#2 Ein Abend am See

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Dylan

Da ich vorhatte nicht allzu viel Alkohol zu trinken, wurde ich von Calvin dazu verpflichtet zu fahren. Der See war nicht weit entfernt, aber der Herr war sich zu bequem zu laufen, wenn ich schon nicht so viel trinken wollte. Grinsend schmiss ich die Kühltasche mit Sandwiches und Getränken auf den Rücksitz. Ich freute mich schon riesig auf den Abend, da wir die letzten Wochen nicht viel Zeit mit unseren Freunden verbracht hatten durch die ganzen Prüfungen. Als wir am See ankamen, sah ich auch schon das Auto von Jamie, wodurch mir klar wurde, dass ich nicht der einzige war, der so gut wie nüchtern aus dem Abend rauskommen würde. Zusammen mit Calvin lief ich in die Richtung unserer Freunde. Da wir uns immer an der gleichen Stelle trafen, war es nicht schwer sie zu finden. Sogar Casper saß im Sand auf einem Handtuch.

„Wohl doch kein Hausarrest", haute ich ihm zur Begrüßung gegen die Schulter. „Manchmal vergisst du, dass mein Zimmer im Erdgeschoss ist", grinste Casper mich verspielt an.

Das konnte nur bedeuten, dass er aus dem Fenster geklettert war. Untypisch war es für Casper nicht, wodurch ich mir nur seufzend neben ihn nieder ließ. Der Geruch von irgendeinem Alkohol drang zu mir herüber. Casper hatte auf jedenfall schon gut vorgetrunken. Ihn komplett nüchtern zu erleben, grenzte schon an ein Wunder.

„Endlich ist dieses Schuljahr vorbei", hielt Jamie eine Flasche Bier feierlich hoch, damit wir mit ihm anstoßen konnten. „Noch ein Jahr und dann sind wir endlich durch", lächelte Ruby, die neben ihm saß.

Die Freude stand uns allem im Gesicht. Durch den leichten Wind band Ruby sich ihre braunen Brustlangen Haare zusammen. Der Dutt, den sie sich gemacht hatte, sah aus als ob darin Vögel leben würde. Wenn ich so durch die Runde schaute, war ich mal wieder froh, dass wir alle schon seit Jahren befreundet waren. Es waren zwischen uns allen nie eine komische Phase. Schon am ersten Tag fühlte es sich so an, als ob man den anderen schon immer kennen würde. Naja, meinen Bruder kannte ich ja tatsächlich schon mein ganzes Leben.

„Als ob, er dich wirklich in den Pool geschubst hat", prustete Ruby, wobei sie zu mir schaute. „Kennst mich doch", grinste ich. „Machmal bereue ich es", witzelte sie. „Kratz bloß nicht sein Ego an, sonst bist du gleich im See", lachte Calvin. „Und du sollst mein Bruder sein", blickte ich zu ihm.

Geschwisterliebe oder wie nannte sich das nochmal zwischen uns? Ja, das musste es gewesen sein. Wir waren noch keine halbe Stunde am See und er hatte sich bereits soviel Mut angetrunken seinen Mund aufzumachen. Manchmal war Calvin das kleine graue Mäuschen, dem man nichts zutraute. Im nächsten Moment konnte er seinen Mund so groß aufmachen, dass nichts mehr von dieser Maus zu erkennen war. Besonders, wenn er Alkohol trank, hielt er sich für den größten Komiker, den man je gesehen hat.

„Ich kratze doch nicht Dylans Ego an, oder mein Schätzchen?", grinste Ruby in meine Richtung. „Niemals, Liebling", lächelte ich zurück.

Ruby und ich waren zwar kein Paar, aber wir hatten vor Jahren angefangen uns unnötig Kosenamen zu geben. Wenn wir mal ein Alibi brauchten, um uns aus einem Flirtversuch herauszureden, war es sehr praktisch. Wir haben auch noch nie für den anderen Gefühle gehabt, wodurch es für keinen von uns beiden ein Problem war. Vorsichtig riskierte ich einen Blick zur Seite zu Casper. Er starrte ins nichts, wobei er an seiner Bierflasche nippte. Es war ungewöhnlich, dass er so ruhig war. Anscheinend war irgendwas vorgefallen, aber ich wusste, dass er es niemals vor allen sagen würde. Schnell ließ ich mir etwas einfallen, damit ich ihn mir an die Seite nehmen konnte. Ich war nicht umsonst die Vertrauensperson unserer Freundesgruppe.

„Cas, hilfst du mir mal bitte kurz", sprach ihn an. „Klar", stand Casper auf. „Sucht euch ein Schlafzimmer", rief Jamie uns hinterher.

Casper drehte sich nochmal kurz zu unseren Freunden um, damit er Jamie seinen Mittelfinger zeigen konnte. Zusammen liefen wir zu meinem Auto, wo Casper mich auffordernd anschaute. Anscheinend dachte er wirklich, dass er mir bei etwas helfen sollte.

„Ist was passiert?", fragte ich gerade heraus. „Nein, nicht wirklich", wich Casper meinem besorgten Blick aus, wobei er sich auf der Unterlippe biss. „Cas, du bist ungewöhnlich ruhig", nannte ich ihm meine Beobachtung. „Meine Eltern wollen sich trennen, aber dieses mal wirklich", knickte er schließlich unter meinem Blick ein.

Ohne etwas sagen können, fiel er mir schon in die Arme. Seine Eltern haben sich oft gegenseitig gedroht sich scheiden zu lassen. Jedes Mal war es für Casper ein Stich ins Herz, obwohl die beiden ihn nicht wirklich super behandelten. Er hatte natürlich die Angst, dass er dann wegziehen müsste. Für ihn war es schon immer schwer gewesen neue Freunde zu finden, wodurch er froh war, dass er uns hatte. Beruhigend streichelte ich ihm über den Rücken.

„Wenn dir die Streitereien zu viel werden, kannst du gerne zu uns kommen", bot ich Casper, wie so oft an. „Danke, aber du kennst mich", schaute er mich entschuldigend an.

Natürlich kannte ich Casper. Er ertrank seine Gefühle lieber anstatt über diese zu reden. Ich nahm ihn nochmal freundschaftlich in den Arm, bevor wir wieder zurück zu unseren Freunden liefen. Casper hatte sich auf dem Weg die Tränen aus dem Gesicht gewischt, damit man ihm nichts anmerkte. Leider wurde ihm immer eingetrichtert, dass Tränen ein Zeichen von Schwäche sind. So wie jedes andere Gefühl. Wenn es nach seinen Eltern gehen würde, wäre Casper ein Stein, der jeden Tag nur Einsen mit nach Hause brachte. Casper hatte schon vor zwei Jahren aufgehört Einsen mit nach Hause zubringen, weil es ihm zu viel wurde. Er hatte durch das viele Lernen kaum noch Zeit für sich selber, für sein Hobby oder uns. Ich fischte zwei Bierflaschen aus der Kühltasche, wovon ich Casper eins hinhielt.

„Ich bin dafür, dass wir Wahrheit oder Pflicht spielen", schlug Jamie vor während er schwankend aufstand. „Nein", stöhnte Ruby genervt. „Ach, komm schon. Du bist langweilig", versuchte Jamie sie zu provozieren. „Gut, dann erzähl mal von der fehlgeschlagenen Abtreibung, wegen der du heute hier sitzt", entgegnete sie ihm.

Keiner von uns konnte sich das Lachen verkneifen, da es keiner kommen gesehen hat. Jamie schaute Ruby böse an, aber fing dann auch zu lachen. Rubys Humor war manchmal fragwürdig, aber wir alle hatten uns daran gewöhnt.

Der Verrat in PersonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt