Kapitel 27

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Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich sah ihn erschrocken an und schüttelte den Kopf. Dann setzte ich mich auf und rutschte zur Bettkante, meine Füße berührten den Boden.
„Bitte!", fügte er hinzu. Ich zog meine Schulterblätter hoch und kniff die Augen zusammen.
„Ich hab dir seinen Namen nie gesagt...", stellte ich fest, „und das bedeutet, dass Nadine und Anna"
„Nadine und Anna haben nichts gesagt!", unterbrach er mich. Er rückte zu mir und setzte sich neben mich. Es wäre mir deutlich leichter gefallen, wenn er selbst auch Klamotten trug und nicht halbnackt nun hier sitzen würde. Ich wusste nicht, ob ich eher enttäuscht von den Mädels sein sollte oder erschrocken über das, was Mathias schon wusste.
„Hey...", murmelte er und legte einen Arm um mich, „ich mache mir Sorgen! Bitte sag wenigstens irgendwas!"
„Sag mir, was du weißt!", forderte ich ihn auf, „und woher du das weißt!"
„Ich weiß nur seine Name", erklärte Mathias ganz ruhig, „von Lasse."
„Lasse...natürlich...", seufzte ich und schüttelte den Kopf, „dieser Idiot!"
„Du darfst nicht sauer auf ihn sein! Ich habe so schlecht gespielt bei Sommerfest. Ich habe gedacht ich habe wichtige Grenze überschritten und dir weh getan. Und das war ganze Zeit in mein Kopf. Lasse war sehr sauer, er will immer gewinnen. Ich auch, aber es war zu schlecht für mich. Ich wollte entschuldigen, er hat sofort gemerkt, dass ich an anderes denke als Handball. So, ich habe ihm erzählt von diese schönen Abend das wir hatten und von was du seit dem über mich denkst...und dann, er hat gesagt es gibt einen Ex Freund und er glaubt, er hat gemacht, dass du bist unsicher..."
Ich seufzte wieder. Mathias Arm lang noch immer um meine Schulter. Ich griff nach seiner anderen Hand. Es war plausibel, was er erzählte. Ich überlegte kurz, ob ich nun sauer auf Lasse sein sollte. In jedem Fall musste ich nun vorsichtiger bei ihm sein, wenn er mit jeder Information über mich zu Mathias rennt. Wobei - eigentlich meinte er es ja nur gut. Er wollte uns helfen. Er wollte seinen Kumpel aufbauen. Das was ich verbockt hatte, wollte Lasse geradebiegen. Dafür musste ich ihm eigentlich danken...
„Chris...", holte Mathias mich aus den Gedanken, „er ist dein Ex-Freund, oder?"
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß nicht, was er war...", antwortete ich. Und das war nicht gelogen. Mathias runzelte die Stirn.
„Versteh ich nicht!", sagte er und drückte mich nochmal näher an sich heran, „wieso sagst du denn nicht was ist passiert?"
„Weil das Vergangenheit ist, Mathias! Und weil ich nicht will, dass es uns beeinflusst!", ich löste mich aus seinem Arm und drehte mich zu ihm. So konnte ich ihn besser ansehen. Wobei ich gar nicht sicher war, ob ich das wollte...
„Aber das hat es doch schon!", widersprach er. Er hatte recht. Ich seufzte.
„Es ist doch gut, so wie es ist, oder? Was ich früher gemacht habe, ist heute nichtmehr wichtig. Ich hab mich verändert."
Es war kurz still. Ich spielte nervös mit meinen Fingern, bis Mathias wieder nach meinen Händen griff.
„Denkst du vielleicht, ich würde meine Meinung über dich ändern, wenn ich mehr weiß von ihm? Von euch beide?"
Ich zuckte mit den Schultern. Dachte ich das? Vielleicht ja.
„Ehrlich?", fragte er nochmal nach. Ich nickte.
„Was ich kann anders über dich denken?", hakte er nach.
„Dass ich...ziemlich dämlich war...", murmelte ich, „dass das alles voll drüber ist und ich...gar nicht so bin wie du mich magst..."
„Aber...das passiert nicht! Du hast doch gerade gesagt, dass du hast dich verändert! So du kannst einfach sagen, was er gemacht hat! Es ist doch nicht deine Schuld!"
„Vielleicht schon...", flüsterte ich mit Tränen in den Augen. Mathias strich tröstend über meinen Arm und schüttelte den Kopf.
„Wenn er war nicht gut zu dir, dann es ist seine Schuld!"
„Er hat mit mir gespielt", antwortete ich, um das Ganze abzukürzen. Ich kam eh nichtmehr aus der Nummer raus, „er hat mein Vertrauen missbraucht."
„Wie hat er das gemacht?", hakte Mathias weiter nach. Ich schüttelte den Kopf und stand auf.
„Der Fuß!", erinnerte Mathias mich und folgte mir. Er schlang seine Arme um mich und stützte mich, kurz bevor ich aufgetreten hätte. Ich stand mit dem Rücken zu ihm und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann atmete ich tief durch. Mathias strich vorsichtig über meine Arme. Ich kniff die Augen zusammen.
„Ich will dir helfen! Ich will dich besser verstehen! Aber das ist sehr schwer für mich!", flüsterte er. Ich drehte mich langsam zu ihm um.
„Lass mich verstehen!", fügte er hinzu und griff mit beiden Händen in meine Haare. Ich liebte es, wenn es das tat. Ich nickte schüchtern. Wir gingen langsam zurück zum Bett und setzten uns wieder darauf. Ich wollte doch eigentlich gerade aus der Situation fliehen. Und jetzt? Was dachte ich jetzt? Ich wollte es ihm sagen. Wirklich. Aber sein erwartender Blick hinderte mich daran. Ich nahm oft Luft und war dann doch wieder still. Dabei war Mathias so süß und ließ mir so viel Zeit.
„Ich fange an", beschloss Mathias, „Chris ist dein Ex-Freund - oder so. Du warst verliebt in ihn. Und er hat es nicht so ernst gemeint. Und dann, er hat irgendwas gemacht, was dich ganz stark verletzt hat."
Soweit war das schonmal eine gute Zusammenfassung. Ich seufzte und nickte.
„Okay. Jetzt du!" Ich spielte mit unseren Fingern und schaute die ganze Zeit darauf, statt ihm in die Augen zu sehen.
„Es war ähnlich wie unser erster Abend...", begann ich. Mathias unterbrach unser Fingerspiel und griff nach meinen Händen. Ich sah ganz kurz hoch in seine Augen. Ich sah, dass es ihm wichtig war, zu wissen was passiert war. Ich sah, dass er mit mir mitfühlte. Ich sah, dass es ihm gerade genau so bedrückend ging wie mir. Es war, als spiegelte er mein Befinden.
„Er hat mir schöne Augen gemacht und ich hab ihn viel zu schnell an mich rangelassen..." Mathias runzelte die Stirn und überlegte. Durch die Blume verstand er wohl nicht so gut. Wie auch? Nach nur einem Jahr in Deutschland.
„Du hast sehr schöne Augen, aber ich verstehe nicht!", sagte er und lachte kurz. Es war kein unangebrachtes Lachen, im Gegenteil. Es war ein ihm unangenehmes, entschuldigendes Lachen. Er wollte es mir so einfach wie möglich machen.
„Jemandem schöne Augen machen bedeutet, jemandem den Kopf verdrehen", erklärte ich. Wieder schaute er mich verwirrt an.
„Er war sehr nett zu mir und hat so getan, als wollte er mehr als nur Freundschaft. Er wollte, dass ich mich verliebe, aber er war selbst nicht verliebt. Für ihn war es nur Spaß."
„Oh...", verstand er schließlich, „er hat absichtlich gemacht, dass du bist verliebt?"
„Ja", nickte ich.
„Und an dem Abend, er hat das gemacht?"
„Er hat das über viele Wochen gemacht, bis ich mich irgendwann mit ihm getroffen habe. Er war älter als ich und ich dachte, ich müsste mit ihm mithalten. Ich war so geblendet von ihm, ich hab mich nicht getraut nein oder stop zu sagen...ich hab...einfach...", ich stoppte kurz. Mathias strich mir über den Arm. „Einfach alles über mich ergehen lassen und mich...ziemlich schäbig gefühlt..." Mathias rutschte so nah er konnte an mich ran und umarmte mich.
„So er wollte nur Spaß in Bett und du hast gedacht, es ist ernst mit euch", stellte er nochmal fest. Ich nickte. Es blieb vorerst still zwischen uns beiden. Er strich über meinen Arm und durch meine Haare. Auch sein Herzschlag war erhöht. Das reichte nun. Er wusste, was er wissen wollte. Und ich hoffte, dass das Thema nun durch für ihn war. Zumindest ich versuchte, das und alles weitere was passiert war zu vergessen.
„Ich wollte niemals, dass du dich mit mir so fühlst!", flüsterte er.
„Ich weiß..."
„Es tut mir Leid! Aber ich verstehe so viel besser, was war los mit dir nach erste Abend!"
„Es hatte nichts mit dir zu tun. Ich wollte nur nicht, dass es so wird wie damals..."
„Wie lange ist das her?", fragte er dann und hielt mich immer noch fest in seinem Arm.
„Ist schon ein bisschen her...", antwortete ich ausweichend.
„Er war dein erster Freund?"
„Er war nicht mein Freund...", ging ich der nächsten Frage aus dem Weg.
„Und...was ist passiert danach?"
„Nichts mehr", okay, das war vielleicht gelogen. Aber ich besserte das Ganze sofort wieder auf: „Ich hab versucht, ihm aus dem Weg zu gehen." Das wiederum war nicht gelogen. Wenn er weiter fragte, verzwickte ich mich nur noch mehr in vagen Aussagen...mein Limit war erreicht. Oder überschritten.
„Wie habt ihr euch kennengelernt?"
„Er hat in Köln Handball gespielt."
„Oh...so ich sehe...es ist viel gleich...", gab er zu. Ich nickte.
„Deshalb wollte ich nicht drüber reden!", erklärte ich. Die Parallelen zwischen Chris und Mathias waren definitiv nicht mein Problem. Bis auf, dass beide Handball spielten und beide beim ersten Date übers Ziel hinausgeschossen waren, hatten sie rein gar nichts gemeinsam. Aber Mathias bot mir die beste Vorlage, das Gespräch hiermit zum Ende zu lenken.
„Ich verspreche, ich werde nicht dein Vertrauen benutzen für Spaß!", sagte er ehrlich und sah mir tief in die Augen. Ich lächelte. Es war schon wieder zu süß, wie er auf mich einging und sich Gedanken machte. Er legte seine Hand auf meine Wange und küsste mich.
„Danke, dass du hast mir das erzählt", flüsterte er gegen meine Lippen, „und das war alles?"
„Das war alles", wiederholte ich. Ach Mathias, wenn du nur wüsstest...
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Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt