chapter 94

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"hey manu..."

"es tut mir unendlich leid, dass wir dich alle aktuell so verwirren. ich weiß, dass du es einfach nicht wissen kannst und dich alle ziemlich nerven mit dem thema 'chris'. ich möchte nur, dass du weißt, dass ich warten werde. Immer. egal wann du bereit bist oder ob du bereit bist, ich bin für dich da. ich wünschte nur ich hätte mehr tun können, stattdessen muss ich jetzt dabei zu sehen wie du unter deinen Erinnerungen leidest. es tut mir so unendlich leid, bitte glaub es mir... in liebe, dein chris"

Ich starrte seine Nachrichten an, mein Herzschlag hatte sich verdreifacht. Mein ganzer Körper spielte verrückt und schrie nach ihm, doch ich wusste nicht warum. Seufzend strich ich mir durchs Gesicht und sah in den Himmel. "Was ist denn nur los? Ich stehe auf Frauen und nicht auf Männer, schon gar nicht auf meinen besten Freund.". Ich strich mir eine einzelne Träne weg, die sich ihren Weg über meine Wange suchte. Ich antwortete Chris nicht und scrollte stattdessen im Chatverlauf bis zu dieser einen Sprachnachricht.

28. Januar 2020, 5:36 Uhr
"Guten Morgen Manu.". Seine Stimme klang rau, verschlafen und erschöpft. "Heute ist es soweit mein Schatz. Ich werde dich das letzte Mal lebend sehen.". Er seufzte schwer und ich konnte hören, dass er mit den Tränen kämpfte. "Ich kann dir gar nicht sagen, wie scheiße dieser Tag ist. Ich konnte nicht schlafen die Nacht, habe mich mehrfach übergeben und die Gedanken in meinem Kopf lassen mich beschissene Dinge tun. Es tut so weh Manu.". Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, hauchzart und völlig am Ende."Ich muss immerzu an unser erstes Date denken, am See. Wie wir auf der Decke lagen vor dem knisternden Feuer, den seichten Wellen und der ruhigen Natur. Wie du dich an mich kuschelst und mir sagst, dass wir immer zusammen sein werden." Ein leises Schluchzen durchbrach die Sprachnachricht. "Du hast mir versprochen nie zu gehen und nächste Woche muss ich dich zu Grabe tragen! Scheiße wir hatten noch so viel vor. Die Hochzeit, das Haus. Deine Bucket-Liste mit diesen total ausgefallenen Ideen, sie liegt noch immer in deiner Nachtschrankschublade." Er schniefte und war einige Augenblicke lang still. Offenbar suchte er im Hintergrund nach etwas. "Punkt 1: Bungee-Jumping. Punkt 2: Fallschirmsprung. Punkt 3: Eine Nudelmaschine um selber Pasta herzustellen." Sein verweintes Lachen erfüllte die Luft. "All die verdammt verrückten Dinge Manuel. Wo ist unsere Zeit geblieben?" Erneut war er still, ich konnte nur den Klang seines Schluchzens hören."Ich weiß nicht wohin mit mir, ohne dich. Ich weiß nicht, was ich fühlen soll und was ich tun soll. Lydia versucht mich aufzumuntern, dabei glaubt sie selbst nicht mehr dran. Andreas will mich ablenken und findet mich doch jedes Mal heulend im Bus. Komm doch bitte einfach wieder. Ich liebe dich Manu."

Ich ließ den Kopf sinken und schluchzte auf. Ich verstand die Welt nicht mehr, ich kam mir vor wie eine Figur, die ohne Spielregeln übers Feld stolperte. Jeder um mich herum wusste Bescheid, nur ich nicht. Chris schien jedoch nicht zu lügen, ebenso wenig wie mein Herz. Es glühte förmlich und sprang mir fast aus der Brust, sobald ich an Chris dachte. "Ich weiß doch auch nicht, was wahr ist und was falsch.". Ich sah noch einmal aufs Handy und in Chris lächelndes Gesicht. "Du siehst so glücklich aus, was ist nur passiert?". Ruckartig richtete ich mich auf als es mir wie Schuppen von den Augen fiel. "Er ist vergewaltigt worden. FUCK!". Ich stand auf und lief aufgewühlt hin und her. "Aber wieso? Wieso nur?". Ich schlug mir selbst an den Kopf. "Wieso willst du dich nicht erinnern?!".

"Manuel!". Die zierliche Stimme meiner Mutter ließ mich inne halten. Augenblicklich nahm sie mich fest in den Arm. Ich schluchzte auf und legte meinen Kopf an ihrem Hals ab. "Warum Mom?". "Aus Eifersucht auf dich. Der Täter war eifersüchtig.". Ich nickte nur und schloss die Augen. Verzweiflung und Ungewissheit machten sich erneut in mir breit. "Andreas und du haben ihn beim Prozess begleitet. Ihr habt euch ein Haus gekauft danach, da wohnst du eigentlich.". "Kann ich dort hin?". Sie sah mich liebevoll an. "Wenn du dich bereit dazu fühlst, ja?". Ich nickte. "Kurz bevor du den Unfall hattest, wart ihr beiden nochmal hier.". Ich sah mich um. "Chris erwähnte einen Antrag?". Sie nickte und streichelte liebevoll meine Wange.

"Du bist vor ihm in die Knie gegangen und hast ihn gefragt. Ihr wolltet eigentlich vergangenen August schon heiraten.". Leicht schüttelte ich den Kopf. "Ich kann das alles nicht glauben, die Erinnerungen sind so schwammig.". "Gib dir Zeit. Geh nächste Woche wieder arbeiten und die Erinnerungen kommen mit der Zeit schon. Christian wird immer für dich da sein Großer. Er liebt dich, das hat er in den Monaten mehr als nur einmal gezeigt.". Zögernd nickte ich. "Und wir lieben ihn genauso als Schwiegersohn, dein Vater und ich. Und wir hoffen genauso, dass ihr Zwei euch noch ein zweites Mal finden werdet.".
"Das hoffe ich auch", flüsterte die kleine Stimme in meinem Innersten und bescherte mir ein angenehmes Kribbeln im Magen.

Straight Against The FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt