Das Unperfekte (Teil 1)

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„Jungs, können wir das noch mal machen? Der hohe Ton sitzt noch nicht so ganz" bittet Stefanie und sieht in drei ziemlich genervte Gesichter. „Steff, lass gut sein für heute. Es muss doch jetzt noch nicht perfekt sein. Wir proben doch nur" erklärt Thomas und versucht dabei seine Stimme so sanft wie möglich klingen zu lassen. Doch Stefanie schüttelt den Kopf. „Ich muss doch wissen, ob das klappt, sonst müssen wir an der Stelle was ändern. Lasst es uns einfach noch mal versuchen" erwidert Stefanie und Johannes nickt den anderen beiden zu, dass sie anfangen sollen, um keinen Streit zu provozieren. Doch auch bei diesem Durchgang schmeißt es Stefanie bei derselben Stelle raus, was sie wütend aufstampfen lässt. Thomas legt seine Gitarre zur Seite und wird dafür von Stefanie mit einem bösen Blick bedacht. „Wir machen das jetzt solange bis es klappt, kannst deine Gitarre gleich wieder zu dir nehmen" presst sie zwischen ihren zusammengepressten Lippen hervor. „Nein Stefanie! Es ist spät und wir sind alle müde. Manchmal geht etwas einfach nicht. Morgen wird es schon klappen" sagt Thomas sanft aber bestimmt. „Was, es ist spät" zischt Stefanie und wirft einen Blick auf die Uhr, die bereits 20:30 anzeigt. Plötzlich springt sie auf. „Mist, es ist ja Mittwoch! Ich wollte Mutti noch anrufen! Ich muss mal eben..." murmelt sie, schnappt sich ihr Handy und verschwindet in der Küche des Proberaums. Thomas seufzt auf und vergräbt den Kopf in seinen Händen. Johannes und Nowi schütteln nur den Kopf.

Eine Weile sitzen die drei Jungs starr auf ihren Plätzen und lauschen den fröhlichen Tönen, die Stefanie im Nebenraum in ihr Telefon spricht. Dann steht Johannes als Erster auf und beginnt, seine Sachen zusammen zu packen. Thomas und Nowi tun es ihm gleich. Kurz darauf kommt Stefanie wieder in den Raum und strahlt die drei an. „Liebe Grüße von Mutti an alle soll ich ausrichten. Ach, ihr habt schon zusammen gepackt...wollen wir noch Pizzaessen gehen?" fragt sie fröhlich und tut, als wäre vorhin nichts geschehen. Doch alle drei sehen, dass ihr Lächeln nicht bis zu den Augen reicht. „Tut mir leid, ich bin heut echt schon müde. Ich will lieber nach Hause. Nächstes Mal wieder, okay?" entschuldigt sich Nowi und Johannes stimmt ihm sofort zu. „Komm, lass uns auch nach Hause fahren. Ein bisschen Ruhe tut uns allen gut" meint nun auch Thomas und legt seinen Arm um Stefanie.

Als die beiden im Auto sitzen, herrscht ein angespanntes Schweigen und Stefanie starrt unruhig beim Fenster hinaus. Thomas erträgt die Stille irgendwann nicht mehr und legt eine Hand auf Stefanies Oberschenkel. „Steff...willst du mir sagen, was los ist?" fragt er leise und wirft einen schnellen Blick zu ihr, bevor er sich wieder auf die Straße konzentriert. Ruckartig sieht Stefanie zu ihm. „Was? Alles gut! Ich...ahm...ich hab nur grade überlegt, was wir zu Simmis Geburtstag machen sollen. Schließlich wird sie in 3 Wochen 30, da müssen wir doch irgendeine Überraschung planen" rattert Stefanie wie eingeübt herunter. „Steff, bitte..." beginnt Thomas, wird jedoch sofort von ihr unterbrochen. Sie legt ihre Hand auf seine und streicht über seinen Handrücken. „Ich weiß Thomas, momentan haben wir beide kaum Zeit für uns...es tut mir leid! Ich verspreche dir, dass wir das ändern werden" flüstert sie entschuldigend. „Nein, das meinte ich nicht...Liebes...dir geht es nicht gut, das seh ich doch..." versucht es Thomas noch einmal.„Wieso? Nur, weil ich heut beim Singen mal verkackt hab? Hast du doch vorhin selber gesagt, das passiert manchmal...tut mir leid, dass ich heute mal nicht die perfekte Sängerin war" braust sie auf und verschränkt ihre Arme vor ihrer Brust. „Scheiße Steff, das meinte ich doch gar nicht..." „Ach, lass es einfach" brummt Stefanie und wendet ihren Kopf wieder Richtung Fenster. Resigniert zieht Thomas seine Hand von ihrem Oberschenkel zurück und unterdrückt nur schwer ein tiefes Seufzen. 'Was ist zurzeit nur mit ihr los? Sie ist so verbissen, gereizt und hat ständig Angst, irgendetwas falsch zu machen. Und gleichzeitig versucht sie immer ein Lächeln aufzusetzen und sich das alles nicht anmerken zu lassen. Sie macht sich doch noch selbst kaputt' schwirren Thomas Gedanken durch seinen Kopf.

In ihrer gemeinsamen Wohnung angekommen, verschwindet Thomas gleich im Bad, um ein wenig Abstand zu bekommen. „Willst du noch was essen, Schatz?" ruft Stefanie ihm hinterher, doch Thomas verneint und gibt zu, keinen Hunger mehr zu haben. Stefanies Verhalten liegt ihm einfach zu schwer im Magen. Als er aus dem Bad kommt, sitzt sie im Wohnzimmer auf der Couch und hat bereits zwei Zettel mit Überraschungsideen für Simmi vollgeschrieben. Thomas tritt hinter sie und beginnt vorsichtig, ihre verspannten Schultern zu massieren. Einen kurzen Moment entspannt sich Stefanie und lässt einen leisen Seufzer über ihre Lippen kommen. Thomas beugt sich über sie und legt zärtlich seine Lippen auf ihre. Stefanie erwidert den Kuss sofort, obwohl ihr grade gar nicht danach ist. Aber sie kann Thomas doch nicht zurückweisen. Vor allem nicht, da sie eh schon viel zu wenig Zeit für sich haben. Doch Thomas merkt sofort, dass etwas nicht stimmt und löst sich wieder von ihr. Aufmerksam betrachtet er sie. Stefanie weicht seinem Blick aus, indem sie ihre Notizen zur Seite legt. Dann deutet sie ihm, sich neben sie auf die Couch zu setzen. Sofort schlingt sie ihre Arme um ihn und beginnt ihn am Hals zu küssen. 'Du musst ihm irgendwas geben, du kannst dich doch nicht ständig vor ihm verschließen. Irgendwann wird er dich sonst verlassen...' sagen ihr ihre Gedanken.

Deshalb macht sie einfach weiter, bis Thomas sie an den Schultern packt und ein Stück von sich wegzieht. „Kleine, bitte hör auf..." flüstert Thomas heiser und zuckt zusammen, als er ihren verletzten Ausdruck in den Augen sieht. 'Da ist es schon...er will dich nicht mehr...' spukt es durch Stefanies Kopf. „Ich merk doch, wenn du mir was vorspielst...dafür kenn ich dich einfach zu gut! Wieso willst du grade etwas erzwingen, was du eigentlich gar nicht willst?" sagt Thomas gerade heraus und trifft damit voll ins Schwarze. Stefanie senkt verschämt ihren Blick. „Ich...ahm...ich wollte doch nur...dass du glücklich bist..." murmelt sie kaum hörbar. Thomas hebt ihren Kopf mit seinen Fingern an. „Ich bin doch nicht glücklich, wenn du mir etwas gibst, das du gar nicht willst!" antwortet er entsetzt und sieht sie mit großen Augen an. „Es...es tut mir leid" stammelt Stefanie und steht auf, um ins Bad zu gehen. Kurz darauf hört Thomas die Dusche. Kopfschüttelnd holt er sein Handy und schickt eine Nachricht an Johannes und Nowi: >>Müssen morgen gemeinsam dringend mit Steff reden...irgendwas stimmt nicht. Mach mir Sorgen um sie<< Beide antworten ihm sofort, dass ihnen das auch schon aufgefallen sei und sie unbedingt mit ihr reden müssen. Während Thomas noch weiter seinen Gedanken nachhängt und überlegt, was mit seiner Freundin los ist, steigt Stefanie im Bad aus der Dusche. Nachdem sie sich abgetrocknet und angezogen hat, nimmt sie ihre Kontaktlinsen raus. Das Brennen hinter ihren Augen, das sie den ganzen Tag schon versucht hat, zu unterdrücken, wird immer stärker. Sie klammert sich mit den Händen am Waschbecken fest und schließt die Augen. 'Wie kann man nur auf ganzer Linie so versagen? Ich hätt heute fast vergessen, Mutti anzurufen, obwohl es ausgemacht war...Ich hab keine Ahnung, wie ich rechtzeitig zu Simmis Geburtstag eine große Überraschungsparty auf die Beine stellen soll...nicht einmal das Singen hat heute mehr geklappt...und was bin ich nur für eine beschissene Partnerin für Thomas...wieso mache ich ständig alles falsch?' Das Brennen hinter ihren Augen wird so heftig, dass sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten kann. Lautlos laufen sie ihr über die Wangen.

Als sie wahrnimmt, dass sich Thomas im Wohnzimmer bewegt, wischt sie sich schnell die Tränen aus dem Gesicht. Keine Sekunde zu früh, denn da sieht sie im Spiegel schon, wie sich die Tür zum Badezimmer öffnet und sich kurz darauf Thomas neben sie stellt. Sie setzt gerade ihre Brille auf, als sie Thomas Hand auf ihrem Arm spürt. „Steff...Kleine...wieso hast du geweint?" Stefanie sieht ihn nicht an. „Ich hab doch nicht geweint...hab meine Kontaktlinsen kaum aus den Augen bekommen, waren total ausgetrocknet..." murmelt sie verschämt.  „Stefanie, bitte lüg mich nicht an..." sagt er leise, doch Stefanie dreht sich abrupt um und verschwindet aus dem Bad, ohne Thomas eines Blickes zu würdigen. Sie weiß, wenn sie jetzt in seine besorgten, blau-grauen Augen sehen und er sie in seine Arme ziehen würde, würde sie zusammenbrechen. 'Doch das darf ich nicht. Ich muss stark sein, darf keine Schwäche zeigen. Schließlich zählen alle auf mich – meine Bandkollegen, meine Freunde, meine Familie...und am meisten Thomas' schießt es durch ihren Kopf, als sie im Schlafzimmer verschwindet und sich im Bett verkriecht. Kurz darauf krabbelt auch Thomas zu ihr ins Bett, schaltet das Licht aus und kuschelt sich an ihren Rücken. Er legt seine Arme um sie und küsst sie sanft auf den Hinterkopf. „Ich hoffe du weißt, dass du über alles mit mir reden kannst, meine Kleine" murmelt er in ihr Haar und sein Herz zerbricht ein kleines Stück mehr, als er Stefanies Antwort hört. „Wie oft soll ich denn noch sagen, dass alles gut ist!" Er schluckt den Kloß in seinem Hals hinunter und schließt seine brennenden Augen. Er weiß ganz genau, dass gar nichts gut ist, aber er weiß auch, dass es keinen Sinn macht, mir ihr in diesem Moment darüber zu diskutieren. Darum versucht er, seine Gedanken auszuschalten und fällt auch kurze Zeit später in einen unruhigen Schlaf. Als Stefanie hinter sich endlich die ruhigen Atemzüge von Thomas wahrnimmt, kann sie loslassen und stumm laufen ihr unzählige Tränen über die Wangen.

Silbermond OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt