Das Unperfekte (Teil 2)

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Als Thomas am nächsten Morgen munter wird und seine Hand nach Stefanie ausstreckt, ertastet er nur eine kalte, leere Matratze. Während er gähnt, reibt er sich müde die Augen. Ein Blick auf die Uhr sagt ihm, dass es erst Zehn nach Sieben ist. Wo ist Stefanie denn bloß so früh? Da hört er die Kaffeemaschine aus der Küche. Leise tapst er aus dem Schlafzimmer und bleibt überrascht im Türrahmen der Küche stehen, als er einen liebevoll gedeckten Frühstückstisch entdeckt. Dann fällt sein Blick auf Stefanie, die vor der Kaffeemaschine steht, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf. Es versetzt ihm einen Stich, als er sie so zerbrechlich und hilflos dort sieht. Er kann nicht anders, als zu ihr hinzugehen und sie in seine Arme zu ziehen. Als Stefanie seine Berührung spürt, zuckt sie zusammen. Sofort strafft sie ihre Schultern und setzt sich ein Lächeln ins Gesicht. Als sie Thomas ansieht erschaudert er trotzdem durch die Leere in ihrem Blick. „Hey, du bist ja schon wach! Hab dich gar nicht gehört" murmelt Stefanie und drückt ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. „Wieso bist DU denn schon wach? Hab gehofft, du könntest dich mal ein bisschen ausschlafen" sagt Thomas leise, während er ihr zärtlich über die Wange streicht. Stefanie blickt schnell zum Frühstückstisch, um nicht unter seinem besorgten, liebevollen Blick zusammen zu brechen. „Ich wollte dir Frühstück machen. Tut mir leid, dass ich gestern so seltsam drauf war! Ich war einfach müde..." versucht sie sich zu erklären. Thomas atmet tief durch, um jetzt nichts Falsches zu sagen. Er weiß genau, dass eine Diskussion jetzt nichts bringen würde. Und ihr zu sagen, dass das nicht die Wahrheit sei, würde genau eine solche auslösen. Deshalb murmelt er ein leises Danke und küsst sie sanft auf die Stirn, bevor er sich zum Frühstückstisch setzt.

Nach einem ziemlich schweigsamen Frühstück telefoniert Stefanie noch eine Weile mit ihrer Schwester, die Probleme mit ihrem Freund hat. Thomas spürt ein Brennen hinter seinen Augen, als er Stefanie ins Telefon sagen hört „Nein, nein. Bei uns ist alles gut! Wichtig ist jetzt nur, dass du dich mit ihm aussprichst und es dir wieder gut geht. Ruf mich jederzeit an, ich bin für dich da!" Genauso ist sie, seine Steff. Hat immer ein offenes Ohr für alle, versucht alles perfekt zu machen. Nur wie es ihr selbst dabei geht, blendet sie ständig aus. Gerade als Thomas den Geschirrspüler schließt, kommt Stefanie zurück in die Küche. „Danke, Thomas! Du hättest doch nicht alles alleine aufräumen müssen. Ich hätte das schon gemacht" erklärt sie. Thomas versucht ihr endlich mal wieder ein echtes Lächeln zu entlocken. Deshalb sagt er „Keine Sorge, ich hab den Geschirrspüler extra falsch eingeräumt, dann kannst du nachher gleich alles wieder umräumen" und streckt ihr frech die Zunge raus. Und tatsächlich zucken Stefanies Mundwinkel und ein Funken Belustigung blitzt in ihren Augen auf. „Das würde dein kleiner Monk gar nicht aushalten, den Geschirrspüler falsch einzuräumen" grinst sie ihn an, denn sie weiß genau, dass eher er derjenige ist, der den Geschirrspüler umräumt, nachdem sie ihn eingeräumt hat. „Na warte!" ruft Thomas lachend, schlingt einen Arm um Stefanies Taille und beginnt sie mit der zweiten Hand zu kitzeln. Sie windet sich in seinem Arm und das helle Lachen, das ihre Kehle dabei verlässt, lässt einen Kloß in Thomas Hals entstehen. Wie lange hat er sie nicht mehr so lachen gehört. Als sie um Luft ringend bittet, dass er doch aufhören soll, lässt er von ihr ab und zieht sie ganz eng an sich. Er vergräbt sein Gesicht in ihren Haaren und flüstert „Dieses Lachen hab ich so sehr vermisst..." Thomas spürt, wie sich Stefanie in seinen Armen anspannt und heftig schluckt. Nach einem kurzen Moment hebt sie ihren Kopf und sieht ihn an. Ihre Unterlippe zittert ganz leicht. „Thomas...ich..." beginnt sie kaum hörbar und er kann den Kampf, den sie innerlich mit sich austrägt in ihren Augen sehen.

Er versucht sie einfach nur ruhig anzusehen, um sie nicht zu verschrecken und betet leise, dass sie sich ihm endlich anvertraut. Doch in dem Augenblick merkt er, dass sie sich wieder vor ihm verschließt und sich zurückzieht. „Ach nichts" murmelt sie und wendet ihren Kopf ab. Keine drei Sekunden später, sieht sie ihn mit einem aufgesetzten Lächeln an und meint „Komm, wir sollten uns endlich fertig machen, sonst kommen wir zu spät in den Proberaum!" Während Thomas im Badezimmer seine Zähne putzt, holt sich Stefanie frische Klamotten aus dem Schrank. Sie wirft einen Blick in den Spiegel ihrer Kleiderschranktüre und seufzt leise. Als sie kurz darauf ihre Lieblingshose über ihre Hüften zieht, verflucht sie die verhassten Rundungen ihrer Hüften. 'Ich muss eindeutig mehr Sport machen, sonst pass ich bald nicht mal mehr in meine Lieblingshose' denkt sie, bevor sie sich schnell fertig ankleidet und Thomas ein gespieltes Lächeln entgegen wirft, als er ebenfalls das Schlafzimmer betritt. Kurz bevor sie die Wohnung verlassen, atmet Stefanie tief durch. 'Reiß dich jetzt zusammen. Schluck deine blöden Emotionen hinunter und häng den Jungs nicht wie ein Klotz am Bein, sondern hilf ihnen lieber' ermahnt sie sich im Stillen selbst. Bewusst strafft sie ihre Schultern und hebt ihren Kopf ein Stück höher. Ihre Gefühle vergräbt sie tief in sich drinnen und lässt ihr Gesicht hinter einer Maske aus Fröhlichkeit verschwinden. Gerade in dem Moment tritt Thomas zu ihr und schlüpft in seine Schuhe. Voller Schwung öffnet Stefanie die Türe und flötet freudig „Los geht's, wir haben viel zu tun!" Als sie schon längst draußen auf Thomas wartet, steht er immer noch am selben Fleck und sieht ihr mit großen Augen nach. Wenn jemand Stefanie nicht so gut kennt, kann sie ihn locker davon überzeugen, dass es ihr gut geht, dass alles in Ordnung sei. Aber ihm kann sie nach so vielen Jahren nichts mehr vorspielen. Die Frage ist nur, wie er hinter diese Mauern, die sie um sich aufgebaut hat, kommen soll. Thomas seufzt leise, bevor er ihr nachdenklich folgt.

Im Proberaum angekommen, begrüßt sie Johannes überschwänglich. Nowi ist noch nicht da. „Ich mach uns gleich einen Kaffee, damit wir starten können, sobald Nowi hier ist" verkündet sie scheinbar gut gelaunt und verschwindet in der Küche. Johannes wirft Thomas einen fragenden Blick zu, doch dieser zuckt nur verzweifelt mit den Schultern. Auch Johannes und Nowi kennen Stefanie gut genug, um zu erkennen, dass ihre gute Laune nicht echt ist. Johannes geht zu seinem Bruder hin und drückt ihn kurz. „Wir werden schon rausfinden, was mit ihr los ist! Lass den Kopf nicht hängen" versucht er seinem Bruder Mut zu machen. Thomas sieht ihn dankbar an und schnappt sich dann seine Gitarre – das Einzige, was ihm abgesehen von Stefanie dabei helfen kann, seine Emotionen zu verarbeiten und in den Griff zu bekommen. Als Nowi kurz darauf schnaufend ankommt und sich für seine Verspätung entschuldigt, fangen sie gleich mit dem Proben an. Es scheint, als würde Stefanie heute irgendeinen Wettbewerb gewinnen wollen, so sehr ist sie darauf bedacht, alles richtig zu machen. Ton versemmelt sie keinen einzigen. Dafür singt sie jedes Lied so teilnahmslos, als würde es absolut gar nichts mit ihnen und ihren Geschichten zu tun haben. Doch keiner der Jungs traut sich, etwas zu sagen. Als sie nach ungefähr vier Stunden eine Pause einlegen, ruft Stefanie „Das lief doch super bisher! Ich bin gleich wieder hier." Dann verschwindet sie auf der Toilette. „Das geht so nicht weiter...wir müssen jetzt mit ihr reden" sagt Nowi leise zu seinen beiden Bandkollegen, die ihm ein zustimmendes Nicken schenken. Als Stefanie ein paar Minuten später zurückkommt, findet sie ihre drei Jungs mit ernstem Blick auf der Couch vor. Erstaunt sieht sie die drei an, die ihr deuten, sich zu ihnen zu setzen. „Was ist denn los? Ist was passiert?" fragt sie, während sie sich ein wenig unsicher setzt. „Das würden wir auch gerne wissen, Stefanie" sagt Johannes und Stefanie zuckt zusammen, als er sie mit ihrem vollen Namen anspricht. „Bitte erzähl uns endlich, was mit dir los ist" fügt Nowi leise hinzu und sieht Stefanie besorgt an.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt