Wenn's am schönsten ist

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POV Stefanie

Es ist Anfang September – unser letztes Konzert von diesem Sommer liegt erst ein paar Tage zurück. Ich bin gefüllt mit Dankbarkeit, Liebe und unbeschreiblichen Erinnerungen. Kann gar nicht richtig glauben, dass das alles passiert ist. Begonnen in Graz vor über drei Monaten hat uns unsere Tour nach den Österreich Konzerten in die Schweiz und dann durch ganz Deutschland geführt. Obwohl alles ganz anders war, wir davor so lange nicht gespielt hatten, war es trotzdem irgendwie wie immer. Alles verändert sich und alles bleibt gleich. Dieses Gefühl auf der Bühne zu stehen, in die strahlenden Augen der Fans zu gucken. Zu hören, wie sie unsere Songs voller Leidenschaft mitsingen. Und das nach so vielen Jahren. Irgendwie kaum zu glauben, dass wir immer noch hier sind, dass es immer noch Leute gibt, die wir mit unserer Musik berühren können. Und gleichzeitig kann ich es mir anders gar nicht vorstellen. Wir hatten nie einen Plan B und ich könnte nicht dankbarer sein, dass unser Plan A so aufgegangen ist. Dass wir vier immer noch die besten Freunde sind. Dass wir immer noch unsere Leidenschaft miteinander teilen, obwohl jeder daneben auch sein eigenes Leben hat. Bald ist es 25 Jahre her, dass wir uns kennen gelernt haben. Damals hätte ich nie gedacht, dass diese drei Jungs aus der Band so viele Jahre später immer noch zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben zählen werden. Einer von den dreien noch ein bisschen mehr als die anderen beiden...

Genau in dem Moment legen sich zwei Arme um mich. Als Thomas seine Hände auf meinem Bauch verschränkt, lasse ich mich sanft nach hinten an ihn fallen. Ich spüre, wie er mich festhält. Mein sicherer Ort, der Mensch, bei dem ich mich fallen lassen kann. Ich lege meine Hände über seine und schließe die Augen. Während ich einmal tief durchatme, küsst er mich vorsichtig auf die Wange. „Woran denkst du?" fragt er leise an meinem Ohr. Sein warmer Atem hinterlässt eine Gänsehaut, die sich über meinen Nacken ausbreitet. Er streift mit seinen Lippen sanft darüber. Mit einem Lächeln im Gesicht flüstere ich „Ich bin einfach nur dankbar...für alles..." Ich spüre, wie sich seine Mundwinkel leicht nach oben ziehen. In dem Moment höre ich aus der Ferne das glockenhelle Lachen unseres Sohnes, der mit meiner Schwester und meinem Neffen Fußball spielt. Hinter meinen Augen beginnt es zu brennen und ich presse meine Lippen fest aneinander. Ich will jetzt nicht weinen, unseren Moment damit kaputt machen. Thomas lockert seinen Griff und ich spüre, wie er mich sanft zu sich umdreht. Seine Hand legt sich zärtlich an meine Wange, während er seine andere auf meinem Rücken liegen lässt und mir weiterhin das Gefühl gibt, gehalten zu werden. „Steff" haucht er kaum hörbar „Sieh mich an..." Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter, bevor ich langsam meine Augen öffne. Dabei löst sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Thomas fängt sie mit seinem Daumen auf und nimmt mich gleichzeitig mit seinen blau-grauen Augen gefangen. „Es ist okay...manchmal sind die schönen Momente, diese unendliche Dankbarkeit dafür so groß, dass es einen emotional überfordert...und das darf auch mal sein..." flüstert er mit sanfter Stimme. Er löst den Blick von mir und ich spüre den Druck seiner warmen Lippen auf meiner Stirn. Dann zieht er meinen Kopf an seine Brust und als ich seinen so vertrauten Duft einatme, überrollt mich eine Welle an Emotionen. Lautlos lasse ich die Tränen laufen, während Thomas mich einfach nur festhält.

Seine Finger wandern zärtlich an meiner Wirbelsäule auf und ab. Seine sanften Berührungen an meinem Rücken, der Rhythmus seines Herzens, der leise an mein Ohr dringt, seine Nähe, die ich überall spüren kann...diese Dinge geben mir Halt...ich fühle mich geerdet und gleichzeitig so frei und leicht. Obwohl immer noch Tränen meine Wangen benetzen, hebe ich meinen Kopf an und sehe zu Thomas auf. Ich lege eine Hand in seinen Nacken, um ihn zu mir herunter zu ziehen. Vorsichtig suchen meine Lippen nach seinen. Sie berühren sich nur ganz sacht, streifen sich kaum spürbar...und trotzdem liegt in dieser behutsamen Berührung so vieles, was man mit Worten nicht beschreiben könnte. Thomas legt seine Stirn an meine und hält wieder einmal meinen Blick gefangen. Man braucht nicht immer Worte, um miteinander zu sprechen. Vor allem bei ihm, bei dem Menschen, der mir gezeigt hat, dass es wahre Liebe anscheinend doch geben kann, wird mir das nur allzu oft bewusst. Ich verliere jegliches Zeitgefühl hier bei ihm. Irgendwann hebt er seinen Kopf wieder an. Seine Hände streifen seitlich an meinen Armen hinab, bis seine Finger meine finden und sich miteinander verschränken. „Lass uns ein Stück gehen..." sagt er leise und gleichzeitig gehen wir los. Den Blick nach vorne gerichtet über das weite Feld, das vor uns liegt. Mein Elternhaus, das jetzt schon lange das Haus meiner älteren Schwester ist, im Rücken. Die Strahlen der Mittagssonne wärmen unsere Haut und für Anfang September ist es noch angenehm warm. Das helle Lachen unseres Sohnes begleitet uns ein Stück, bis wir so weit weg sind, dass nur noch das Singen der Vögel, unsere Schritte im Gras und das entfernte Brummen der Autos auf der B96 zu hören sind. Ein leichter Wind umspielt meine Haare. Ohne ein einziges Wort zu sprechen, erreichen wir nach einer Weile die große Eiche, die mitten im Feld steht. Ein Ort, an dem wir schon unzählige Male waren, an dem irgendwie alles immer gleich ist, egal wie viel sich auf der Welt verändert.

Der Stamm der Eiche ist so dick, dass wir es nur zu viert schaffen, ihn zu umarmen. Die starken Wurzeln sind so fest in der Erde verankert, dass es den Anschein macht, als könnte nicht einmal der stärkste Sturm die Eiche zum Fallen bringen. Durch die vielen verzweigten Äste gibt es so viele Möglichkeiten, auf den Baum zu klettern, ganz hoch hinauf zu kommen. Doch heute hat keiner von uns beiden das Bedürfnis auf den Baum zu klettern. Bei der Eiche angekommen, sinken wir leise ins Gras. Thomas fängt mich auf. Ich lege meinen Kopf auf seiner Brust ab, den Blick in den Himmel gerichtet. Der Wind bewegt die Blätter der großen Eiche sanft hin und her. Die Sonnenstrahlen blitzen immer wieder zwischen den Blättern hindurch, lassen sie funkeln. Mir entweicht ein leises Seufzen. Langsam drehe ich mich auf die Seite und schmiege mich so eng es geht an ihn. Kein Blatt passt zwischen uns beide. Während er mit den Händen sanft durch meine Haare streicht, spielen meine Finger Klavier auf seinem Bauch. Ich lasse meine Hand nach oben wandern, bis ich mit meinen Fingern seine Wange umschließe. Wie in Zeitlupe nähere ich mich seinem Gesicht. Ich kann seinen warmen Atem bereits spüren, doch immer noch liegen ein paar Zentimeter zwischen unseren Lippen. Unsere Blicke haben sich ineinander verhakt und keiner bewegt sich. Nur noch das Rauschen der Blätter über uns und unsere leisen Atemgeräusche sind zu hören. Schließlich vergräbt Thomas seine Hand in meinem Haar und zieht mich ganz zu sich. Als unsere Lippen sich berühren, scheint die Zeit stehen zu bleiben. Es gibt nur noch uns beide, unsere Körper, die eng aneinander gekuschelt auf der Wiese liegen, unsere Lippen, die sich im gleichen Takt bewegen, unsere Zungen, die sich gegenseitig necken. Ein Moment, der nur uns beiden gehört und von dem ich mir wünschte, dass er nie enden wird. Und doch müssen wir uns irgendwann voneinander lösen, um nach Luft zu schnappen. Sanft lehne ich meine Stirn an Thomas seine. Ich spüre, wie sich mein Brustkorb heftig hebt und senkt, genauso wie seiner.

So klein - so groß. Unsere kleine gemeinsame Welt fühlt sich grade so groß an wie das gesamte Universum. Mit einem Lächeln im Gesicht, küsst mich Thomas zärtlich auf die Nasenspitze. „Eigentlich müsste ich wieder zurück...ich wollte heute Nachmittag ja noch bei meinen Eltern vorbeischauen, bevor's morgen wieder zurück nach Berlin geht" erklärt er vorsichtig. Seine Finger spielen währenddessen mit meinem Haar. Ich spüre, wie die Enttäuschung sich in mir breitmacht. Es ist so selten, dass wir einmal einen Moment nur für uns beide haben. Mein Seufzen ist gar nicht notwendig, dass Thomas erkennt, was in mir vorgeht. „Musst du wirklich schon los?" flüstere ich und ziehe einen Schmollmund. Thomas lacht leise auf. „Man soll ja bekanntlich gehn, wenn's am schönsten ist" grinst er. Meine Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben. Ich schüttle den Kopf. „Wir bleiben, wenn's am schönsten ist" murmle ich, bevor ich meine Lippen wieder auf seine lege und spüre, dass wir sicherlich so schnell nirgendwohin gehen werden.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt