chapter 90

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Die letzten drei Wochen flogen an mir vorbei. So wirklich bekam ich nichts mehr mit. Wie ferngesteuert meisterte ich die Tourshows, spielte die kleinen Spielchen für die Öffentlichkeit mit, doch mein Innerstes war leer, gebrochen und machtlos. Machtlos gegen die Zeit und die Entscheidung von Manus Eltern. Letzte Woche hatten sie schlussendlich die Papiere unterzeichnet, die bestätigten, dass alle Maßnahmen abgebrochen werden sollten.
Heute war dieser Tag.

Die Kirchenglocken erhellten den frühen Morgen. Ich hatte mich komplett in schwarz gehüllt mit der Jeans, die er so an mir liebte. Dem Hemd, was ich zu unseren Dates gerne trug. Den dunklen Sneakern, die er immer zu edel fand und den beiden Ringen, die unsere Liebe besiegelten. Mein Auto hatte ich vom Krankenhaus entfernt gestellt, um die letzten Meter an der frischen Luft spazieren zu können. Ich sah hoch in den Himmel, welcher von mächtigen Wolken durchzogen war. Ein grauer Tag, ebenso wie meine Gedanken es waren. Ein letztes Mal betrat ich das Krankenhaus, grüßte das Personal und blieb vor seinem Zimmer stehen, wo Doktor Pauls bereits wartete.

"Guten Morgen Herr Reinelt", begrüßte er mich. Selbst er strahlte eine unglaublich große Trauer aus. "Morgen", murmelte ich. "Sie sind sicher, dass Sie das hier tun wollen?". Ich nickte und sah durch die Scheibe ins Zimmer. "Jemand sollte bei ihm sein.". -wenn es denn seine Eltern schon nicht sind. Sie hatten sich gestern bei ihm verabschiedet, wollten aber heute nicht dabei sein. Einerseits nachvollziehbar, andererseits sollte er nicht alleine gehen. "Nehmen Sie sich Ihre Zeit und holen Sie mich wenn Sie soweit sind.". Ich nickte ihm dankbar zu und ging leise in das Zimmer. "Guten Morgen Schatz.".

Ich setzte mich an seine Bettkante und strich durch sein Haar. "Es ist soweit hm", flüsterte ich. "Alles, was ich versucht habe aufrecht zu erhalten, bricht jetzt zusammen und reißt mir den Boden weg.". Eine einzelne Träne lief über meine Wange. "Sie haben schon alles geplant, deine Beerdigung und Beisetzung, alles", hauchte ich brüchig und ließ die Tränen nun laufen. "Ich kann dich nicht loslassen Manu, ich habs ehrlich versucht aber ich kann es nicht.". Vorsichtig nahm ich seine Hand in meine. "Ich kann es einfach nicht, verzeih mir.". Schnell wischte ich mir einige Tränen aus dem Gesicht und betrachtete ihn schweigend.

Es war ein warmer Frühlingstag. Wir lagen gemeinsam im Gras und sahen in den Himmel, interpretierten die verrücktesten Wolken und philosophierten über Alles. Du sprachst von deinen Wünschen und Ideen, ich belächelte sie.

Seufzend streichelte ich über seine Hand. "Ich werde alles für dich tun Manu.". Ein letztes Mal beugte ich mich zu ihm runter und gab ihm einen Kuss, voller Liebe und allen Gefühlen, die ich jemals für ihn empfunden hatte. "Machs gut mein Schatz.". Ich drückte die Klingel und nach einigen Minuten betrat Herr Doktor Pauls den Raum. "Sind Sie soweit?". Stumm nickte ich und sah auf Manu. "Darf ich seine Hand weiter halten?". "Natürlich. Sie dürfen alles.". Dankbar nickte ich und umschloss Manus Hand fester. "Ich werde nun nach und nach die Maschinen vom Strom lösen, er wird dann friedlich einschlafen. Ich verspreche Ihnen, dass er keine Schmerzen leidet.". Ich nickte, konnte den Blick aber nicht von meinem Verlobten lösen.

Das vertraute Piepen seines Herzschlages erlosch, als die erste Maschine abgeschalten wurde. "Es folgt jetzt die Herz-Lungen-Maschine. Die Unterstützung des Herzschlags und der Atmung setzt nun aus, bleiben Sie ganz ruhig.". Ich schluckte schwer und beobachtete sein ruhiges Gesicht, das stetige Heben seines Brustkorbs. Ein leises Geräusch ertönte und die Maschine, die ihn am Leben hielt, war ausgeschalten. Schweigend trat Doktor Pauls in den hinteren Bereich des Zimmers und ließ mir den Moment. "Ich bin so stolz auf dich, du hast unglaublich gut gekämpft Schatz", flüsterte ich erstickt. "Du darfst gehen.". Ich schluchzte verzweifelt auf und sah dabei zu wie seine Atmung immer schwacher wurde.

"Hmm-hmmm.". Erschrocken sah ich in Manus Gesicht. "Er versucht zu atmen!". Sofort kam sein Arzt ans Bett und sah nicht minder überrascht aus. Behutsam sprach er auf ihn ein während er den Tubus aus Manus Mund nahm. "Herr Josting, hören Sie uns?". Ich meinte einen leichten Druck an der Hand zu spüren, schob es aber auf die Anspannung bis der Druck stärker wurde. "Meine Hand. Er- er drückt meine Hand.". Erstaunt sah ich zu ihm. "Komm zu uns Manu, wach auf.". Ich drückte seine Hand, auf welche stetig meine Tränen tropften.

Ganz langsam, ganz leicht öffnete er seine Augen, nur einen spaltbreit ehe sie ihm wieder zu fielen. "Oh Gott", flüsterte ich und schluchzte auf. "Wo- bin ich?", krächzte er angestrengt. "Im Krankenhaus, es wird alles gut.". Schwach nickte er und öffnete erneut die Augen ein wenig. "Chris", murmelte er und lächelte erschöpft. "Du bist wieder bei uns", erwiderte ich glücklich und konnte die Freudentränen nicht mehr zurückhalten. "Ich bin so froh, dass ich dich wiederhabe Schatz", flüsterte ich und strich mir ein paar Tränen aus dem Auge. Der Ausdruck in seinen Augen wurde trübe und
verwirrt. "Schatz?".

Straight Against The FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt