Da saßen wir also nun. Lasse und ich. In meinem Wohnzimmer. Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich hatte mich so sehr erschrocken, ihn so aufgelöst zu sehen. Was mag nur passiert sein mit Nanna? Ich war nicht sicher, ob ich wirklich hören wollte, was hier widerfahren war. Klar, ich würde sie wahrscheinlich so gut verstehen wie sonst niemand. Aber was machte das mit mir? Was machte das mit uns? Würde sie überhaupt wollen, dass ich es weiß? Es gab kein zurück mehr. Lasse saß nun hier bei mir und anstatt dass ich ihn zum Reden gebraucht hätte, brauchte er nun mich.
„Weißt du", begann er, nachdem wir uns minutenlang angeschwiegen hatten, „als ich Nanna das erste Mal gesehen habe, war ich sofort verliebt. Irgendwas in mir hat mir sofort gesagt, dass das die Frau ist, mit der ich mein Leben teilen möchte. Aber sie hat mich erst mal zappeln lassen. Und ich hatte keine Ahnung, warum. Auch wenn sie sich irgendwann auf ein Date mit mir eingelassen hatte, so war sie doch immer noch verschlossen und ich hatte wirklich Mühe, etwas über sie zu erfahren und ihr näher zu kommen. Bis ich dann ihren Opa kennenlernte. Und er war überhaupt nicht begeistert von mir. Er hat mir eigentlich in jeder Sekunde gezeigt, wie sehr er mich hasste. Nanna wollte nicht, dass wir uns kennenlernen. Und ich habe nie verstanden, warum. Je mehr ich über ihre Familie wissen wollte, desto mehr ging sie auf Distanz, bis wir uns irgendwann trennten", erzählte er. Ich erschrak und meine Augen wurden weit. Lasse und Nanna waren schon mal getrennt?
„Sie hat sich von mir fern gehalten, weil sie sich geschämt hat, mir die Wahrheit zu sagen. Ihr Opa hat sie geschlagen, als sie ein Kind war. Sie hat sich immer für ihn gerechtfertigt in ihren Erklärungen. Sie hat immer gesagt: ‚Früher war das ganz normal, er wusste es nicht besser'. Aber eigentlich hat sie sich nur geschämt. Weil sie sich nie gegen ihn gewährt hat. Erst nach seinem Tod konnte sie darüber sprechen. Ihre Familie war geschockt. Und ich...", er stockt kurz und lachte gehässig, „ich hätte mir so sehr gewünscht, dass er noch am Leben war, als wir uns wieder annäherten, um ihm all das zurückzugeben, was er ihr angetan hat."
„Lasse, das ist...schrecklich."
„Bis heute zuckt sie noch zusammen, wenn ich in ihrem Augenwinkel den Arm zu schnell hochhebe. Und das tut mir so leid. Ich kann nichts tun. Nichts ungeschehen machen. Ich kann ihr lediglich zeigen, dass ich sie liebe und beschütze, aber trotzdem fühlt es sich manchmal an, als würde sie wirklich denken, mir könnte die Hand ausrutschen. Sie weiß, das würde ich niemals tun. Und trotzdem kommt sie nicht von ihrer Abwehrhaltung weg."
„Das tut mir unglaublich Leid! Für euch beide! Ist der Familie in all den Jahren nichts aufgefallen?"
„Ihre Eltern waren oft auf Geschäftsreise. Sie hat die meiste Zeit bei ihren Großeltern verbracht." Ich nahm Lasse nochmal in den Arm und schloss die Augen.
„Ihr Opa hat sie unter Druck gesetzt, sich von mir fernzuhalten und sie bedroht, wenn sie es jemandem erzählen würde. Deshalb hat sie sich damals getrennt", wiederholte er in meinem Arm.
„Warum hat er dich nur so gehasst?"
„Ich denke er wusste, was ihm blühte, wenn ich es früher erfahren hätte...oder er wollte sein kleines Mädchen nicht teilen. Oder beides. Ich weiß es nicht."
„Es ist vorbei, okay? Und Nanna kann sich so glücklich schätzen, dich zu haben! Und Kalle erst recht! Du bist ein toller Familienvater!", tröstete ich ihn. Er lachte wieder kurz und schüttelte den Kopf.
„Ich war dir gegenüber so ein Arsch und trotzdem machst du mir Komplimente?!"
„Der Arsch war ich...als ich dich aus dem Training rausgenommen habe, um dir ins Gesicht zu lügen und dich einfach dumm dastehen zu lassen."
„Dann sind wir wohl quitt", stellte er fest und ich nickte. Wir lösten uns wieder voneinander. Lasse entspannte sich und lehnte sich zurück.
„Jetzt du!", forderte er mich auf.
„Du weißt doch schon alles...", seufzte ich. Kurz war es still. Und dann atmete ich einmal tief durch und erzählte ihm, was damals vorgefallen war. Es fiel mir etwas leichter, jetzt, wo Lasse sich geöffnet hatte. Er hörte mir einfach zu, nicht ein blöder Kommentar kam über seine Lippen. Als ich fertig war, musste auch er kurz durchatmen.
„Hui, also wenn ich das gewusst hätte...der Typ wäre jetzt nichtmehr am Leben!"
„Und du im Knast, na toll!", entgegnete ich.
„Müsstest du ab nächstem Jahr nicht mein teures Gehalt zahlen!", grinste er.
„Auch wieder wahr...dann wäre ich dich wenigstens los!", lachte ich und stieß ihn an, „keine ekelhaften Sachen, mit denen du mich ständig abwirfst und keine dummen Sprüche mehr!"
„Hey!", lachte Lasse, „komm schon, du weißt, ich mein das nicht so!"
„Ich weiß. Und irgendwie gehört es auch zu dir...auch wenn ich manchmal echt drauf verzichten könnte!"
„Um die Sprüche kommst du nicht herum, da musst du mich schon rauswerfen! Aber ich verspreche dir, ich werde niemals etwas gegen dich verwenden, was du mir anvertraut hast."
Ich nickte. Ja das wusste ich. Irgendwie. Und ich war heilfroh, dass wieder alles gut zwischen uns war. Trotzdem entschuldigte ich mich im Laufe des Abends noch gefühlte 500 Mal, bevor ich Lasse dann verabschiedete. Und dann war es Zeit. Zeit für einen Videoanruf. Zeit für meine besten Freundinnen. Auch wenn das bedeutete, dass die Nacht sehr kurz wurde. Mir liefen die Tränen die Wange hinunter, ich sah in die erschrockenen Gesichter von Nadine und Anna und klärte gleich auf: Es waren Freudentränen. Oder Tränen der Erleichterung. Positive Tränen eben. Und gleich danach: Chris würde nicht wiederkommen. Erst im Anschluss daran erzählte ich, was in den letzten Tagen und Wochen passiert war und warum ich mich so lange nicht gemeldet hatte. Und es wurde spät. Sehr spät. Aber heute war es egal. Heute war alles egal. Die Hauptsache und das Einzige, was aktuell für mich zählte war, dass alles wieder gut war. Dass wieder Harmonie herrschte. Und dass ich meine Zeit hier in Berlin wieder genießen konnte.
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Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)
FanfictionMalia ist die Neue im Orgateam rund um die Füchse Berlin. Als rechte Hand von Bob Hanning soll sie nach und nach für Entlastung sorgen und die Finanzierung und Beliebtheit des Vereins vorantreiben. Schnell knüpft sie enge Kontakte mit den Spielern d...