#45 Verhandlung

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Austin

Am Vortag war nichts interessantes passiert außer das Riley mich fast geviertelt hatte. Nun war ich ihr ein Haufen Süßigkeiten schuldig, aber das war mir ein glücklicher Dylan wert.

Ungeduldig saß ich auf dem Treppen vor dem Gerichtsgebäude. Die Verhandlung lief bereits eine halbe Stunde. Dylan war total nervös gewesen, was ich verstehen konnte. Ich hatte ihn kaum beruhigt bekommen, denn er war kurz davor einfach nicht zu erscheinen.

Casper saß neben mir und schaute nur auf sein Handy. Er wollte als mentale Unterstützung oder so etwas in der Art dienen.

„Das dauert viel zu lange", legte ich meinen Kopf in den Nacken. „Desto positiver kann es enden", schnaubte Casper belustigt. „Das Ding ist, dass Dylan angefangen hatte. Ich habe Sorgen, dass er noch bestraft wird", erklärte ich. „Er hat damit aber keine Körperverletzung begangen. Dylan ist die Person, die mit einer Schramme rausgekommen ist", versuchte er mir meine Sorge zu nehmen.

Nervös wippte mein Bein auf und ab. So langsam fühlte sich jede vergangene so wie folgende Minute, wie eine Qual an. Immer wieder schaute ich auf das Gerichtsgebäude hinter uns, aber es kam jeder raus außer Dylan. Wahrscheinlich war ich noch nie zuvor in meinem Leben so nervös und ungeduldig zugleich gewesen. Casper legte mittlerweile auch öfter seinen Kopf in den Nacken.

„Denkst du, es geht schneller, wenn wir den Feueralarm auslösen?", spekulierte Casper. „Sicher, dass du nüchtern bist?", fragte ich. „Fühlt sich richtig scheiße an, aber ja", gab er zu. „Darf ich fragen, warum du überhaupt angefangen hast so viel zu trinken?", interessierte ich mich.

Mit einem verspielten Lächeln schaute Casper zu mir rüber. Die Frage hatte ich mir schon länger gestellt, aber bis jetzt nicht getraut auszusprechen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns schließlich nur flüchtig gesehen, aber jetzt waren wir so etwas wie Verbündete.

„Meine Eltern haben sich immer viel gestritten. Meist über meine Leistungen. Ich konnte mit dem Druck nicht umgehen. Alkohol ließ mich kurzzeitig die Probleme vergessen, aber sie waren noch existent. Die beiden haben sich vor kurzem getrennt, Mom ist ausgezogen, aber seit dem sind Dad meine Leistungen so gut wie egal", erzählte Casper.

Manchmal war es schon komisch zu hören, wie schnell manche Menschen zur Flasche griffen oder aus welchen Gründen. Es konnte nur kleine Gründe haben, aber auch schwerwiegende. Trotzdem verdiente jeder Mensch Hilfe in so einer Situation. Man sollte mit seinen Problemen nicht alleine sein. Ich konnte gut nachvollziehen, warum Casper sich diese Hilfe bei Dylan holte auch wenn es nur reden war.

Dylan war, wie ich festgestellt hatte, jemand, der sehr aufmerksam war. Gerne zuhörte, seine Hilfe anbot ohne etwas dafür zu verlangen. Ansicht war er wirklich die perfekte Vertrauensperson, aber leider gab es einen Verräter in den Reihen.

„Du hast einfach so aufgehört?", fragte ich. „Naja, es ist nicht so wie es bei diesem Instagram Beitrag stand. Ich bin kein Alkoholiker. Oft genug hatte ich Zeiten, wo ich nicht getrunken habe. Es ist natürlich schwer, nicht direkt wieder zuzugreifen, aber für mich ist derzeit sozusagen auch kein Anlass dafür", erklärte Casper, was ich nur mit einem Nicken quittierte.

Ich wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Wahrscheinlich war es besser, dass ich darauf nichts erwiderte, denn ich wollte nicht der nächste Anlass sein. Tatsächlich bewunderte ich seine Offenheit in dem Thema, denn es fiel ihm bestimmt nicht leicht darüber zu reden.

Verträumt schaute er wieder in Richtung Himmel, wo sich die Wolken zugezogen hatten. Es war kaum noch ein Sonnenstrahl zu spüren. Kaum hatten wir uns versehen, fing es an, wie aus Eimern, zu regnen.

Casper flüchtete die Treppen hoch, unter das Dach, des Gerichtsgebäude. Ich blieb still sitzen und genoss die kalten Regentropfen auf meiner Haut, während ich die Arme sogar nur ausbreitete und meine Augen schloss.

„Austin", schrie Casper, aber ich reagierte nicht.

Es fühlte sich so an, als ob der Regen jedes negative Gefühl und jede Emotion von mir spülen würde. Der Fakt, dass ich mich erkälten könnte, interessierte mich kein Stück in dem Moment. Die Welt schien für einen kurzen Moment still zu stehen, denn es fühlte sich alles so ruhig und friedlich an, obwohl dutzende Menschen unter das Dach rannten.

„Sweetheart, du wirst nass", hörte ich Dylans Stimme über mir. „Sag mir was neues", lachte ich, denn meine Klamotten waren schon komplett durchnässt. „Du hast sie nicht mehr alle, neu genug?", grinste er mir entgegen. „Noch nicht wirklich", zuckte ich mit den Schultern.

Dylan schüttelte nur den Kopf, bevor er wieder zurück unter das Dach rannte. Ich hatte keine Ahnung, was alle an dem Regen so schlimm fanden, denn wir bestanden doch nicht aus Zucker. Naja, Dylan vielleicht schon. Schließlich rappelte ich mich ebenfalls auf, da ich wissen wollte, was entschieden wurde.

„Aah! Du bist nass", erschreckte Dylan sich, als ich meine Arme von hinten um seinen Bauch legte. „Nein, der ist Irre", schnaubte Casper belustigt. „Was wurde entschieden?", interessierte ich mich. „Anderthalb Jahre Freiheitsstrafe", sagte Dylan, was unzufrieden klang.

Ich verstand nicht, warum dieser unzufriedener Unterton so in seiner Stimme mit schwang, aber entschied mich dazu, dass ich später genauer nachfragen würde. Dylan sollte erstmal selber mit der Situation zurechtkommen.

Grinsend lehnte er seinen Kopf nach hinten gegen meine Schultern, wodurch er zu mir hochschauen konnte. Sein Gesichtsausdruck war von Zufriedenheit geziert, aber ich nahm es ihm nicht so wirklich ab. Kurz gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn, was sein Grinsen nur noch größer erschienen ließ.

Es vergingen noch mehrere Minuten, bis der Regen endlich nachließ. Kurzzeitig hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ob ich mit Dylan so eine Art Filmszene abziehen sollte, indem ich ihn in den Regen gezogen und geküsst hätte.

Die ganze Rückfahrt hatte Dylan nicht wirklich geredet, aber ich beklagte mich nicht darüber. Er brauchte seine Zeit und das akzeptierte ich, wie immer. Mit Süßigkeiten hatte er sich unter seine Decke gekuschelt, während ich die Klamotten anzog, die er mir hingelegt hatte. Grinsend betrachte er mich, als ich mich zu ihm legte.

„Was gibt es das zu Grinsen?", fragte ich mit einem verspielten Lächeln, als ich mich über Dylan lehnte. „Meine Sachen stehen dir sehr gut", zog Dylan mich zu runter, aber stoppte kurz bevor unsere Lippen sich trafen.

Ein frustriertes seufzen entfloh mir, wodurch Dylan seine Augenbrauen anhob. Ich lächelte ihn nur an, denn ich wollte ihm dieses Geräusch nicht erklären. Bis jetzt war noch kein Kuss von ihm ausgegangen. Mich bis kurz vor seine Lippen zu ziehen, war das maximale, was er sich traute.

So langsam fing ich an mich zu fragen, ob ich irgendwas falsch gemacht hatte oder fehl interpretiert hatte. Ansicht ging ich davon aus, dass Dylan mir so etwas sagen würde, aber solche Wörter waren bisher noch nicht über seine Lippen gekommen. Scheiße, seine Lippen, schaute ich wieder runter.

Der Verrat in PersonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt