin ich bald 18 und ich werd bestimmt nicht so ein Langweiler sein wie du und alles machen, was Mutti sagt!" empört sich Thomas. Johannes sieht seinen Bruder mit hochgezogenen Augenbrauen an. Irgendwas stimmt mit ihm heute so gar nicht.

Zehn Minuten später kommt Thomas am vereinbarten Treffpunkt an, wo seine Freundin schon auf ihn wartet. Erstaunt lässt er seinen Blick über ihre Klamotten wandern. Seit wann trägt sie denn diese engen Hosen? Und dann noch diese Markentasche dazu, die grade fast alle Mädchen in der Schule tragen. Er begrüßt sie mit einem flüchtigen Kuss und meint dann „Seit wann hast du denn dieses Mini-Teil? Da geht ja gar nichts rein." Für diese Aussage erntet er einen empörten Blick „Hey, das ist grade voll in! Sag nicht, dass sie dir nicht gefällt!?" Thomas brummt irgendetwas Unverständliches. Dann hängt sich Nici an seinen Arm und sie machen sich auf den Weg in die Bar, in der schon einige ihrer Schulkameraden auf sie warten. Die meiste Zeit des Abends beschäftigt sich Thomas mit ein paar Kumpel anstatt mit Nici, die mit ein paar Freundinnen auf der Tanzfläche ist. Erst, als sie wieder zu ihm kommt, sich an ihn schmiegt und meint, ob sie nicht nach Hause gehen wollen, nimmt er ihre Hand in seine. Am Nachhauseweg plappert Nici wie aufgezogen und Thomas kommt kaum zu Wort. Er wüsste aber auch gar nicht, was er ihr sagen sollte. Er hat keine Ahnung von diesen ganzen Modetrends oder Promis, von denen sie spricht und es interessiert ihn auch nicht. Seufzend lässt er seinen Blick in die Ferne schweifen. Was ist nur mit ihr geschehen? Irgendwie ist sie nicht mehr das Mädchen, in das er sich vor ein paar Monaten verguckt hat. Eigentlich war sie eher lässig, hat sich nicht viel aus diesem Mädchenkram gemacht. Als sie endlich bei Nici Zuhause ankommen, flüstert sie in Thomas Ohr „Meine Eltern kommen heute erst spät nach Hause! Wir haben also sturmfrei..." Um ihr Vorhaben noch deutlicher zu machen, beginnt sie seinen Hals zu küssen. Thomas hebt sie hoch und trägt sie in ihr Zimmer. Als sie eine Weile später beide erschöpft in Nicis Bett liegen, schlingt sie ihre Arme um ihn und schläft sofort ein. Doch Thomas kann einfach nicht schlafen. Noch lange starrt er an die dunkle Zimmerdecke, hört ein paar Stunden später ihre Eltern nach Hause kommen. Er versteht sich mit den beiden echt gut, doch heute fühlt es sich irgendwie falsch an, hier zu liegen.

Er wartet, bis es im Haus ruhig geworden ist. Dann schlängelt er sich vorsichtig unter Nicis Armen raus, sucht seine Klamotten zusammen und verlässt unbemerkt das Haus. Doch auch in seinem eigenen Bett kommt er nicht zur Ruhe. Als am nächsten Morgen der Wecker klingelt, fühlt er sich wie gerädert. Mühsam quält er sich aus dem Bett und in die Küche. Johannes sieht ihn überrascht an. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst bei Nici? Mama war übrigens nicht sehr begeistert, nur damit du dich gleich auf ihre Standpauke einstellen kannst" sagt sein Bruder. „Schon gut Hannes...ich...ach keine Ahnung, ich weiß nicht, ob das mit Nici noch passt" murmelt er. Johannes legt seinem Bruder eine Hand auf die Schulter. „Ich bin immer für dich da, wenn du was brauchst" erklärt er und Thomas sieht ihn dankbar an. Eine halbe Stunde später machen sich die beiden auf den Weg – Thomas in die Schule und Johannes in das Altenheim, wo er seinen Zivildienst macht. Thomas seufzt leise auf, als er Nici bereits mit traurigem Blick vor der Schule auf ihn warten sieht. „Wieso bist du denn abgehauen?" fragt sie leise, als er näherkommt. Thomas nimmt sich einen Moment Zeit und sieht ihr tief in die Augen. Er muss feststellen, dass da wirklich nichts mehr ist, dass er einfach nichts mehr für sie fühlt. „Nici...ich..." beginnt er und wirft dann einen Blick in den Himmel, als er ein leises Donnern hört. „Lass uns erstmal rein gehen, es beginnt bestimmt gleich zu regnen" sagt er, doch Nici macht keine Anstalten sich zu bewegen. „Nein, du sagst mir hier und jetzt, was du mir sagen willst" erklärt sie mit fester Stimme, doch Thomas merkt sofort, dass es sie viel Mühe kostet, diese Fassade aufrecht zu erhalten. Als er die ersten Regentropfen am Kopf spürt, sieht er sie noch mal fragend an, doch sie hält ihn mit festem Blick und ernstem Gesichtsausdruck fest. Schließlich atmet Thomas einmal durch, bevor er ihr das sagt, was sie nicht hören will. „Nici, ich denke es bringt einfach nichts mehr. Irgendwie haben wir uns voneinander entfernt und ich...ich fühle nicht mehr dasselbe wie damals, als wir uns kennengelernt haben..."

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt