Machen wir das Beste draus

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Schon seit einer halben Stunde steht Stefanie vorm Fenster und sieht in die leeren Straßen hinunter. Sie hat sich nicht vom Fleck gerührt, seit sie vorhin den Kleinen zum Mittagsschlaf niedergelegt hat. Das Lächeln, das er ihr wenigstens noch ins Gesicht zaubern kann, hat sich auch schon wieder verzogen. Über eine Woche sitzen sie nun schon hier zuhause fest. Eine Pandemie, die auf einen Schlag die ganze Welt beherrscht. Immer noch wünscht sie sich, endlich aus diesem schrecklichen Traum zu erwachen...aber es ist leider kein Traum. Wie rasend schnell sich dieser Virus ausbreitet, wie viele Menschen bereits daran gestorben sind. Noch vor ein paar Monaten hat so etwas nach Utopie geklungen, doch nun ist es die harte Realität. Niemand soll mehr seine Wohnung verlassen, außer um die notwendigsten Einkäufe zu erledigen. Der Großteil des Handels ist geschlossen – Lockdown, Abstand halten, Masken tragen...wie konnte das nur passieren? Was ist mit dieser Welt nur los? Doch am schwersten ist es, dass man sich mit niemandem aus einem anderen Haushalt treffen soll...Kontakte nach außen komplett runterfahren...wie sehr sie einfach Nowi und Hannes vermisst. Sie sehen sich normalerweise mehrmals die Woche, sehr oft sogar täglich. Und die Sorge um ihre Familie, um ihre Freunde ist einfach so groß. Immerhin kann man mittlerweile über das Handy videotelefonieren. So können sie sich wenigstens virtuell sehen...sehen, dass es den anderen gut geht. Auch wenn das nur ein kleines Trostpflaster ist. Stefanie ist immer jemand, der versucht, das Gute in allem zu sehen, doch diese Ausnahmesituation bringt auch sie sehr an ihre Grenzen. Eine Träne stiehlt sich aus ihrem Augenwinkel. Heute ist einer der Tage, an denen es wirklich schwer ist.

Sie sehnt sich nach einer Umarmung. Wo ist denn eigentlich Thomas? Nachdem sie ihn nirgends sieht und hört, vermutet sie ihn in ihrem Arbeitszimmer, das wohl eher ein kleines Musikzimmer ist. Leise öffnet sie die Tür und ein leichtes Lächeln legt sich auf ihr Gesicht, als sie ihn dort mit den Kopfhörern vor dem Keyboard entdeckt. War klar, dass er in die Welt der Musik geflüchtet ist, um ein wenig Abstand von all dem zu bekommen. Vorsichtig legt sie von hinten ihre Arme um ihn und vergräbt ihr Gesicht für einen Moment in seinen Haaren, um seinen vertrauten Duft einzuatmen. Thomas verschränkt seine Hände mit ihren und für einen Augenblick verharren sie in dieser Position. Wie seine Nähe es einfach immer schafft, dass sie ruhig wird. Als sie sich von ihm löst, nimmt Thomas die Kopfhörer ab und zieht Stefanie zu sich auf den Schoß. Er sieht sofort, dass es ihr nicht gut geht. „Na, heut wieder einer der schwierigeren Tage?" fragt er leise und streicht ihr durchs schwarze Haar. Stefanie nickt und kuschelt sich eng an ihn. „Weißt du, es ist einfach so paradox. Draußen ist es wunderschön, einfach schon Frühling. Und wir sitzen hier drin fest, mit unserer Angst, mit unseren Sorgen. Aber...weißt du, was mir vorhin durch den Kopf gegangen ist...Was ist mit den ganzen Menschen, die kein Zuhause haben, die kein Dach übern Kopf haben...Wie kann ich es mir erlauben, mich schlecht zu fühlen, wenn es da draußen Menschen gibt, die es noch viel schwerer haben. Ich denk auch an die Menschen, die schon geliebte Personen durch diesen Virus verloren haben...Oder die ganzen Leute, die da draußen alles aufrechterhalten...die in den Krankenhäusern arbeiten und dieses Leid hautnah miterleben müssen...und die, die jeden Tag dem Virus ausgesetzt sind, weil sie im Supermarkt, in der Apotheke und so weiter arbeiten müssen...es...es ist einfach so falsch, sich schlecht zu fühlen...und trotzdem kann ich nicht anders..." sprudelt es aus Stefanie heraus, während ihr die Tränen über die Wangen laufen. „Pschhh..." versucht Thomas sie zu beruhigen und streicht zärtlich ihren Rücken rauf und runter.

„Es ist okay, dass es dir nicht gut geht! Es ist für uns alle eine Ausnahmesituation. Uns wurden von einem Moment auf den anderen Dinge genommen, die einfach selbstverständlich waren. Es ist nicht einfach, mit so etwas umzugehen. Und ja, es gibt viele Menschen, die es viel schlimmer trifft als uns. Trotzdem gibt das niemandem das Recht dir deine Gefühle abzusprechen. Die ganze Situation macht einem Angst, wir wissen nicht, was auf uns zukommt, wir wissen nicht, was morgen ist. Jeder hat Sorgen um seine Liebsten und auch um sich selbst. Und die Gedanken, die du dir um die anderen Menschen machst, zeigen nur wieder mal, was für ein wundervoller Mensch du bist" erklärt Thomas und haucht ihr einen Kuss auf die Stirn. „Danke" flüstert Stefanie ergriffen. „Momentan ist es echt schwer, das Beste aus der Situation zu machen...aber ich bin froh, dass ihr beide hier bei mir seid" sagt Stefanie und küsst Thomas zärtlich. Dann steht sie auf. „Ich seh mal nach unsrem Zwerg, vielleicht will er ja, wenn er munter ist mit Papi Klavier spielen" meint Stefanie zwinkernd und macht sich auf den Weg ins Kinderzimmer. „Jederzeit!" ruft Thomas ihr nach und wendet sich dann wieder den Tasten zu. Gerade als Stefanie das Kinderzimmer betritt, wird der Kleine wach. „Mama!" strahlt er ihr entgegen und lässt sich von ihr aus dem Bettchen nehmen. Noch ein wenig verschlafen kuschelt er sich an sie, was Stefanie wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Als er ein paar Minuten später richtig wach ist, fragt er nach seinem Papa und Stefanie geht mit ihm ins Arbeitszimmer. Strahlend streckt der Kleine Thomas die Arme entgegen und kann es kaum erwarten, auf seinem Schoß Platz zu nehmen. Sofort patschen seine kleinen Händchen am Keyboard herum und Stefanie kann es nicht lassen, ein Video von ihren zwei Männern zu machen und in die Bandgruppe zu schicken. >> Wir arbeiten an neuen Songs << schreibt sie dazu, gefolgt von einem grinsenden Emoji. Kurz darauf läutet ihr Handy und Johannes ruft per Videocall an. „Ich will auch mitmachen" lacht er ins Telefon und sitzt schon mit seinem Bass vorm Handy. Stefanie stellt das Telefon am Keyboard ab und der Kleine ruft freudig „Onti Ans!" ins Telefon.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt