Austin
Gedankenverloren brachte ich die Vorhangschiene, die ich vor ein paar Tagen gekauft hatte, über meinem Fenster an. Als die Schiene endlich hing und ich zwei Löcher zu viel in der Wand hatte, konnte ich den Vorhang auf beiden Seiten durch fädeln. Wer hatte sich denn so einen Mist ausgedacht? Ich wollte den Stoff in meinen Händen schon auf den Boden schmeißen, aber entschied mich dann dazu, dass ich nochmal tief durchatme. Beim zweiten Anlauf funktionierte es zum Glück viel besser. Zum gefühlt zehnten Mal an diesem Mittag schaute ich auf die Uhr. Endlich war es so weit, dass ich zum Spiel von Dylan fahren konnte. Aus dem Fenster sah ich, dass er sich auch in dem Moment seine Sporttasche über die Schulter schmiss. Schnell zog ich mir noch ein frisches Oberteil an, bevor ich runter lief.
„Ich bin weg", sagte ich Mom Bescheid. „Könntest du noch kurz warten?", schaute sie von ihrem Laptop hoch. „Aber dann komme ich zu spät", versuchte ich zu flüchten. „Es ist wichtig", lächelte sie mich an.
Ich knickte ein, denn wenn ihr etwas wichtig war, fiel es mir schwer nein zu sagen. Mit einem interessierten Gesichtsausdruck setzte ich mich zu ihr an den Küchentisch.
„Was gibt es denn so wichtiges?", wollte ich wissen. „Riley", schrie Mom, wodurch ich mir meine Hand aufs Ohr drückte. „Ist irgendwas passiert?", interessierte Riley sich, als sie uns anschaute. „Gebt mir bitte beide eure Handys", bat Mom uns.
Skeptisch tauschten meine Schwester und ich einen Blick aus, aber gingen Moms Bitte nach. Irritiert von Moms Verhalten setzte Riley sich nun auch zu uns. Hatten wir irgendwas angestellt?
„Euer Vater kommt jetzt gleich vorbei", informierte Mom uns schließlich. „Was?", kam es ungläubig und gleichzeitig von Riley so wie mir. „Mom, ich wollte zu Dylans Spiel", erinnerte ich sie gequält. „Es tut mir leid, aber es ist jetzt so", ihr Blick zeigte mir wirklich reue, aber ich hatte kein Verständnis.
Ich wusste, dass es Dylans letztes Spiel war. Mir kam es so rüber als ob ihm meine Anwesenheit sogar wichtig wäre. Kurz wollte ich schon nach meinem Handy greifen, aber dann fiel mir wieder ein, dass Mom es hatte. Ich nahm mir vor, dass ich so schnell wie möglich zu Dylan musste, wenn er zurück kam. Als ich hoch wollte, um zumindest einen Zettel an mein Fenster zu hängen für den Fall, dass ich sein Eintreffen verpassen würde, klingelte es. Mir war schon klar, wer da stand, wodurch ich wenig motiviert die Tür öffnete.
„Was möchtest du hier?", fragte ich. „Euch besuchen? Ihr seid noch immer meine Kinder", meinte Dad selbstgefällig.
Ich runzelte meine Stirn, aber ließ ihn dann rein. Bevor ich einen kurzen Freudenschrei von Riley hörte, schloss ich die Tür. Die Chance hätte ich eigentlich zum verschwinden nutzen sollen, aber die Idee kam mir erst, als ich die Küche Betrat. Unsicher schaute ich zu Mom, die genau so wenig, wie ich, begeistert von Dads Besuch aussah. Sie tat es nur für Riley und mich, da sie der Meinung war, dass wir trotz der Trennung ein Anrecht auf Dad hatten. Ganz ehrlich, ich hätte darauf verzichten können. Spätestens als Dad wieder das Schwimmen ansprach.
„Also Austin, bist du wieder im Wasser?", versuchte er Hoffnungsvoll in das Thema einzusteigen. „Nein", murrte ich. „Warum nicht? Warum gehst du dem einzigen, was du kannst, nicht nach?", fragte Dad empört.
Ja, so hatte ich mir auf jeden Fall meinen Sonntag vorgestellt, nicht. Viel lieber würde ich jetzt auf der Tribüne sitzen und Dylan anfeuern, aber nein, ich musste mir dieses Gespräch antun. Mein schlechtes Gewissen quälte mich schon.
„Ich kann mehr als nur einen bescheuerten Sport", giftete ich ihn an. „Austin", mahnte meine Mutter. „Nein, Lina. Er denkt, dass er gegen mich rebellieren kann, obwohl er ganz genau weiß, dass ich recht habe", reagierte Dad auf sie.
Ich sah aus dem Augenwinkel, dass Riley ihren Kopf schüttelte. Wir beide wussten, dass ich mich darauf konzentrierte nicht auszuflippen. Das letzte, was ich in dem Moment haben wollte, war Hausarrest. Tief atmete ich tief durch, damit ich mich beruhigte. Abschätzig schwebte mein Blick über Dad, wie er versuchte seine Macht auszustrahlen. Die Kleidung, die er anhatte, verlieh dem ganzen leider nicht die Kraft, wie es sollte. Eine Jogginghose und ein lockeres Shirt.
„Ich schaue mir die Tage einen Verein an. Keine Sorge, ich fange wieder an", versicherte ich Dad. „Das ist schön. Ich hoffe, dass sich deine Leistungen nicht verschlechtert haben", setzte Dad ein süffisantes Lächeln auf. „Dad", rettete Riley mich aus der Situation.
Mit der Entschuldigung, dass ich auf Toilette müsste, verschwand ich ins Badezimmer. Es wäre aufgefallen, wenn ich hoch gegangen wäre, wodurch ich das leider im Erdgeschoss nehmen musste. Seufzend setzte ich mich den geschlossenen Toilettendeckel. Mit meinen Händen rieb ich mir überfordert durch mein Gesicht. Ich war froh, dass Riley Dad angesprochen hatte. Mehrere Minuten blieb ich stumm sitzen, bis ich Alibi mäßig die Spülung betätigte. Sicherheitshalber schaute ich den Spiegel, wodurch ich merkte, dass mir ein paar Tränen über die Wangen gelaufen waren. Kurz haute ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, damit es nicht auffiel. Mit einem gespielten Lächeln lief ich zurück in die Küche. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass Dylans Spiel in wenigen Minuten enden würde.
„Kommst du jetzt öfter vorbei?", erkundigte ich mich bei Dad. „Bestimmt. Vielleicht schaffst du es beim nächsten Mal mir wieder Leistungen zu zeigen", meinte er. „Bestimmt", lächelte ich noch immer falsch. „Nicht nur bestimmt. Du wirst", ich versuchte seinen Befehlston zu überhören, aber es funktionierte nicht.
Mich wunderte es, dass Mom nicht einschritt. Mir war unklar, ob sie einfach nur keinen Streit mit Dad anfangen wollte oder der gleichen Meinung wie er war. Zweiteres würde mich wahrscheinlich noch um den Verstand bringen, denn dann dürfte ich mir wieder jeden Tag etwas zum Thema Leistungen und das ich nichts könnte anhören. Für mich war es wirklich eine sehr positive Sache, dass die beiden sich getrennt hatten, denn so war wieder etwas Ruhe in mein Leben gekehrt. Vieles an Druck war abgefallen.
„David, bleibst du über Nacht oder fährst du gleich wieder?", fragte Mom Dad. „Ich fahre nachher", antwortete Dad. „Oke, ansonsten hätte ich dir nur die Couch anbieten können", meinte Mom. „Ach das wäre auch kein Problem gewesen. So oft wie du mich schon auf die Couch verbannt hast", neckte Dad sie grinsend.
Zumindest stand da das Glück auf meiner Seite. Ich hatte zwar noch nicht so weit gedacht, aber trotzdem fiel mir ein Stein vom Herzen. Tatsächlich konnte ich mir mittlerweile auch kein Morgen mehr mit Dad zusammen vorstellen. Allein schon dieses zusammen sitzen, ließ mich komisch fühlen. Es fühlte sich falsch an.
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Der Verrat in Person
Roman pour AdolescentsDylan Wheeler, die Vertrauensperson seiner Freundesgruppe. Seit eh und je schreibt er jegliches Geheimnis oder witziges Detail, das nicht jeder weiß, in ein Notizbuch. Das Notizbuch ist sein Heiligtum, welches niemals an die Öffentlichkeit kommen da...