Kapitel 56

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„Still jetzt!" Irgendjemand hatte ein paar lose Steine ins Rutschen gebracht. Das leise Geräusch hallte vielfach von den Wänden zurück und Gandalf blickte sich warnend um. „Bis zur anderen Seite ist es ein Fußmarsch von vier Tagen. Lasst uns hoffen, dass unsere Anwesenheit unbemerkt bleibt", schloss der Zauberer seine warnende Ansprache.

Das wäre mir auch lieber. Morwen tauschte einen kurzen Blick mit Legolas. In seinen Augen spiegelte sich auch ihr wachsendes Unbehagen. Wir hätten diesen Weg nicht einschlagen sollen. Dieser Ort fühlt sich irgendwie unheimlich an. Angestrengt spähte Morwen in die Dunkelheit, während sie sich ein Stück hinter Legolas zurückfallen ließ, als der vormals breite Weg langsam schmaler wurde.

Zu einer Seite lag nun ein tiefer Abgrund. Von Zeit zu Zeit konnte Morwen in der Finsternis Konturen erahnen. Brücken nehme ich an. Lange verfallen. Sie schauderte. Ich hoffe, unser Weg führt wenigstens immer über festen Fels. Zwerge mögen für die Ewigkeit bauen, doch was da so in der Dunkelheit zu erahnen ist wirkt nicht gerade vertrauenswürdig. Und hier herunterstürzen möchte ich wahrhaft nicht.

„Es sieht unglaublich verlassen aus", hörte sie Gimli leise brummen, „als wären wir nie hier gewesen." Morwen hörte Bedauern in der Stimme des Zwerges. Sie verlangsamte ihre Schritte ein wenig.

„Ihr habt Moria früher gekannt?", fragte sie leise.

Gimli nickte. „Ich war einmal mit meinem Vater hier. Er meinte, ich solle den Ort kennenlernen, den mein Vetter Balin zu seinem Heim gemacht hat." Er seufzte tief.

„Moria wurde schon einmal von Orks eingenommen", erzählte er dann leise, „aber wir haben uns unser Reich zurückgeholt. Einst war es legendär, das Reich von Khazad-dûm. Die größte Stadt meines Volkes. Wir haben die Orks vertrieben, vor nicht allzu langer Zeit, damals, als der Drache die Zwerge des Erebor vertrieben hat. Und als es gelungen war, den Erebor wieder zurück zu erobern, beschloss Balin, auch Moria wieder neu zu besiedeln. Natürlich hatte die Stadt noch längst nicht wieder ihren alten Glanz, doch wenn ich sehe, wie sie jetzt aussieht..."

Gimli verstummte und blickte kummervoll in die Dunkelheit.

„Ich hätte nie gedacht, dass mein zweiter Besuch hier so düster sein würde."

Morwen wusste nicht, was sie erwidern sollte. Der Schrecken darüber, dass Moria den Zwergen offenbar erneut entrissen worden war saß tief, und sie spürte Gimlis Kummer darüber. Zur Zeit, als die Zwerge den Erebor zurückforderten. Damals, als zwischen meinem Vater und mir alles in Ordnung war.

Ohne Vorwarnung überspülte sie eine Woge der Sehnsucht. Damals, als ich mich geborgen fühlte in Dol Guldur. Eine Heimat, eine Familie. Ich habe mich sicher gefühlt. Und dann war auf einmal alles verloren. Unbewusst wanderte ihre Hand zu Tauriels Halskette, die sie nie abgelegt hatte. Dann hatte ich auf einmal eine Freundin, aber auch sie habe ich wieder verloren. Was würde ich dafür geben, sie einmal wiederzusehen.

Sie unterdrückte ein Seufzen. Mag sein, dass ich jetzt klarer sehe. Und ich weiß, dass ich das Richtige tue, indem ich diese Mission unterstütze. Aber manchmal wünschte ich, all das wäre nie geschehen.

Ich wünschte, ich hätte einen Vater, den ich lieben könnte.


Morwen, Tochter SauronsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt