Kapitel 2

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Morwen erhielt keine Antwort. „Wer ist da?", wiederholte sie nun etwas lauter. Als Antwort teilten sich die Büsche auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung und einige Elben traten hervor. Morwen umfasste ihr Schwert etwas fester, sie befürchtete schon, dass man diese Elben auf die Suche nach ihr geschickt hatte.

„Man sieht selten Reisende in dieser Gegend, die allein unterwegs sind", hob einer von ihnen zu sprechen an, „was führt Euch hierher?" Morwen überlegte kurz. „Ich bin auf dem Weg nach Norden", antwortete sie dann vage. „Und warum wollt Ihr nach Norden?", hakte ein anderer Elb nach. „Ich suche nach meinem Vater", meinte Morwen, „vielleicht finde ich ihn dort." In ihren Augen war das nur eine halbe Lüge, denn diese blonde Elbin in Dol Guldur hatte zu ihren Begleitern schließlich gesagt, ihr Vater sei in den Osten geflohen, aber sein eigentliches Ziel war der Erebor gewesen. Sie hoffte, dass sie ihn an diesem Ort finden würde, aber den genauen Platz, an dem sie suchen wollte, würde sie diesen Elben nicht verraten. Der eher misstrauische Blick der Elben wurde sofort weniger hart und Morwen wusste, dass sie das Richtige gesagt hatte. „Wenn das so ist, dürft Ihr natürlich ungehindert passieren", sagte der Elb, der sie als erstes angesprochen hatte, „und mögen die Valar geben, dass Ihr ihn bald findet." Mit diesen Worten drehten sich die Elben wieder um und gingen zurück zu den Büschen. „Nur noch eines", wandte sich der Elb nochmals an sie, „seid auf der Hut. In diesen Wäldern wurde ein großer schwarzer Warg gesehen. Passt gut auf, dass Ihr ihm nicht begegnet." Mit diesen Worten verließ auch er sie und Morwen hätte vor Erleichterung am liebste gelacht.

Nun entspannte sie sich wieder und versuchte, durch die dichten Baumwipfel einen Blick auf den Stand der Sonne zu erhaschen. Diese schien schon ein ganzes Stück gesunken zu sein und Morwen hoffte, dass es bald dunkel genug sein würde, um unbemerkt weiterreisen zu können. Zwar hatten diese Elben sie nicht erkannt, aber was wäre geschehen, wenn Dûr bei ihr gewesen wäre? Wussten die Völker Mittelerdes wirklich nicht von ihrer Existenz? Ihr Vater hatte immer gesagt, nur die Weisesten könnten sie überall erkennen, aber was, wenn diese anderen von ihr erzählt hatten? Wenn irgendjemand doch wusste, dass die Tochter Saurons an ihrer Wargin und dem silbernen Ring leicht zu erkennen war? Würde sie dann jemals in Sicherheit sein?

Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie Dûr erst bemerkte, als sie direkt vor ihr stand. Die Wargin sah erschöpft aus und Morwen stand besorgt auf, um sie genau zu betrachten. Da entdeckte sie, dass im rechten Hinterbein ihrer treuen Freundin ein abgebrochener Pfeil steckte – ein Elbenpfeil, wie sie vermutete. Behutsam versuchte Morwen, die Pfeilspitze zu entfernen, aber sie saß zu fest. Kurz hielt sie inne und beruhigte Dûr mit einigen leisen Worten, dann zog sie mit viel Kraft an dem abgebrochenen Pfeil und zu ihrer großen Erleichterung glitt die Spitze hinaus. Dûr ließ ein leises Jaulen vernehmen, beruhigte sich aber schnell wieder. Morwen warf einen Blick auf die Wunde. Wahrscheinlich würde Dûr einige Tage lang nicht besonders schnell laufen können, was einen großen Nachteil für sie bedeutete. Sie spürte Wut auf die Elben in sich aufsteigen, die auf Dûr geschossen hatte.

Nun musste sie jedoch schnell dafür sorgen, dass es Dûr besserging. Ihr Vater hatte viele besondere Kräfte besessen, doch Morwen hatte nur wenig davon geerbt. Kleinere Wunden jedoch konnte sie zuverlässig heilen, soviel hatte sie unter der Aufsicht ihres Vaters gelernt. Sie blendete die Umgebung vollständig aus und konzentrierte sich auf Dûrs verletztes Bein. Für einen kurzen Moment spürte sie, wie stark die Wunde schmerzte, dann schloss sie die Augen. Sie stellte sich vor, wie kräftig und gesund dieses Bein wieder sein sollte. Vor ihrem inneren Auge konnte sie erkennen, wie sich silbrige Schleier über die Verletzung legten, bis sie vollkommen schimmerte Erleichtert öffnete Morwen ihre Augen wieder und sah zufrieden, dass die Wunde zu großen Teilen schon wieder geschlossen war.

Erschöpft lehnte sich Morwen gegen einen Baumstamm, solche Heilungen kosteten sie mehr Kraft, als es ihr lieb war. Doch trotzdem war sie stolz, dass sie solche Kräfte besaß. Ihren Vater hatte sie nie dabei gesehen, wie er jemandem auf diese Weise half, er hatte sie zwar gelehrt, ihre Kräfte zu nutzen, hatte aber auch immer gesagt, dass diese Macht nicht für ihn bestimmt sei.

Als Morwen sich wieder halbwegs erholt hatte, warf sie erneut einen Blick an den Himmel. Mittlerweile dämmerte es schon und Morwen entschied sich, den Aufbruch zu wagen. Noch einmal kontrollierte sie den Zustand von Dûrs Bein, dann schwang sie sich mit einer zufriedenen Miene auf deren Rücken. „Auf nach Norden", flüsterte sie Dûr ins Ohr und die Wargin setzte sich in Bewegung.

Morwen, Tochter SauronsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt