chapter 85

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26. Dezember 2019

Mit einem kleinen Blumenstrauß betrat ich am späten Nachmittag das Krankenhaus. Die Cap weit ins Gesicht gezogen damit man meine Augen nicht sehen konnte, die Jacke bis oben zu und die Hand in der Tasche. "Abend", begrüßte ich brüchig eine Schwester, die mir auf dem Gang entgegen kam. "Herr Reinelt, schön Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?". Kurz hinter ihr kam sein Arzt um die Ecke und hielt mich auf. "Muss. Wie siehts bei ihm aus?". Der besorgte Blick des Arztes entging mir nicht, jedoch sah mich seit Monaten niemand mehr normal an. "Keine Veränderung.". Ich nickte stumm und schob meine Cap etwas höher. "Ich wollte über Nacht bleiben, ich hoffe das ist in Ordnung.". "Natürlich, seien Sie nur vorsichtig.". Ich nickte und gab ihm kurz die Hand bevor ich weiterging. Sein Blick folgte mir noch bis ich aus seinem Sichtfeld verschwunden war.

Die Gänge waren leer und ruhig, fast gespenstisch. Ich blieb vor der Tür stehen und atmete tief durch bevor ich langsam eintrat. "Hey Manu", flüsterte ich und stellte meine Blumen in eine Vase. Meine Jacke ließ ich achtlos zu Boden fallen, ebenso wie mein Basecap. "Ich weiß, ich bin spät heute aber Andreas hat mich nicht früher gehen lassen.". Langsam setzte ich mich auf den Stuhl neben seinem Bett und nahm sanft seine Hand. "Weihnachten ohne dich war komisch, es hat sich falsch angefühlt obwohl alle versucht haben mich aufzuheitern.". Behutsam strich ich über seine Hand und betrachtete sein Gesicht. Das mittlerweile vertraute Piepen der Maschinen hallte in meinen Ohren nieder und kurz beobachtete ich seinen Herzrhythmus auf dem Monitor. "Ich kann das nicht verstehen Manu.".

Ich strich mir durchs Gesicht. "Dein Herz schlägt aber dein Gehirn funktioniert nicht. Du musst doch noch kämpfen, nur noch ein wenig.". Die letzten Wochen über wurden Lydia und Thomas immer zurückhaltender mir gegenüber, immer zögerlicher. "Ich glaube sie wollen dich aufgeben Schatz", flüsterte ich schluchzend. "Sie wollen dich nicht weiter kämpfen lassen und stattdessen alles aufgeben, deine Organe weggeben.". Ich ließ die Tränen laufen und sah verzweifelt auf Manuel. "Sie wollen dich einfach weggeben, das kannst du doch nicht zulassen, ich bitte dich.". Stumm beobachtete ich ihn und musste mit mir ringen nicht völlig in Tränen auszubrechen.

Andreas bezeichnete mich als unberechenbar. Manche Tage waren gut und ich konnte lächeln, war produktiv und fröhlich und an anderen Tagen ging es mit mir durch. Ich schrie nach ihm, hatte Alpträume und Panikattacken. Diese Tage kamen häufiger und ganz plötzlich, als wären sie schubweise. Mit zitternden Händen zog ich meine Schuhe aus und legte mich ganz eng an seinen Körper ran. Mit höchster Vorsicht legte ich die einzelnen Kabel über mich und zog Manus Kopf zaghaft auf meine Brust. Ein letzter Griff zum Handy, um einen Wecker zu stellen und ich schloß die Augen. "Gute Nacht Schatz", murmelte ich und strich gedankenverloren durch sein Haar. Kraftlos flüsterte ich: "Ich liebe dich.".

Um kurz vor 5 Uhr klingelte mein Wecker und gerädert öffnete ich die Augen. Ich blieb noch liegen und schmiegte mich an Manus Körper, der noch immer an mich gekuschelt lag. Seufzend erhob ich mich 20 Minuten später und zog mich an. Ein letztes Mal setzte ich mich an sein Bett und hauchte ihm einen liebevollen Kuss auf die Lippen. "Ich liebe dich. Ich verspreche dir, dass ich schnell wieder da sein werde.". Ich stand auf und legte meine Basecap auf seinen Bauch. Ein letzter Blick und ich verließ das Zimmer. Die Tür fiel ins Schloß und ich lehnte meinen Kopf an diese. Tief atmete ich durch und schloss die Augen. "Er wird aufwachen Chris, hab Vertrauen", murmelte ich und ging schweigend die Gänge hinaus aus dem Krankenhaus.

Müde und erschöpft stieg ich in meinen Wagen und machte mich auf den Weg zur Halle. Wir fuhren heute nach Frankfurt, um die erste Runde unserer neuer Show zu starten. Dream and Fly. Schnaubend schüttelte ich den Kopf und schlug mit aufkommender Wut auf mein Lenkrad. "Scheiß auf Träume, sie werden eh nicht wahr.". Ich atmete schwer durch und parkte auf Andys Hof. Ich ließ den Kopf ans Lenkrad sinken und schloss die Augen. Dann übermannte es mich und ich brach in Tränen aus. "Wieso ER?!". Ich schlug erneut aufs Lenkrad und machte immer weiter, immer kräftiger. "Wieso muss man erst meinen Vater und dann noch meinen Mann aus meinem Leben reißen?! Was hab ich getan zur Hölle?! WAS?!". Meine Tür wurde ruckartig geöffnet und zwei kräftige Arme zogen mich aus meinem Wagen.

"Wieso er?", flüsterte ich bevor ich fest an seinen Brustkorb gedrückt wurde. "Ich weiß es auch nicht Chris", erwiderte er leise und strich über meinen Rücken. Weinend schloss ich die Augen und krallte mich an seiner Jacke fest.
So standen wir hier. Schweigend, weinend und am Ende unserer Kräfte. "Wir müssen langsam los Kleiner, komm. Ich nehm deine Tasche.". Andreas ließ mich los, holte meine Tasche raus und ging gefolgt von mir zu den Bussen. "Du bist nicht alleine Chris, ja? Sprich bitte mit dir, wir machen uns alle Sorgen.". Ich nickte nur leicht, murmelte für mich jedoch: "Macht euch doch Sorgen. Es juckt mich nicht mehr.".

Straight Against The FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt