Kapitel 18

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In dieser Nacht hatte ich kaum ein Auge zubekommen. Tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf. Vielleicht hätte ich Mathias nicht abweisen sollen. Aber plötzlich war alles so wie früher. Selbst wenn ich gewollt hätte: Ich habe mir geschworen, mich nicht mehr so schnell auf einen Typen einzulassen. Und ich musste mir treu bleiben. Um mich selbst zu schützen. Andererseits, auf die nun folgenden Kommentare von Lasse könnte ich wirklich verzichten! Ich hatte fast Angst davor, ihn das nächste Mal anzutreffen. Und Angst davor, ob und welche Gerüchte nun vielleicht durch die Mannschaft gingen. Fakt ist: Genau das, was ich nicht wollte ist eingetroffen. In Zukunft sollte ich einfach meinen Job machen. Und zwar ausschließlich meinen Job. Das und viel mehr beschäftigte mich die ganze Nacht. Und am Morgen ärgerte ich mich dann zusätzlich darüber, dass ich eben nicht oder nur kaum geschlafen hatte. Mein Wecker klingelte um halb sechs. Mit dem gebrochenen Fuß brauchte ich viel länger. Alleine duschen war höchst kompliziert geworden. Und Bob unten warten lassen wollte ich auf gar keinen Fall! Ich hinkte durch die Wohnung, begab mich ins Bad, zog mich an, schnappte meine Tasche und dann war auch schon 7 Uhr. Ich hoffte, dass wir zur Geschäftsstelle fahren, um mir Lasses Kommentare wenigstens am frühen Morgen noch etwas zu ersparen.
„Jaron hat eine letzte Analyse für heute morgen angesetzt", erklärte Bob, „willst du zuhören?"
„Äh, ach weißt du, ich...ich muss da nicht unbedingt hin...ich richte mich nach dir!"
„Ist dir das zu trocken?"
„Nein! Nein, gar nicht! Ich will dich oder uns nur nicht von der Arbeit abhalten!"
„Das Sommerfest steht. Ich wollte die Spieler noch darum bitten, die Werbung auf ihren Social Media Plattformen zu teilen." Ja toll, das hättest du nicht auch gestern schon machen können?! Als wir sowieso dort waren?! Also ging es zur Mannschaft ins Trainingszentrum. Deren Start war um acht und so hatten wir noch eine halbe Stunde Puffer. Eigentlich hätte ich mich darüber gefreut, mit dem ein oder anderen vorher noch quatschen zu können. Aber heute wollte ich einfach nur meine Ruhe haben. Ich hüpfte die Treppe nach oben, sammelte mich kurz und folgte Bob dann in den Raum. Als ich dort hinein kam, waren Jaron und Bob sofort in ein Gespräch verwickelt. Hans, Lasse und Mathias waren ebenfalls schon da und saßen zusammen. Ich setzte mich schließlich ohne jegliche Begrüßung in die letzte Reihe und tippte auf meinem Tablett herum, als sei es furchtbar wichtig. Als ich kurz den Blick hob, lächelte Mathias mich an, aber ich sah wieder zurück auf den Bildschirm. Der Verlauf des Abends war mir so unangenehm. Ich wäre gerne überall, nur nicht hier.
„Hey, alles okay?", stand Mathias plötzlich vor mir.
„Ja!", lächelte ich und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Nicht hier. Mit Publikum.
„Willst du nicht kommen zu uns?"
„Ich verstehe kein dänisch."
„Wir können deutsch sprechen."
„Ich muss hier noch was fertigmachen", lehnte ich ab.
„Okay. Wir können heute Abend zu mir nach Hause", flüsterte er.
„Nein, da hab ich schon was vor."
„Echt? Okay..."
„Hatte ich gestern Abend vergessen..."
„Dann morgen", beschloss er.
„Ich weiß noch nicht", flüsterte ich und vermied Blickkontakt mit ihm.
„Sicher, dass du okay bist?", fragte er und ich nickte. Er setzte sich auf den noch freien Platz neben mich und sah mich an.
„Was ist los? Wir hatten einen sehr schönen Abend oder nicht?" Ich sah runter und weg von ihm.
„Okay...es war nicht schön für dich?", fragte er dann. Ich sah einen kurzen Moment in seine Augen. Er sah enttäuscht aus.
„Lass uns später reden, okay? Alleine!"
„Ja", lächelte er, „denk nicht so viel nach, mein Mannschaft ist doch okay mit uns." Er zeigte auf den mittlerweile gefüllten Seminarraum. Ich nickte und er ging zurück an seinen Platz. Das war es doch gar nicht. Es ging doch gar nicht um seine Mannschaft...
„Was wollte denn Gidsel von dir?", fragte Bob und setzte sich neben mich.
„Ach, nur so Smalltalk-Kram."
„Alles okay mit euch?"
„Jaja, wir kommen klar!"
„Dann ist gut."

Ich dachte den ganzen Tag an das folgende Gespräch und konnte mich kaum mehr auf Jarons Analyse konzentrieren. Und ich war einfach nur froh, als die Spieler zurück ins Training gingen und wir zur Arena fuhren. Abstand tat mir nun gut. Ich trödelte extra beim Einpacken und beobachtete Mathias. Er schien auch nicht sicher, ob er nun rüberkommen oder einfach gehen sollte. Und dann entschied er sich für die erste Variante und stand wieder vor mir.
„Geh ruhig vor, ich brauche noch Zeit!"
„Ich kann warten!", lächelte er und lehnte sich an meinen Tisch.
„Das musst du nicht! Geh bitte runter! Es gucken schon wieder alle!" Er sah sich um. Viele hatten den Raum bereits verlassen.
„Hab ich was falsch gemacht?", fragte er dann und hockte sich vor meinen Stuhl, damit wir auf Augenhöhe waren. Sein intensiver Blick durchdrang mich förmlich. Und es tat mir wirklich weh, ihn so im Regen stehen zu lassen. Ich zuckte mit den Schultern.
„Später, okay?", flüsterte ich. Er nickte. Aber sein Lächeln verschwand. Und dann ging er. Es schmerzte sehr, ihm hinterher zu sehen und zu wissen, dass er sich nun den ganzen Tag Gedanken machen würde. Aber was sollte ich denn machen?!
Im Augenwinkel sah ich, dass Lasse auch verdächtig langsam einpackte und uns beobachtet hatte. Ich griff nach meinen Krücken und verließ den Raum. Und als hätte ich es nicht ahnen können: Schon ging er neben mir her.
„Hey Malia, warte, ich helfe dir!", sagte er und wollte mich scheinbar wie Mathias gestern die Treppe runtertragen. Ich wich ihm aus.
„Danke, ich komm klar!", sagte ich nur und sprang die erste Stufe runter.
„Ich weiß, aber vielleicht könnte ich"
„Was an ‚Ich komm klar' versteht ihr nur alle nicht?!", meckerte ich ihn an. Lasse zog erschrocken die Augenbrauen nach oben und hob unschuldig die Arme.
„Lasse, entschuldige...ich hab nicht gut geschlafen, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht", seufzte ich und fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht.
„Schon gut...wenn du reden willst"
„Nein...", murmelte ich und schüttelte den Kopf.
„Na gut, dann...gehe ich jetzt..."
Ich nickte. Er ging an mir vorbei die Treppe runter, ich hüpfte Stufe für Stufe hinab. Unten stand Bob und wartete auf mich. Auch von ihm erwartete ich irgendeinen Kommentar zu Lasse oder Mathias. Aber es kam nichts. Weder von Lasse - gut, den hatte ich auch direkt abgeblockt - noch von ihm. Der Tag scheint zumindest etwas besser zu sein, als angenommen. Und es wurde tatsächlich noch besser, denn an der Arena lief der Aufbau nach Plan. Es gab nur wenige Kleinigkeiten, die etwas anders platziert und organisiert werden mussten. Und Bob schien sehr zufrieden zu sein, was mich nicht weniger freute. Kurz gesagt: Meine Laune wurde besser. Und trotz des Schlafmangels war ich nun wach. Sei es die frische Luft, die Vorfreude auf das Sommerfest oder vielleicht die Nervosität vor dem Gespräch mit Mathias. Ich wusste gar nicht, was ich ihm sagen und was ich für mich behalten sollte. Warum musste es immer so kompliziert sein? Es hatte doch so gut angefangen.
„Gut, Feierabend!", lächelte Bob am Nachmittag und steuerte sein Auto an.
„Kannst du mich statt nach Hause zur Arena fahren? Ich muss noch...was klären!"
„Was willst du denn klären?" Natürlich fragte er nach.
„Die Zeiten der Autogrammstunden...", zog ich mir blitzschnell aus der Nase.
„Die Jungs haben doch die Zeiteinteilung bekommen!"
„Ich will auf Nummer sicher gehen. Das brauche ich dir nicht zu erklären, oder?", grinste ich und er lachte.
„Hast ja recht!", stimmte er zu und fuhr zum Trainingszentrum. Auf der Fahrt dorthin überlegte ich mir diverse Ausreden, warum er nicht auf mich warten sollte.
„Malia...", seufzte er, „sag mir doch einfach, dass du noch was vorhast!"
Ich erschrak kurz.
„Nicht was du denkst...ich...ich setze mich noch mit Paul zusammen, damit übermorgen auch wirklich alles glatt läuft! Ich wollte nicht, dass du denkst, ich sei mir nicht sicher!"
„Das denke ich nicht. Das ist eine gute Arbeitseinstellung! Aber macht nicht zu lange!"
Ich schüttelte den Kopf und stieg aus. Ich hörte quietschende Schuhe und Geprelle. Hatte ich nun wirklich endlich den Zeitpunkt abgepasst, in dem sie trainierten? Ja, genau so war es. Vorsichtig öffnete ich die Tür.
„Ah Malia, komm rein!", sah Jaron mich direkt. Er stand am Rand und beobachtete seine Mannschaft, jetzt kam er zu mir und hielt mir die Tür auf. „Setz dich! Wir sind gleich fertig!", lächelte er und zeigte auf die Bank hinter ihm. Es war schön, die Jungs zu beobachten. Lasse spielte im Angriff, bekam den Ball, sprang hoch und knallte den Ball ins Tor. Viktor, der im Tor stand, flog quasi hinterher.
„Sehr gut Lasse!", klatschte Jaron.
„Wow...", murmelte ich. Jaron drehte sich grinsend um.
„Hast du ihn noch nicht werfen sehen?!"
„Nicht von so nah, nein!"
Jaron lachte und schüttelte den Kopf. Ich fand's schön, die Kommunikation während des Spiel mal mitzubekommen. In den Hallen war man dafür immer zu weit weg und es war viel zu laut. Mathias und Hákun warfen je noch ein Tor, dann beendete Jaron das Training. Mathias lächelte mich zur Begrüßung an, als alle näher zur Bank kamen. Lasse zog sein Shirt aus und schmiss es im nächsten Moment gegen meinen Kopf.
„Lasse, ihh!", beschwerte ich mich und warf es ihm zurück.
„Jede andere Frau hätte sich gefreut!", lachte er und setzte sich neben mich, um was zu trinken und sich die Schuhe auszuziehen.
„Du bist einfach unglaublich!", lachte ich.
„Unglaublich was? Unglaublich gutaussehend, unglaublich heiß, unglaublich sexy..."
„Unglaublich dämlich!", korrigierte ich ihn lachend. Naja aber zugegeben: Lasse sah schon sehr gut aus. Das konnte man nicht leugnen. Aber das würde ich natürlich weder zugeben noch mir anmerken lassen!
„Jetzt geh duschen, du Nervensäge!", sagte ich dann.
„Wieso? Haben wir noch was vor? Ein Date? Soll ich nackt kommen?"
Ich schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen.
„Übertreib nicht! Komm!", antwortete Mathias für mich und zog ihn hoch. Die Halle leerte sich langsam, nur Jerry blieb noch. Er stellte sich linksaußen an den Kreis und übte Dreher und schwierige Winkel. Somit konnte ich hier warten und gleichzeitig Jerry beobachten. Jaron entschuldigte sich, dass er schnell nach Hause musste und mir keine Gesellschaft leisten konnte. Aber das war okay. Ich war ja beschäftigt. Und Paul? Den hatte ich nichtmal gesehen. Nach geraumer Zeit merkte Jerry, dass ich ihn beobachtete. Er drehte sich um und lächelte. Ich lächelte zurück.
„Willst du auch mal?", rief er mir zu.
„Ich?"
„Ja klar, komm her!", wann er mich zu sich. Na gut, es war ja niemand sonst hier, den ich störte. Ich schnappte meine Krücken und ging zu ihm rüber, dann legte ich sie an die Seite.
„Du nimmst den Ball und drehst dein Handgelenk ungefähr so", er machte die Bewegung erst in Zeitlupe, dann mit Schwung und ließ den Ball dabei los. Er landete im Tor.
„Jetzt du!", sagte er und hab mir den Ball. Ich übte die Bewegung auch einmal und versuchte es dann wie er mit Schwung. Der Ball blieb vor lauter Harz allerdings an meiner Hand kleben. Es brachte uns beide zum Lachen.
„Versuch's nochmal!" Na gut, also noch einmal.
„Mit mehr Schwung fall ich um!", entgegnete ich. Ich stand immerhin nur auf einem Bein. Er sah kurz runter.
„Ich halt dich fest!", er legte einen Arm um meine Hüfte und ballte seine Hand zu einer Faust, damit er meine Klamotten nicht mit Harz beschmierte. Ich versuchte es nochmal und stolperte. Aber Jerry hielt mich fest. Der Ball löste sich und blieb dann aber direkt am Boden liegen. Jerry hob ihn auf und gab ihn mir wieder. Er stellte sich hinter mich, legte seine Hand auf meine und führte sie nach hinten. Dann warfen wir den Ball zusammen ins Tor.
„Klappt doch!", lachte er.
„Du sag mal, was machst du eigentlich noch hier?", fragte ich, als er wieder den Ball aus dem Netz fischte.
„Ich hab heute kaum Tore gemacht...ich trainiere noch ein bisschen..."
„Jeder hat mal einen schlechten Tag!"
„Ja, aber meiner war besonders schlecht!", gab er zu.
„Kopf hoch, Jerry! Wirfst du halt beim Sommerfest umso mehr Tore!", lächelte ich. Er nickte.
„Ich geb mein Bestes!"
„Das weiß Jaron auch!"
Kurz war es still zwischen uns. Wir sagen uns nur lächelnd an.
„So", durchbrach ich die Stille aber sofort wieder, „ich will dich nicht länger stören!"
„Du störst nicht!"
„Du wolltest doch trainieren!"
„Ja schon, aber mit dir zu reden ist auch schön!"
Ich lächelte. Aber ich musste gehen. Auch wenn ich lieber hier mit ihm war, als Mathias vor den Kopf zu stoßen. Er wartete sicher schon auf mich. Ich verabschiedete mich also und ließ Jerry in der Halle zurück. Und tatsächlich, draußen stand Mathias schon und wartete. Und wie immer lächelte er, als er mich sah.
„Hi", begrüßte er mich. Allerdings ohne jegliche Anstalten mir näher zu kommen oder mich zu umarmen.
„Können wir jetzt sprechen? Zuhause? Oder hier auf der Straße?", aus seiner Betonung her wusste ich, dass die letzte Frage nicht ernst gemeint war und verdrehte lächelnd die Augen.
„Du kommst mit zu mir?", fragte er nochmal und ich nickte.
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Wie hat euch das neue Kapitel gefallen? Könnt ihr Malias Verhalten nachvollziehen? Und was werden die beiden wohl besprechen? Was sagt Mathias dazu?
Fragen über Fragen: Eure Antworten interessieren mich sehr! :)

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt