#40 Instagram

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Dylan

Am Vorabend war ich von der Party abgehauen, da ich nicht sehen wollte, wie Austin oder Kate mit einem Knutschfleck aus einem Wandschrank herauskommen. Ich war nur wegen Calvin dorthin gegangen, da er nicht alleine wollte. Mehrfach hatte ich von Austin Nachrichten bekommen, dass wir dringend reden müssten. Für mich gab es nichts mehr zu reden. Gelangweilt scrollte ich durch Instagram, bis mir ein Bild auffiel. Angeblich folgte ich dem Account, aber ich konnte mich nicht daran erinnern. Auf dem Bild war Ruby zu sehen. Die Bildunterschrift schockierte mich, denn soweit ich wusste, wusste das keiner außer mir über Ruby.

Ruby Sanders bringt Föten um

Ich musste schwer schlucken. Direkt meldete ich den Beitrag, aber es hatten schon über Tausend Leute geliked. Wer auch immer mein Notizbuch geklaut hatte, musste hinter diesem Account stecken. Fast schon ängstlich tippte ich auf das Profil. Es gab nur einen weiteren Beitrag über Casper.

Seit drei Jahren Alkoholiker

Scheiße. Sofort meldete ich auch diesen Beitrag. Meinen verzweifelten Schrei dämpfte ich mit meinem Kopfkissen ab.

„Was ist denn mit dir los?", stand Calvin auf einmal in meinem Zimmer. „Nichts", log ich, während ich aufstand.

Ich brauchte ganz dringend eine kalte Dusche, damit ich nachdenken konnte. Dieser Account musste ganz schnell verschwinden, bevor noch mehr ans Tageslicht kommt. Meine Vermutung war noch immer, dass Austin mein Notizbuch gehabt haben musste. Wohl oder übel musste ich doch mit ihm reden. Als ich mich angezogen hatte, verließ ich sofort das Haus. In kurzen Abständen klingelte ich bei den Nachbarn, bis Riley mir die Tür öffnete.

„Wo ist er?", fragte ich direkt. „In seinem Zimmer", antwortete sie irritiert.

Ohne ein weiteres Wort drückte ich mich an ihr vorbei. Klopfen sah ich nicht als nötig an, als ich Austins Zimmer betrat. Seelenruhig war er am schlafen. Mit ein wenig zu viel Kraft schlug ich auf seinen Oberarm, wodurch er direkt hochschreckte.

„Netter ging es nicht?", murrte Austin, wobei ich mich fast von seiner verschlafenen Stimme ablenken ließ. „Was soll das? Was für ein scheiß beschissenes Recht nimmst du dir raus? Mit mir zu spielen ist die eine Sache, aber das geht zu weit", wurde ich lauter, wobei ich ihm mein Handy hinhielt.

Fast dachte ich, dass Austin sich in einer Schockstarre befinden würde, aber dann griff er nach meinem Handy. Seine Augen weiteten sich, als er sich beide Instagram Beiträge las.

„Riley war schwanger?", fragte Austin irritiert, wobei er mir mein Handy zurückgab. „Das solltest du wohl bereits wissen", zischte ich ihn an. „Was? Woher das denn bitte?", hinterfragte er. „Jetzt tu doch bitte nicht so unwissend", stöhnte ich genervt auf.

Austin fing an mich zu mustern. Wahrscheinlich dachte er, dass ich Irre wäre. Die Rolle eines unwissenden spielte er wirklich gut. Ich musste tief durchatmen, damit ich ihm keine rein schlug.

„Du hast mein Notizbuch geklaut. Du schläfst bei mir, es ist weg. Du schläfst bei mir, es taucht wieder auf", warf ich ihm vor. „Dylan, ich verstehe hier gerade nichts, was für ein Notizbuch?", fragte Austin blöd nach, obwohl er es ganz genau wusste. „Lösch es", war das letzte, was ich sagte, bevor ich sein Zimmer verließ.

Als ich die Tür zu meinem Auto aufriss, fiel mir auf, dass ich mit keinem über die Instagram Beiträge reden konnte, wodurch ich diese wieder zu knallte. Ich hätte über meine eigene Dummheit weinen können, aber das würde leider auch nichts bringen. Unsicher zog ich mein Handy aus der Hosentasche, um zu schauen, ob die Beiträge schon gelöscht waren. Natürlich nicht. Mir wurde eine Nachricht von Ruby angezeigt, die ich mit zittriger Hand öffnete.

Ruby

Ich habe dir vertraut, Wheeler

~~~

Meine beste Freundin hatte mich nach dieser Nachricht blockiert. Wenn sie es gesehen hatte, musste Casper bestimmt auch schon Bescheid wissen. Schnell scrolle ich durch meine Kontakte. Alle meine Freunde hatten mich blockiert. Ich wurde aus unserer WhatsApp Gruppe rausgeschmissen. Kurz vor den Tränen lief ich ins Haus, wo ich mich direkt in meinem Zimmer verkroch.

Ich dachte nie, dass mich dieses bescheuerte Notizbuch in so eine Situation bringen würde. Auf einen Schlag hatte ich meine Freunde verloren. Es fühlte sich in dem Moment so an, als ob ich jedes Erlebnis der letzten paar Jahre erneut erleben würde. Wie mir jedes Geheimnis anvertraut wurde. Rubys Vergewaltigung. Der Tag an dem ich herausgefunden habe, dass Casper seit Wochen nur noch Alkohol trank. Die Eheprobleme von seinen Eltern. Ich fühlte mich wie ein beschissener Verräter. Jahre lang hatte man mir alles anvertraut und dann kam ein Geheimnis nach dem anderem an die Erdoberfläche.

„Dylan", klopfte Calvin gegen meine Zimmertür. „Lass mich in Ruhe", rief ich, aber er betrat trotzdem mein Zimmer.

Kurz verfluchte ich mich selber dafür, dass ich nicht abgeschlossen hatte. Calvin schaute mich besorgt an, bevor er sich zu mir aufs Bett setzte. Ich konnte ihm noch nicht mal in die Augen schauen. Ein Gespräch wollte ich auch nicht führen, wodurch ich die Decke noch höher in mein Gesicht zog.

„Ruby hat mich gerade total aufgelöst angerufen. Was soll der Mist auf Instagram?", wollte Calvin wissen. „Du denkst, dass ich das war?", fragte ich entgeistert. „Klar, du bist schließlich die einzige Person, die die Geheimnis kennt. Zumindest das von Ruby, so wie sie es mir erzählt hat", erklärte er mir.

Ich wollte dagegen debattieren, aber blieb leise. Egal, was ich gesagt hätte, er hätte es mir nicht geglaubt. Es war klar, dass man dachte, dass es mein Account wäre. Ganz ehrlich, ich würde nichts anderes vermuten. Calvin schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, da er eine Erklärung erwartete. Leicht schüttelte ich meinen Kopf. Ich musste mich damit anfreunden, dass mich jeder hassen würde und jeder denken würde, dass ich hinter dem Mist steckte. In gewisser Hinsicht war es meine Schuld, da ich mein Notizbuch aus den Augen gelassen hatte.

„Geh", wisperte ich. „Wenn du das so möchtest, aber dir sollte bewusst sein, dass alle auf dich sauer sind. Selbst ich kann da nicht mehr viel machen", mit diesen Worte verließ mein Bruder das Zimmer.

Das war nicht wirklich ermutigend oder ähnliches. Ich überlegte, wo ich mich überhaupt noch blicken lassen konnte, wobei mir bewusst wurde, dass die Ferien in zwei Wochen vorbei sind. Schule. Das würde noch ein großes Problem werden, wenn bis dahin nicht geklärt ist, wer wirklich hinter dem Instagram Account steckt. Selbst beim Lacrosse Training konnte ich mich nicht mehr blicken lassen. Mir wurde immer mehr bewusst, wie alleine ich nun dort stand. Freunde zu verlieren war etwas normales, aber alle auf einen Schlag tat weh. Man hatte keinem mehr zum reden. Keinen mehr, den einen von den eigentlichen Problemen ablenkte. Keinen mehr, der einen half. Ich war zwar noch nie ein Mensch, der groß über seine Probleme redet, aber in diesem Moment wäre es mehr als hilfreich gewesen. Selbst mein eigener Bruder schien sich von mir abzuwenden, wenn er auch glaubte, dass ich dahinter steckte.

Der Verrat in PersonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt