• Bittersüße Angst •

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Wir saßen auf einer Mauer, die das Meer von der Stadt abtrennte. Immer wieder hörte ich, wie verschiedene Wellen gegen die Wand unter mir schlugen. Mal waren die Schläge sanft, mal so heftig, dass das Wasser meine Beine kitzelte.

Und irgendwie sah ich in dieser Situation eine Ähnlichkeit zu meinem Leben. Manchmal verfiel ich der Naivität, dass alles doch garnicht so schlimm war. Es waren Momente wie die mit Yilmaz soeben gewesen, als er mir gebeichtet hatte, dass wir dieselbe Liebe zueinander teilten. Ich hatte mich wie im siebten Himmel gefühlt.

Bis die Realität mich einholte und mir in den Sinn kam, dass ich Yilmaz die größte Lüge seines Lebens noch von ihm verschwieg. All die Jahre hatte Hüseyin Altintas ihn glauben lassen, dass er als einziger Karaman übrig geblieben war. Das war eine Lüge. Wie so vieles in dieser elendigen Geschichte.

Denn Yilmaz war nicht als Einzelkind geboren worden. Er hatte ein Zwillingsbruder. Und dieser war niemand anderes, als Kerem Altintas. Ich presste meine Lippen aufeinander bei dem Gedanke. Mir wurde übel. Yilmaz baumelte summend die Beine über dem Wasser, ahnungslos von dieser bitteren Wahrheit. Ich schaute zu ihm rüber und spürte, wie meine Augen glasig wurden.

Ihm diese Sache zu verschweigen war eine Art von Lügen, die des Verrates ähnlich war. Wenn ich daran dachte, dass Yilmaz es irgendwann irgendwie erfahren würde, wollte ich mich im Wasser unter mir übergeben. Denn ich wusste, dass dieser Mann mich niemals wieder so lieben würde, wie er es jetzt tat. Nein, er würde mich hassen.

Verzweifelt presste ich Yilmaz Ring in meine Haut, aus Angst, dass man mir ihn sonst entreißen würde. Das Metall drückte sich an die Fingerknochen, doch ich durfte nicht loslassen. Im Kopf hörte ich das widerliche Flüstern meiner Gedanken und es machte mich wahnsinnig, dass ich sie nicht stummen konnte.

Ich dachte an die Folgen, dachte daran, wie Yilmaz mich als Verräterin abstempelte. Den Ring würde er mir entnehmen und stattdessen einer Frau geben, die es wahrlich verdiente, seine Karaman zu sein. Die ihn liebte, und der Yilmaz bedingungslos vertrauen konnte. Bei dem Gedanke, dass Gamze für diese Rolle besser geeignet war, spürte ich, wie meine Lippe bebte.

Ich verlor mich immer weiter in diesem Albtraum, bis mich plötzlich Yilmaz am Kinn berührte. „Ist alles in Ordnung ?" , sprach mir seine Stimme voller Besorgnis entgegen. Er nahm meine zitternden Hände an sich und strich über den mit Steinen beschmückten Ring. Die Welt drehte sich wieder. Das Leben spielte weiter wie ein Film, den man für einen Moment gestoppt hatte. Noch wusste Yilmaz nichts. Er liebte mich also immernoch.

Als mir dies klar wurde, entwich mir ein Schluchzer aus den Lippen. „Nein" , wimmerte ich ehrlich und umschloss seine Hand fest mit meiner. Das Leben rannte in einem Tempo, bei dem ich nicht mithalten konnte. Gnadenlos war es dabei, mir von heute auf morgen alles zu nehmen, was ich liebte und ich war noch nicht bereit dazu. Ich wollte nicht, dass dieser Moment hier vorbei war. Ich wollte nicht weitergehen, denn mir war klar, was unserer Liebe für ein Schicksal bevorstand.

„Ich habe Angst, Yilmaz."

Mein Mann war dabei, mir über den Ring zu fahren und hielt plötzlich in seiner Bewegung inne. Während ich verzweifelt in Richtung der Wellen schaute, spürte ich seine Augen auf mir ruhen. Vielleicht musste ich es ihm garnicht erzählen und er durchschaute einfach, dass ich eine Verräterin war. Das wäre das Beste für uns.

„Wovor hast du Angst ?"

Unsere Blicke durchkreuzten sich. Die Wahrheit brannte mir auf den Lippen, doch ich hätte niemals den Mut, sie laut auszusprechen. Denn..
„Ich will dich nicht verlieren."

„Wer sagt, dass du es wirst ?", fragte er mit einem Hauch an Humor.

Pausenlos schaute ich den Mann vor mir an. Das tat ich, denn ich wusste, dass ich irgendwann nicht mehr die Gelegenheit dazu haben werde. „Ich weiß es einfach."

Feinde liebt man nicht Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt