Kapitel 52

69 7 3
                                    

„Morwen!" Die Stimme schien von weit weg zu kommen. „Morwen, wo bist du?"

Ein winziger Teil ihres Verstandes wollte der Stimme antworten, doch es gelang ihr nicht. Stille. Wann war das letzte Mal, dass ich mich so ruhig gefühlt habe?

„Morwen!" Das Rufen wurde eindringlicher und die Stimme klang jetzt näher. Ich kenne diese Stimme. Die Kälte machte ihre Gedanken träge. Woher nur?

Dann spürte sie plötzlich, wie kräftig an ihrem Arm gezogen wurde. Nein, nicht. Lass mir diesen Frieden, nur noch einen Moment. Doch ihr fehlte die Kraft, sich zu wehren.

„Morwen, den Valar sei Dank. Es geht dir gut."

Eisig schnitt ihr der Wind ins Gesicht und brachte sie zurück ins Hier und Jetzt. Die beißende Kälte vertrieb die Trägheit ihrer Gedanken. Jetzt erkannte sie auch die Stimme. „Legolas", flüsterte sie.

„Ich hatte schon Angst du wärest zu tief unter dem Schnee begraben." Die blauen Augen des Elben waren voller Sorge. „Elladan hätte es mir nie verziehen, wenn ich ohne dich zurückgekommen wäre." Erschrocken blickte er sie an, hatte er seine Gedanken vor Erleichterung laut ausgesprochen. „Das hätte ich vielleicht lieber für mich behalten", murmelte er verlegen.

„Keine Angst, mellon nîn." Morwen konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf ihre Lippen schlich. „Ich weiß, dass du auf mich aufpassen sollst. Ich... ich habe eure Unterhaltung gehört, damals in Imladris." Und Legolas nimmt sein Versprechen offenbar sehr ernst.

„Was ist passiert?", fragte sie dann, „ich erinnere mich nur noch, dass eine Wand aus Schnee auf uns herabgestürzt ist." Besorgt sah sie sich um. „Die anderen?", fragte sie beunruhigt, als sie niemanden sonst entdecken konnte.

„Es geht allen gut", beruhigte Legolas sie, „der Schnee hat dich heftig getroffen, nachdem du Gandalf in Sicherheit gebracht hast. Du warst ein ganzes Stück entfernt, aber dank der Gnade der Valar habe ich dich noch rechtzeitig gefunden."

„Dann sollten wir wieder zu den anderen gehen." Morwen rieb sich die steifen Hände. „Wir müssen immer noch diesen Berg überqueren." Sofern wir das schaffen. Ich habe doch gleich gesagt, dass das Nebelgebirge zu gefährlich ist.

„Schaffst du ein Stück Aufstieg?" Legolas musterte sie besorgt. „Du warst ziemlich lange unter dem Schnee, am besten wäre es wohl, wenn du dich an einem Feuer aufwärmen könntest."

„Und wo soll ich bitte ein Feuer hernehmen?", murmelte Morwen während sie versuchte, ein Zittern zu unterdrücken. Jetzt, da sie wieder mitten im Schneesturm stand, war ihr eiskalt. „Ich schaffe es schon", erwiderte sie entschlossen, „geh du voran."

Legolas nickte zögernd und machte sich auf den Weg bergauf.

Bevor sie ihre Gefährten durch den wirbelnden Schnee erblicken konnte, hörte sie bereits eine drängende Stimme: „Ewig können wir es hier nicht aushalten! Das wird der Tod der Hobbits sein!"

Da hat Boromir völlig recht. Zumindest gerade scheint der Ring keinen Einfluss auf ihn zu haben, sonst wäre ihm das egal.

„Frodo?" Gandalfs Stimme war trotz des Windes deutlich zu vernehmen. Langsam konnte Morwen die Umrisse der anderen durch den Schneefall erkennen.

„Wir werden durch die Minen gehen." Die Stimme des Hobbits zitterte leicht, auch wenn er offensichtlich um einen festen Tonfall bemüht war.

„Dann ist es entschieden." Morwen hörte förmlich, wie alles in Gandalf sich gegen diese Entscheidung sträubte. Dann blickte der Zauberer auf und entdeckte die beiden Gestalten, die sich der restlichen Gemeinschaft langsam näherten.

„Du hast sie gefunden." Wärme sprach aus seinen Worten. „Sehr gut. Wie geht es dir, Morwen?"

„Es geht mir gut", antwortete sie, „mir ist nur kalt." Eigentlich müsste ich erleichtert sein, dass ich wieder bei den anderen bin, aber die Aussicht, unter dem Gebirge hindurchgehen zu müssen, gefällt mir überhaupt nicht. Was mag dort unten alles sein?

„Morwen!" Die Hobbits schienen zwar am Ende ihrer Kräfte, dennoch umringten sie Morwen mit strahlenden Augen. „Du bist wieder da!"

„Legolas hat mich ausgegraben." Morwen drückte jeden der Hobbits fest an sich. „Ich bin froh, euch wiederzusehen."

„Genau wie wir." Aragorn schenkte Morwen ein so erleichtertes Lächeln, dass ihr warm ums Herz wurde. Auch Gimli brummte irgendetwas – wahrscheinlich hatte die Aussicht auf das Wiedersehen mit seinen Verwandten in Moria seine Stimmung gehoben – und selbst Boromir blickte sie freundlich an.

„Wartet", unterbrach da Pippin die Wiedersehensfreude, „heißt das etwa, dass wir den ganzen Berg wieder runterlaufen müssen?"

Merry verdrehte die Augen. „Du merkst aber auch alles, Pip."


Morwen, Tochter SauronsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt