Unerfüllte Wünsche

327 11 6
                                    

Auch dieser Oneshot ist durch das Titelbild, das jemand im Voraus für mich gemacht hat, inspiriert :)

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
POV Stefanie:
Was ist nur passiert? Wieso steh ich jetzt hier alleine? War ich doch letztes Mal noch mit ihm hier an genau dieser Stelle. Ich spüre, wie mir die Tränen aufsteigen. Ich löse meine zitternden Finger, stecke die Hände in meine Manteltaschen und sehe mich um. Unser Lieblingsplatz...anfangs waren wir jedes Wochenende, das wir nicht im Tourbus verbracht haben, hier draußen. Und jetzt schon über ein Jahr nicht mehr. Schmerzhaft fallen mir die Worte ein, die ich ihm an den Kopf geworfen habe, bevor ich mir meinen Mantel geschnappt habe und aus der Wohnung gestürmt bin. „Du interessierst dich überhaupt nicht mehr für mich. Wann hatten wir das letzte Mal Zeit für uns? Du hast aufgehört, um uns zu kämpfen! Vielleicht lassen wir's einfach!" Aus dem Augenwinkel hab ich noch den verletzten Ausdruck in seinen Augen wahrgenommen, bevor ich die Türe hinter mir zugeknallt hab. Habe ich ihm unrecht getan? Nur, weil er meine Idee für ein Wochenende nur zu zweit abgelehnt hat...Und eigentlich hatte er vollkommen recht. Die Tour startet in zwei Wochen, die Vorbereitungen dafür sind noch längst nicht abgeschlossen. Wir haben grade wirklich keine Zeit dafür. Aber ich war so versessen auf meine Idee, dass ich ihn gar nicht angehört habe. Ich hab nur sein Nein gehört und sofort Rot gesehen. Wieso muss ich auch immer so impulsiv sein. Schon zum fünften Mal vibriert mein Handy in der Manteltasche. Ich muss gar nicht nachsehen, wer es ist. Aber ich bin noch nicht bereit mit ihm zu sprechen...Muss erst meine Gefühle sortieren. Und es ist einfach so verdammt schwer, seinen Stolz hinunter zu schlucken und sich zu entschuldigen.

In der Ferne höre ich ein Auto. Sofort keimt die Hoffnung in mir auf, dass er es ist...Aber woher soll er wissen, wo ich bin...und wieso sollte er nach mir suchen? Schließlich hab ich grade die Andeutung platzen lassen, dass wir Schluss machen sollten. Außerdem bin ich mit unserem gemeinsamen Auto unterwegs. Langsam gehe ich zu diesem zurück, das ich in einer kleinen Ausweiche am Straßenrand geparkt habe und lasse meinen zitternden Körper auf die Motorhaube sinken. Während ein Auto immer näher kommt, kurz darauf an mir vorbeirast und die Geräusche wieder leiser werden, vergrabe ich mein Gesicht in den Händen. Ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Meine Schultern beginnen zu beben und ein verzweifelter Schluchzer verlässt meine Kehle. Ich wollte das alles doch gar nicht! Er ist mein Fels in der Brandung, er erdet mich und verleiht mir Flügel, wenn Zweifel überwiegt...Er ist nicht nur mein Partner, nein er ist mein bester Freund und mein Seelenverwandter. Wie konnte ich nur so dumm sein! Meine Angst, ihn mit dieser Aktion endgültig von mir gestoßen zu haben, nimmt mir die Luft zum Atmen. In meinem Inneren höre ich seine warme Stimme „Du musst atmen, Kleine. Tief ein- und wieder ausatmen!" Und obwohl er gar nicht hier ist und ich nur an ihn denke, beruhigt sich mein Körper. Mit den Händen wische ich mir die Tränen von den Wangen. Dann rutsche ich noch ein Stückchen weiter auf die Motorhaube und ziehe meine Knie an. Ich schlinge meine Arme um sie und stütze mein Kinn auf den Knien auf. So wie meinen Blick lasse ich auch meine Gedanken in die Ferne ziehen. Die letzten Jahre waren nicht einfach für uns. Nach unsrer vierten Platte sind wir draufgekommen, dass es so nicht weitergehen kann. Wir hatten keine Freude mehr an der Musik, haben nur noch funktioniert und keinen einzigen unserer Erfolge genossen, aus Angst, dass wir dann auf die Nase fallen würden. Wir haben lange diskutiert und überlegt, ob wir überhaupt noch weitermachen sollen. Doch das Band, das uns vier seit achtzehn Jahren verbindet, und die Liebe zur Musik waren stärker als alle Zweifel.

Darum haben wir vieles geändert, Teile unseres schweren Gepäcks abgeworfen und mit neuer Energie, einem veränderten Team und leichtem Gepäck ein neues Album geschrieben. Eigentlich sollte doch alles gut sein. Aber wieso fühlt sich das Gepäck auf meinem Rücken dann grade so verdammt schwer an? Welchen Teil von unsrer neuen Philosophie hab ich nicht verstanden? Ich durchforste jeden Winkel meines Gehirns, um herauszufinden, was eigentlich mein Problem ist. In dem Moment hält ein Auto neben mir. Wieder blitzt ein Funken Hoffnung in mir auf, doch der verfliegt sofort wieder, als ich eine weibliche Stimme vernehme. „Ist bei Ihnen alles in Ordnung oder brauchen Sie Hilfe?" fragt eine Frau durch das geöffnete Autofenster. Ich ringe mir ein Lächeln ab und antworte mit gespielt fröhlicher Stimme „Vielen Dank, bei mir ist alles gut! Ich brauchte nur eine kurze Pause vom Fahren." Als ich ein helles Kinderlachen aus dem Auto höre, geht mein Blick zum Fenster der Rückbank, wo zwei neugierige Gesichter herausblicken und mir fröhlich zuwinken. Mit schwerer Hand winke ich den Kindern zurück und verabschiede mich, bevor das Auto weiterfährt und die Frau das Fenster wieder schließt. Und da fällt es mir wie Schuppen vor die Augen...genau DAS ist mein Problem. Ich hatte immer schon den Wunsch, einmal eigene Kinder zu haben, eine eigene Familie zu gründen...nun war ich schon 31 und bei dem vollen Terminkalender, den wir für die nächsten Monate – ach was, für die nächsten zwei Jahre – haben, kann ich mir diesen Wunsch schon wieder abschmieren. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich es irgendwo tief in meinem Inneren verfluche, dass wir uns als Band gerettet haben...dass wir schon wieder ein neues Album geschrieben haben und dass meine privaten Wünsche immer hinten anstehen müssen. Wird jemals der richtige Zeitpunkt dafür kommen? Oder wird immer ein neues Album, eine geplante Tour oder irgendwas anderes wichtiger sein als mein größter Herzenswunsch?

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt