Kapitel 42

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„Guten Morgen Lasse!", begrüßte ich ihn strahlend, als ich am Trainingszentrum ankam. Die Jungs hatten Abschlusstraining vor der Auswärtsfahrt zum Bergischen HC.
„Guten Morgen, ist was passiert?", fragte er leicht irritiert und löste sich aus unserer Umarmung.
„Nö, wieso?"
„Du hast so gute Laune!"
„Sie hat morgen mal frei von dir, so das ist ein guter Grund!", lachte Mathias. Lasse schubste ihn leicht zur Seite.
„Oh man das hätte ich auch gerne mal!", stöhnte Paul und stellte sich zu uns.
„Hey!", beschwerte sich Lasse, „wenn das so ist, werde ich morgen nicht einen Assist spielen! Nicht einen!"
„Soll ich Bob gleich Bescheid sagen, dass du keinen neuen Vertrag willst, oder...?", lachte Paul.
„Was seid ihr alle so frech geworden?!", beschwerte Lasse sich.
„Mach dir nichts draus", sagte ich, „sie wissen du bist unersetzlich!"
„Erst werde ich herzlich begrüßt, jetzt krieg ich auch noch Komplimente. Mathias, was hast du mit ihr gemacht?!"
Mathias hob unschuldig die Arme.
„Ich erinnere mich noch an Montag...", seufzte Lasse, „was war denn los?"
„Völlig egal, Montag war Montag und Vergangenheit. Jetzt ist wieder alles gut."
„Lebst du jetzt mit 25 Jahren nochmal deine zweite Jugend aus?", lachte Fabi.
„Wieso eigentlich nicht? Ich bin zu allen Schandtaten bereit!", lachte ich zustimmend. Ich hatte tatsächlich viel verpasst. Auch wenn Fabi das nicht wissen konnte.
„Na gut, dann", begann Lasse und legte einen Arm um meine Schulter, „lass uns über meine Vertragsverlängerung reden!"
„Du machst dir nicht ernsthaft Gedanken über deinen auslaufenden Vertrag?", fragte ich nach.
„Also...ich würd schon gerne noch bleiben...aber vor allem muss ich planen können. Ich hab ein kleines Kind und"
„Woh-woh-woh- langsam! Soweit ich informiert bin, hat Bob dir schon ein Angebot gemacht."
„Zu gleichen Konditionen wie bisher", ergänzte Lasse.
„Ja? Und?"
„Naja, ich hab jetzt ein Kind und es wird alles teurer und"
„Du willst mehr Geld!", stellte ich fest.
„Wir können ja mal drüber reden...nur du und ich und...ein nettes Essen?"
„Lasse, du willst mir doch nicht erklären, dass du mit deinem Geld nicht klarkommst! Ey, du verdienst mehr als", ich stoppte. Nein. Das war geheim.
„Mehr als wer?"
„Du weißt du bist schon oben mit dabei", umschrieb ich, „als Profi verdienst du mehr als jeder normale Mensch!"
„Komm schon, Malia! Hat dir Bob überhaupt von meinem Vorschlag erzählt?"
„Lasse, wenn du das durchsetzen willst, musst du zum THW gehen! Oder ins Ausland!"
„Kiel wäre zumindest schonmal näher an meiner Heimat...", provozierte er.
„Weißt du", sagte ich und nahm seinen Arm von meiner Schulter, „auf dem Niveau diskutiere ich nicht mit dir."
„Versteh schon, wenn's um Geld geht, hört die Freundschaft auf..."
„Sag mal, hörst du dich gerade selbst reden?!"
Seine Teamkollegen sahen schweigend zwischen uns hin und her. Es muss von außen ein witziges Bild gewesen sein, aber Lasse nervte.
„Leute, das besprecht ihr lieber unter vier Augen!", unterbrach Paul uns, bevor ein Streit entstand.
„Fein", antwortete ich, griff Lasses Handgelenk und zog ihn mit mir mit ins Trainingslager. Wir gingen in den kleinen Besprechungsraum und ich schloss die Tür.
„Hinsetzen!", sagte ich streng. Lasse rollte die Augen, aber setzte sich dann auf den Stuhl. Ich nahm mir ebenfalls einen und setzte mich vor ihn.
„Was sollte das denn bitte gerade?!", fragte ich aufgebracht.
„Naja...ich weiß ich bin wichtig für die Mannschaft...also müsst ihr mir schon ein Stück entgegenkommen."
„Man Lasse, das meine ich doch gar nicht! Was fällt dir ein, solche Angelegenheiten vor den anderen anzusprechen?! Warum kommst du nicht zu mir und wir sprechen alleine darüber!"
„Hat sich so angeboten..."
„Und was soll ich da bitte drauf antworten?! Ja klar Lasse, du kriegst das Doppelte, haben wir halt kein Geld mehr für die anderen, scheißegal!"
„Ich will doch gar nicht das Doppelte."
„Und dann sagst du ‚Bei Geld hört die Freundschaft auf'?! Also wenn du glaubst ich würde mich nicht für dich einsetzen, dann bin ich echt enttäuscht von dir!"
„War nicht so gemeint...sorry...", murmelte er kleinlaut.
„Das hat mich echt verletzt", gestand ich und stand auf. Ich drehte ihm den Rücken zu.
„Das sollte cool rüberkommen...war's aber nicht.."
„Nee, war's nicht! Wenn du wüsstest, wie lange ich mit Bob und Kretzsche schon über deinen neuen Vertrag diskutiert habe!"
„Wirklich?"
„Ja, du Idiot! Ich will, dass du bleibst! Du bist mir nicht egal!" Lasse stand auf, stellte sich hinter mich und strich über meine Arme.
„Tut mir Leid!", flüsterte er erneut. Da war er. Der sensible Lasse. Wenn er doch bloß nicht immer diesen Macho vorschieben würde. Ich mochte ihn so noch viel mehr.
Ich drehte mich langsam um. Er nahm mich in den Arm, ich erwiderte seine Umarmung. Lange standen wir einfach nur so Arm in Arm da.
„Wieso musst du immer so übertreiben?", murmelte ich in seine Schulter. Er löste sich von mir und sah mir in die Augen.
„Weil es leichter für mich ist, wenn alle denken, sie könnten mich nicht verletzen. Dann versuchen sie es gar nicht erst."
„Wurdest du denn mal so verletzt, dass du der Meinung bist, du brauchst eine Schutzmauer um dich herum?"
„So wie du?", grinste er, „also zumindest habe ich keinen nervigen Ex-Freund!"
„Du machst es schon wieder...", stöhnte ich und löste mich von ihm, „den richtigen Lasse mag ich viel lieber...auch wenn ich ihn kaum kenne." Ich ging an ihm vorbei und griff nach der Türklinke.
„Malia warte!", sagte er. Ich drehte mich um.
„Ich bin einfach vorsichtig."
„Ja, das bin ich auch", antwortete ich.
„Ich hab mir mein Image hier nicht ausgesucht! Ich kam von Barcelona nach Berlin, ich konnte kein Wort deutsch und hatte sofort den Champions-League Stempel aufgedrückt. Ich hab Tattoos und ich gucke grimmig, wenn ich mich konzentriere. Tja, und da war es, mein Bad Boy Image...ich war sprachlich überhaupt nicht in der Lage, jedem zu erklären, wie ich eigentlich bin! Und dazu hatte ich irgendwann auch keine Lust mehr. Hab immer nur dem Druck stand gehalten ‚Ach, der kommt aus Barca, der ist Weltmeister, der macht das schon'. Hast du die Rückrunde letzte Saison gesehen?! Ich brauche diese Mauer. Um mit dem Druck klarzukommen. Und mit der Kritik."
Ich sah ihn erschrocken an. So rein und ehrlich war er wohl selten. Ich erinnerte mich an mein Gespräch mit Nanna. Das war also der Mann, den sie geheiratet hatte. Viel sensibler, viel weicher, als ich ihn kennengelernt hatte. Und viel schöner. Kurz war es still zwischen uns. Lasse kratzte sich am Hinterkopf und vermied Blickkontakt.
„Danke Lasse. Für deine Ehrlichkeit", ich griff nach seiner Hand. Er lächelte müde. Es war das erste Mal, dass er mir fast schüchtern vorkam. Lasse Andersson war unsicher - das passte schon von Grund auf nicht zu ihm.
„Und...tut mir Leid", ergänzte ich.
„Was tut dir Leid?"
„Auf Mathias und dir liegt die meiste Last und der größte Druck in dieser Saison. Tut mir Leid, dass ich dir den Druck nicht nehmen kann!"
Lasse nahm Luft, um darauf zu antworten, als sich hinter uns ganz langsam die Tür öffnete.
„Mathias", stellte Lasse fest.
„Alles okay mit euch?", fragte er vorsichtig und trat ein, blieb aber im Türrahmen stehen.
„Ja, alles gut. Wir kommen gleich."
„Wir sind eigentlich fertig oder?", korrigierte Lasse mich und ging auf die Tür zu.
„Äh", stammelte ich.
„Wir wollten testen wie lange du uns beide alleine lässt", sagte er und schlug Mathias auf die Schulter. Dann sah er auf die Uhr, „zehn Minuten, Respekt! Ich hab schon schneller hübsche Frauen abgeschleppt. Du scheinst Vertrauen zu haben!"
„Lasse!", ermahnte ich ihn.
„Wir hätten längst nackt sein können, aber naja...vielleicht beim nächsten Mal!", sagte er noch, bevor er grinsend aus der Tür verschwand. Ich stand kurz mit offenem Mund einfach nur da.
„Maaan!", fluchte ich, fuhr mir durch die Haare und drehte mich kurz um.
„Ich weiß, es ist nur Spaß", sagte Mathias. Ich konnte von Glück sagen, dass er wusste, wie Lasse tickte und dass er sich keine Sorgen machen brauchte.
„Das meine ich nicht...", stöhnte ich, „ich hatte ihn fast, Mathias..."
Mathias runzelte fragend die Stirn.
„Den richtigen Lasse. Den, der hinter diesem ganzen Macho-Gehabe steckt..."
Ich machte es mir nun zur Aufgabe, ihn zu knacken. Zumindest hoffte ich das.
„Mach dir nicht so viel Gedanken über Lasse. Er meint es nicht so", sagte Mathias.
„Ich glaube einfach es würde ihm guttun, wenn er"
„Malia, glaub mir: Hier auf unsere Arbeit, er will es so. Du musst öfter mit ihm privat sein, um ihn kennenzulernen."
„Es ist echt ne harte Nuss..."
„Da kenne ich noch jemand", lächelte er. Ich lachte. Er hatte ja recht. Mathias legte einen Arm um mich und wir verließen das Trainingszentrum.
„Hast du Hunger? Wir könnten was essen gehen!"
„Ich würde lieber gehen nach Hause."
„Okay...zu dir oder zu mir?", lachte ich bei dieser Klischee-Frage.
„Zu mir. Du kannst kommen in zwei Stunde!"
Ich stoppte kurz.
„Ich komme dich abholen und du schickst mich heim?", fragte ich irritiert.
„Es ist für ein Überraschung!", erklärte er, „muss ich noch vorbereiten."
„Du musst doch nicht"
Er unterbrach mich mit einem Kuss.
„Ich freue mich sehr, dass du bist hier für mich. Aber ich möchte das wirklich gut machen, also..."
„Schon gut, ich gehe spazieren und genieße das schöne Wetter! Wir sehen uns später!" Ich entfernte mich von ihm und steuerte die Richtung des Parks an, doch er zog mich nochmal zurück.
„Wirklich okay?", fragte er nochmal nach und ich nickte.
„Ja! Jetzt hau schon ab!", bestätigte ich. Mathias küsste mich nochmal und verschwand dann in die andere Richtung. Schon seltsam, was hatte er wohl vor? Eine Überraschung? Für mich...was konnte das sein? Und warum hatte er mir das nicht schon vorher gesagt? Ich platzte fast vor Neugierde. Das war auch wahrscheinlich der Grund, warum ich nicht durch Berlin schlenderte, sondern hetzte. Meine kurzen Beine machten doppelt so große Schritte wie sie normalerweise taten. Die zwei Stunden würden sich ziehen, das war mir nun schon klar...

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt