chapter 84

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"Chris? Sie sind hier Kleiner.". Erschöpft schlug ich die Augen auf und sah in die dunklen Augen meines Bruders. "Christian", erklang eine sanfte, zittrige Stimme. "Lydia.". Ich setzte mich langsam auf und hielt mir den Kopf. Was fürn Zeug haben die mir vorhin gegeben? Ich nahm Lydia in den Arm, Thomas genauso und sah beide erwartungsvoll an. "Wie steht es um ihn?". "Sie sind wohl gerade in den letzten Zügen, danach können sie uns mehr sagen.". Ich nickte und sah auf meine Hand, wo mich der silberne Ring anstrahlte. Schwer schluckend strich ich darüber und sah wieder hoch, um zu entdecken, dass Lydia meine Bewegungen beobachtete.

Ein Arzt kam in den Raum und räusperte sich. "Guten Tag Familie Josting, Reinelt.". Er nickte uns kurz zu und zeigte auf, dass Lydia und Thomas mitkommen sollten. "Ich möchte es auch wissen", warf ich ein und konnte den missgünstigen Blick des Arztes sehen. "Wie die Familie es wünscht.". "Natürlich darf er", gab Thomas zu verstehen und strich kurz über meine Schulter. Der Arzt betrachtete mich zunehmend und schlug seine Akte auf. "Die inneren Blutungen konnten soweit gestillt und versorgt werden. Der Blutverlust war sehr hoch, jedoch haben wir schon weitere Blutkonserven angeordnet, die wir ihm nachfolgend zusetzen können.". Ich atmete etwas auf und sah hinter ihm wie ein Bett aus dem OP geschoben wurde.

"Wir müssen Ihnen jedoch leider mitteilen, dass wir kaum mehr eine Hirnaktivität feststellen können. Zwei Kollegen haben mit mir zusammen bereits eine Untersuchung durchgeführt und wir sind alle zu dem Ergebnis gekommen, dass Herr Josting praktisch nicht mehr zu Bewusstsein kommen wird.". Stille. Quälende Stille. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht atmen oder klar denken. "Die Verletzung, die durch das Gerüst verursacht worden ist, war sehr schwerwiegend. Die Nervenbahnen sind stark beschädigt worden, er zeigt kaum mehr Reaktionen. In den kommenden Tagen werden wir weitere Untersuchungen durchführen, ich möchte Sie aber schon einmal darauf vorbereiten.". "Worauf?". Lydias von Tränen erstickte Stimme erklang. "Dass Sie sich für Ihren Sohn entscheiden müssen. Ob wir ihn am Leben erhalten und hoffen, oder ob wir die Maßnahmen abstellen sollen.".

"Er lebt!". Ich sah ihn wütend an. "Sie müssen sich einfach mal anstrengen!". Ich zog mich am Bett hoch und atmete durch. "Wo ist er?". "Er wird gerade auf die Intensivstation gebracht und braucht dringend Ruhe. Die kommende Nacht ist wichtig für ihn. Danach können wir wirklich sagen, wie es um ihn steht.". Ich nickte und ließ mich wieder aufs Bett sinken. "Ich teile Ihnen mit wenn Sie ihn besuchen dürfen.". Schweigend verließ er das Zimmer und ließ vier verzweifelte Menschen zurück, in Sorge um einen geliebten Menschen.

"Wir können ihn doch so nicht leben lassen Thomas", sprach Lydia leise zu Thomas. "Lass sie noch die Untersuchungen machen, dann sehen wir weiter Schatz.". "Ihr denkt nicht mal daran ihn umzubringen.". Beide sahen erschrocken zu mir. "Christian.". "Nein Andreas. Ihr habt kein Recht ihm seine Chance aufs Leben zu nehmen, aufs Aufwachen.". "Du hast ihn doch gehört, er ist praktisch Hirntod.". Angespannt schüttelte ich den Kopf. "Habt Vertrauen in ihn, bitte.". Lydia seufzte schwer und setzte sich. "Wie konnte das nur passieren?". "Er trug keinen Helm, jemand muss die Deckenelemente schon gelöst haben und die sind gerissen.". Thomas sah mich ernst an. "Wie kann das passieren?". Ich schüttelte den Kopf und schloss die Augen. "Keine Ahnung.".

"Ich geh kurz mal raus", murmelte ich und stand auf. "Soll ich mit?". Stumm schüttelte ich den Kopf und verließ auf schwachen Beinen die Station. Den Schildern folgend gelangte ich zur Intensivstation und sah mich um. Einige Schwestern eilten umher, wovon ich eine aufhielt. "Josting? Manuel", murmelte ich heiser. Sie sah mich voller Mitleid an. "Der Bruder?". "Mann.". Ich senkte den Kopf und ließ das Aufschluchzen zu. "Kommen Sie", sprach Sie ruhig und ging durch die Gänge. "Ich kann Sie leider nicht reinlassen, da die OP zu frisch ist.". Ich nickte stumm und ließ mich hinführen. "Nehmen Sie sich Ihre Zeit." Leise ging sie weiter. Ich trat an die große, gläserne Scheibe heran und legte meine Hand vorsichtig auf dieser ab.

Kabel über Kabel, Maschinen und Gerätschaften. Mehr konnte ich kaum erkennen. "Manuel", flüsterte ich und ließ den angestauten Tränen freien Lauf. "Wieso hast du den Helm nicht getragen? Wieso?". Langsam legte ich meine Stirn an die eiskalte Scheibe und atmete durch. "Du hast versprochen hier zu sein, immer, und jetzt liegst du hier und bist-". Ich schluchzte auf und schloß die Augen. "-Und bist tot? Ich werde nie mehr deine Stimme hören? Nie mehr in deinen Armen liegen und mir sagen lassen, dass alles gut wird?". Verzweiflung machte sich in mir breit und ich brach in Tränen aus. Ich ließ mich an der Wand zu Boden sinken, lehnte den Kopf an dieser ab und weinte. Ich weinte um alles, was ich nun verloren hatte und was wir noch hätten tun können. "Hab Vertrauen", murmelte ich und atmete tief durch. "Er muss wieder aufwachen.".

Straight Against The FeelingsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt