Kapitel 35

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„Ach Dûr." Morwen schmiegte sich eng an das Fell ihrer Freundin. „Mir fehlt ada. So wie er früher war, in Dol Guldur. Irgendetwas hat ihn so sehr verändert, dass ich ihn kaum wiedererkenne."

Dûr knurrte leise und beruhigend.

„Personen verändern sich." Morwen hörte eine leise Stimme hinter sich.

Die Stimme klingt so ähnlich wie Elronds. Langsam wandte Morwen sich um.

„Ich bin Elladan", stellte der Elb sich vor, „und Ihr müsst Morwen sein. Mein Vater erzählte mir, dass Ihr in Imladris seid."

Morwen nickte nur. Also ist er wohl Elronds Sohn. „Was meintet Ihr mit „Personen verändern sich"", fragte sie zögerlich nach.

„Nun, Ihr kennt Sauron auf eine andere Weise als die meisten hier in Mittelerde." Morwen bemerkte, dass der Elb seine Worte sehr vorsichtig zu wählen schien. „Mein Vater sagte mir, dass Ihr erst eine Zeit lang mit Tauriel und später mit Legolas unterwegs wart. So wie Ihr Euch auf dieser Reise verändert habt, kann sich auch Sauron in Eurer Abwesenheit verändert haben."

„Wenn er erfahren hat, dass ich mit Elben unterwegs war, könnte das der Grund sein, dass er mir nicht mehr vertraut", murmelte Morwen.

„Sucht den Grund dafür nicht bei Euch. Es kann unendlich viel geschehen sein."

„Nun klingt Ihr genau wie Elrond", stellte Morwen fest, „aber bitte, sagt doch einfach „du" zu mir."

Elladan nickte. „Wenn du dasselbe tust."

„Danke." Morwen lächelte ein wenig.

„Ich wollte gerade die Südgrenze von Imladris abreiten", wechselte Elladan das Thema, „möchtest du mich vielleicht begleiten."

Morwen nickte. Das wird mich auf andere Gedanken bringen.

Elladan pfiff leise und wenige Augenblicke später trabte ein großes Pferd heran, dessen Fell beinahe ebenso schwarz war wie Dûrs.

„Das ist Lóme („Nacht")", stellte Elladan vor.

„Das passt gut zu Dûr." Ein fröhlicher Schimmer glitt über Morwens Gesicht. „Ob die beiden sich wohl verstehen werden?"

„Ich bin mir nicht sicher." Elladan grinste. „Wenn Lóme erst einmal seine Angst überwunden hat, dass deine Dûr ihn appetitlich finden könnte..."

Nun musste Morwen lachen. „Sie ist ganz brav."

„Gut." Mit einer eleganten Bewegung schwang Elladan sich auf Lóme, woraufhin auch Morwen auf Dûrs Rücken stieg.

„Folge mir einfach, Morwen. Ich zeige dir den Weg."

Morwen nickte und Elladan ritt los. Schnell bemerkte sie, dass Lóme Dûr weder in Geschwindigkeit noch in Wendigkeit nachzustehen schien. Die Bewegung schien Dûr sichtlich gut zu tun und auch Morwen genoss es, wieder einmal den Wind in ihren Haaren zu spüren.

Es dauerte einige Zeit, bis Elladan langsamer wurde. „Halt die Augen offen, Morwen. Bald könnten wir Orks über den Weg laufen."

Morwen nickte. Früher hätte es mich beruhigt, Orks in meiner Nähe zu wissen. Aber jetzt ist alles anders. Hätte man mir früher gesagt, ich würde eines Tages an der Seite von Elronds Sohn Orks jagen gehen, hätte ich es niemals geglaubt.

„Elladan?", fragte Morwen nach einiger Zeit leise, „wie kommt es eigentlich, dass dein Vater mir nie misstraut hat? Obwohl er doch genau wusste, wer ich bin?"

„Ich muss zugeben, dass ich mir nicht ganz sicher bin", erwiderte Elladan ebenso leise, „niemand hat es wirklich verstanden. Aber er hat daran geglaubt, dass es richtig sei, dir mit Freundlichkeit zu begegnen und nicht mit Misstrauen. Und ganz offensichtlich hatte er recht." Ein warmes Lächeln glitt über Elladans Gesicht. „Er war wirklich froh, als Glorfindel ihm berichtete, dass du wieder in Imladris bist."

„Ich bin auch froh, hier zu sein." Morwen konnte kaum glauben, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte. Doch plötzlich schien die Welt um sie herum wieder farbenfroher und glücklicher zu werden. Vielleicht ist es tatsächlich mein Schicksal, unter Elben zu leben. Ich war so einsam, aber jetzt fühle ich mich, als könnte ich wieder frei atmen. Einen Moment lang schlosss Morwen ihre Augen und genoss den Gesang der Vögel, der sich mit dem leisen Rauschen des Windes und vertrauten Stimmen mischte.

„Morwen", zischte Elladan, „konzentrier dich. Hörst du nicht, dass hier irgendwo Orks sein müssen?"

Blitzartig öffnete Morwen ihre Augen wieder. Natürlich. Ihre Stimmen sind mir so bekannt, dass ich sie nicht als die Gefahr wahrnehme, die sie nun für mich sind. „Tut mir leid", murmelte sie.

„Schhh." Morwen musste Elladan nicht einmal ansehen, um seine Anspannung zu erkennen. „Wir lassen Lóme und Dûr hier. Sie könnten verletzt werden." Obwohl sie ihn kaum hören konnte, erkannte Morwen den Befehlston in Elladans Stimme. Er ist es gewohnt, Befehle zu erteilen. Und er ist daran gewöhnt, dass sie auch befolgt werden.

Elladan schwang sich von Lómes Rücken und Morwen folgte rasch seinem Beispiel. „Bleib hinter mir, Morwen."

Sie nickte und lautlos begann Elladan, sich einen Weg durch die Büsche zu bahnen. Bald schon waren die beiden so nah an den Orks, dass Morwen ihre Gespräche verstehen konnte.

„Dieses verfluchte Elbental", hörte sie einen Ork schimpfen, „ich verstehe immer noch nicht, was wir hier tun."

„Sei still. Wir werden deinetwegen noch entdeckt werden."

„Und warum wurden wir ausgerechnet hierhergeschickt? Was sollte die Verräterin schon bei den Elben wollen?"

Morwen hörte die Antwort kaum noch. Jetzt bin ich also nur noch „die Verräterin". Ada weiß also bereits, was ich getan habe.

„Morwen?" Sie konnte versteckte Sorge in Elladans Stimme hören. „Du siehst so besorgt aus."

„Sie suchen nach mir", hauchte Morwen kaum hörbar.

„Du verstehst sie?" Elladans Augen wurden weit, als Morwen nickte. „Wir sollten sie angreifen. Kannst du hören, wie viele es sind?"

„Die meisten Orkpatroullien bestehen aus fünf bis sieben Kriegern", erklärte Morwen leise, „ich habe bisher nur vier verschiedene Stimmen gehört."

„Also mindestens vier und wahrscheinlich nicht mehr als sieben." Elladan überlegte einen Moment, dann legte sich ein grimmiger Ausdruck auf sein Gesicht. „Das sollte zu schaffen sein. Lass uns angreifen."

Morwen, Tochter SauronsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt