Hey Ma

232 14 2
                                    

Vorsichtig schließt Stefanie die Tür des Kinderzimmers, lehnt sich mit dem Rücken dagegen und lässt sich leise seufzend auf den Boden gleiten. Fast zwei Stunden hat sie damit verbracht, ihren Kleinen ins Bett zu bringen. Müde vergräbt sie ihr Gesicht in den Händen, während sie von altbekannten Zweifeln heimgesucht wird. Da ist Thomas einmal drei Tage nicht da und sie hat das Gefühl, das alleine einfach nicht hinzubekommen. Sie holt das Handy aus der Tasche ihres Hoodies raus und sieht, dass dieser ihr gerade eben geschrieben hat. Er will wissen, ob es ihnen gut gehe und wünscht eine gute Nacht. Am liebsten würde sie ihn anrufen, einfach seine Stimme hören, die sie fast immer beruhigen kann. Doch sie will ihm nicht seinen kleinen Trip mit Hannes vermiesen. Weiß sie doch, dass er sie immer sofort durchblickt und sich sorgen würde. Darum tippt sie schnell ein paar Worte, dass es ihnen gut gehe, der Kleine bereits schlafe, sie das jetzt auch machen werde und dass sie ihn vermisse. Kurz darauf vibriert ihr Handy ein weiteres Mal. Sie muss schmunzeln. Thomas ist die einzige Person, die sie kennt, die sich weigert, Emojis zu verwenden. Grinsend schickt sie ihm genau deswegen als Antwort nur den Kuss-Emoji zurück. Ein warmes Gefühl breitet sich in ihr aus. Sogar aus so einer Entfernung schafft er es, dass sie sich besser fühlt. Darum steht sie vom Boden auf und macht sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Doch als sie dort das Spielzeug-Chaos entdeckt, werden ihre Zweifel sofort wieder laut. Um diese wenigstens ein bisschen zu beruhigen, räumt sie die Autos in die Kiste zurück, stellt die Bilderbücher in das kleine Regal und schiebt die Bausteine auf die Seite. Doch ihre Gedanken werden einfach nicht leiser.

Sie setzt sich auf die Couch und versucht sich abzulenken, indem sie durch Instagram scrollt. Aber irgendwie klappt auch das heute nicht. Sie öffnet ihre Kontakte und lässt ihren Finger über dem Namen ihrer Mama schweben. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigt ihr, dass es kurz nach zweiundzwanzig Uhr ist. Normalerweise ist diese um die Uhrzeit noch munter. Nach einem kurzen Zögern wählt sie und bereits nach dem zweiten Klingeln hört sie die Stimme ihrer Mutter. „Hey Ma" murmelt Stefanie ins Telefon und merkt, wie ihr die Stimme bricht. „Stefanie, Kleines..." hört sie den vertrauten Klang ihrer Mutter durch das Telefon „Ist was passiert?" Die Besorgnis in der Stimme ihrer Mutter lässt Stefanie leise aufschluchzen. Dann schiebt sie mit krächzender Stimme aber gleich nach „Nein, nein! Hier ist alles gut...ich...ich wollte dich einfach hören..." Ihre Mutter seufzt auf. „Stefanie, das klingt aber nicht so, als ob alles gut wäre. Du weißt, dass du über alles mit mir sprechen kannst." Stefanie zieht ihre Beine an und schlingt den freien Arm um ihre Knie. Kurz hadert sie mit sich, doch dann sagt sie mit brüchiger Stimme „Ach Mutti...ich frag mich, wie du das damals alles hinbekommen hast...ganz alleine mit uns beiden sicherlich nicht einfachen Mädels...Thomas ist grade mal drei Tage nicht da und ich hab das Gefühl, absolut nichts hinzubekommen...einfach keine gute Mutter zu sein..." Bei den letzten Worten löst sich eine Träne aus Stefanies Augenwinkel, die sie schnell wegwischt. „Ach Kleines, das ist doch ganz normal, dass man solche Gefühle hat. Du bist eine wundervolle Mutter und das sehe ich jedes Mal, wenn ihr zu Besuch seid, in den Augen deines Sohnes...in der Art, wie er dich ansieht" versucht Stefanies Mutter sie zu beruhigen. Stefanie seufzt leise auf und berichtet ihrer Mutter dann von allen Dingen, die ihr gerade durch den Kopf gehen. Eine ganze Weile quatschen die beiden und als Stefanie fast eine Stunde später auflegt, fühlt sie sich viel leichter und voller Dankbarkeit, dass sie ihre Mama noch an ihrer Seite hat und diese immer für sie da ist. Sie weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.

Das Gespräch mit ihrer Mama lässt Stefanie auch am nächsten Tag irgendwie nicht los und als der Kleine abends im Bett ist, holt sie aus ihrem Schrank ganz oben eine kleine Kiste raus, in der sich alte Fotos aus ihrer Kindheit befinden. Mit einem Lächeln im Gesicht stöbert sie durch Fotos, auf denen sie als Baby zu sehen ist oder schon im Schulalter, manchmal alleine, manchmal gemeinsam mit ihrer Schwester. Ein paar Fotos sind auch von ihren ersten Auftritten mit dem Chor und der Band. Doch nun entdeckt sie ein Foto, das sie mit ihrer Mama und ihrer Schwester an einem Strand zeigt. 1989 liest sie auf der Rückseite, doch das hätte sie auch so gewusst, denn es war der erste Urlaub ohne Vater, weil ihre Eltern gerade in der Trennungsphase waren. Und gerade weil Stefanie jetzt weiß, was ihre Mutter damals durchmachen musste, bewundert sie die Stärke, die ihre Mama auf diesem Foto ausstrahlt. Sie ist so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkt, wie die Wohnungstüre aufgesperrt wird. Erst als Thomas sich zu ihr beugt und ihr einen sanften Kuss auf die Wange drückt, schreckt sie auf. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken" sagt Thomas, während er um die Couch herumgeht, sich neben die Sängerin setzt und sie zu sich zieht. Diese kuschelt sich sofort an ihn und küsst ihn zärtlich auf die Lippen. „Ich hab dich vermisst" murmelt sie und drückt ihr Gesicht in seine Halsbeuge, um seinen vertrauten Duft einzuatmen. Eine Weile sitzen die beiden eng umschlungen auf der Couch und genießen einfach nur die Nähe des anderen. Irgendwann gibt Thomas Stefanie einen sanften Kuss auf die Stirn und fragt, was sie sich da eigentlich ansehe. Er deutet auf das Foto, das Stefanie immer noch in ihrer Hand hält. „Das...das war unser erster Urlaub nur zu dritt. Sieh mal, wie meine Ma strahlt...und das, obwohl es zu dieser Zeit alles andere als leicht für sie war...diese Frau ist einfach unglaublich" flüstert Stefanie gerührt und streicht zärtlich über das Foto, während ein paar Tränen über ihre Wangen laufen.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt