Erschöpft lauschte Morwen dem Rauschen der zahlreichen Wasserfälle um sie herum. Der Tag hatte sie viel Kraft gekostet. Nicht nur, dass es ihr von Minute zu Minute immer schwerer gefallen war, das leise Flüstern des Einen Ringes auszublenden, sie hatte ihre Ohren und ihr Herz vor einigen Anfeindungen verschließen müssen.
Einzig die dankbaren Blicke von Elrond und Elladan, die diese ihr immer wieder unauffällig zugeworfen hatten, ließen sie ihren Entschluss nicht bedauern. Es war die richtige Entscheidung – hoffe ich zumindest.
Aragorn und Legolas hatten ihr ebenfalls gezeigt, dass sie sich freuten, dass Morwen mit ihnen ziehen würde, ebenso wie Gandalf. Die Hobbits gingen mit ihr ohnehin völlig unbeschwert um, schließlich hatten sie sie auch im Auenland schon ab und an gesehen.
Boromir und Gimli waren das genaue Gegenteil. Doch während Gimli immerhin alle Elben misstrauisch beäugte, schien Boromir all seinen Frust, dass man ihm den Ring nicht anvertraut hatte, an Morwen auszulassen.
So schnell, wie es möglich war ohne unhöflich zu wirken, hatte Morwen die Runde ihrer neun Mitreisenden verlassen und sich in einen ruhigen, abgelegenen Teil des Tals zurückgezogen.
Längst schon war es dunkel geworden. Morwen starrte nachdenklich auf den Wasserfall, der ihr am nächsten war. „Wenn ich nur sicher sein könnte, dass ich mich richtig entschieden habe", murmelte sie.
„Das hast du." Leise Worte mischten sich in das Plätschern des Wassers.
„Elladan." Morwen erkannte die Stimme des Elben sofort und hob den Kopf. „Wie schaffst du es nur immer mich zu finden?"
„Du warst schon häufiger hier." Elladan trat aus dem Schatten einiger Bäume hervor. „Früher, als du noch etwas häufiger in Imladris weiltest."
Morwens Blick glitt an Elladan vorbei in die Ferne. „Ich habe hier so viele glückliche Stunden verbracht", murmelte sie, „und dabei hättet ihr allen Grund gehabt, mich zu hassen."
„Wäre es nicht ungerecht, dich aufgrund deines Vaters zu verurteilen?", fragte Elladan.
„Boromir tut das." Morwen gelang es nicht ganz, ihren Frust über das Verhalten des Menschen aus ihren Worten herauszuhalten.
„Boromir hat Angst. So wie jeder hier. Selbst mein Vater hat Angst, was geschehen könnte."
„Weißt du, warum Elrond mir von Anfang an vertraut hat?" Schon lange stellte Morwen sich diese Frage, doch nun wagte sie es zum ersten Mal, sie auszusprechen.
Elladan schüttelte den Kopf. „Ich verstehe ihn auch oft nicht", vertraute er ihr an, „aber bisher hat er sich noch nie geirrt."
Morwen nickte langsam. „Es tut gut, dich zum Freund zu habe, Elladan. Du warst immer für mich da." Sie lächelte schwach. „Du hast mir beigebracht, wie man Orks jagt, erinnerst du dich noch?"
Auch in Elladans Züge stahl sich ein sanftes Lächeln. „Du konntest ihre Stimmen unterscheiden."
„Ich beherrsche ihre Sprache noch immer. Das könnte uns auf der Reise nützlich sein."
Plötzlich wurde sie wieder ernst. „Bevor ich aufbreche, möchte ich dich gern noch etwas fragen."
„Frag, was immer du möchtest." Elladan blickte sie neugierig an. „Mein Wissen steht dir zur Verfügung."
„An dem Tag, an dem Tauriel in den Westen gesegelt ist", begann Morwen leise, „an diesem Tag hörte ich nahe des Meeres einen seltsamen Vogel rufen. Es schien, als drängen seine Rufe bis an mein Herz. Seither verspüre ich manchmal eine solche Unruhe, als würde mich ein unsichtbares Band zurück an die Küste ziehen wollen. Warum, Elladan? Warum zieht es mich so sehr nach Westen obwohl ich doch weiß, dass ich niemals dorthin segeln werde?"
„Weißt du das denn mit Sicherheit?", fragte Elladan. „Die Valar mögen streng sein, doch sie sind ebenso gerecht und voller Güte denen gegenüber, die es verdienen. Deine Sehnsucht wird nicht grundlos geweckt worden sein. Vertraue auf die Wege des Schicksals."
„Ich werde es versuchen." Morwen erwiderte kurz Elladans Blick, dann wanderten ihre Augen hinunter zu ihren Händen.
Langsam zog sie den Ring, den ihr Vater ihr einst geschenkt hatte, von ihrer Hand.
„Ich weiß nicht genau, warum ich ihn noch immer trage", sagte sie, mehr an sich selbst gerichtet.
„Weil du dich an deinen Vater erinnern möchtest, so wie er früher mit dir umgegangen ist." Elladan sah die Zweifel in Morwens Blick. „Er mag sich von dir abgewandt haben und du von ihm, aber die Zeit, die ihr einander als Tochter und Vater verbracht habt, wird immer in deinem Herzen sein, gleich was er tut."
„Würdest du ihn für mich verwahren? Falls mir auf der Reise etwas zustoßen sollte, wüsste ich ihn gern in Sicherheit."
Elladans Augen weiteten sich. „Er ist aber doch wichtig für dich."
„Und bei dir weiß ich ihn in Sicherheit." Morwen schenkte Elladan ein zartes Lächeln und legte den Ring in seine Hand. „Ich weiß, dass du gut auf ihn achtgeben wirst, mellon nîn."
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Morwen, Tochter Saurons
FanfictionNachdem ihr Vater Sauron durch Galadriels Macht aus seinem kurzzeitigen Zuhause Dol Guldur vertrieben wurde, ist Morwen allein. Sie muss lernen, sich in einer fremden Welt zurechtzufinden und nach Möglichkeit geheimzuhalten, wer sie wirklich ist. Ab...