Kapitel 45

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„Verdammt noch mal, das gibt's doch nicht!", hörte ich Bob fluchen, als ich am nächsten Tag ins Büro kam.
„Ist was passiert?", fragte ich. Als ich in sein Büro eintrat, sah ich das nicht nur er, sondern auch Kretzsche wie wild das Büro auf den Kopf stellten.
„Wir suchen Unterlagen", erklärte Kretzsche kurz, bevor er sich wieder dem Aktenstapel vor sich widmete.
„Gut, dann helfe ich! Was genau suchen wir denn?"
„Anderssons Vertrag", antwortete Bob knapp, und auch er steckte wieder den Kopf zwischen die ganzen Papierstapel. Nie war es hier so unaufgeräumt wir jetzt gerade.
„Äh...Lasses Vertrag? Wieso?", fragte ich.
„Damit wir ihn einladen und das ganze spruchreif machen können. Das wolltest du doch so!", erklärte Kretzsche.
„Ich hab ihm den Vertrag schon gegeben."
Bob ließ vor Schreck eine Akte fallen, die wenige Sekunden später auf dem Boden aufprallte.
„Wie bitte?!", fragte er erschrocken.
„Naja, ihr habt mir gestern die Mappe gegeben und ich dachte, ich sollte sie an Lasse weitergeben. Ich hab ihn beim Training besucht."
„Du hast ihm einfach den Vertrag gegeben?! Mensch, Malia, dafür vereinbart man noch einen Termin! Das macht man nicht zwischen Tür und Angel! Und außerdem brauchen wir für die Presse und Social Media Fotos von der Unterzeichnung!", erklärte Kretzsche. Mir lief es eiskalt den Rücken runter. Ich hätte Lasse den Vertrag gar nicht geben dürfen? Kurz war es still. Ich nutze diese Stille um zu überlegen. Sollte ich mich entschuldigen? Oder war es einfach nur falsch kommuniziert von ihrer Seite? Woher sollte ich denn ahnen, dass ein fertiger Vertrag nicht vom Spieler unterzeichnet werden soll? Das macht doch gar keinen Sinn! Was sollte der Vertrag denn hier noch wochenlang auf dem Schreibtisch versauern?! Außerdem wollte ich Lasse beweisen, dass er mit seiner Anschuldigung falsch lag. Ich wollte ihm beweisen, dass ich mich sehr wohl für ihn einsetzte, wann immer es ging. Stop – ich vermischte gerade berufliches und privates. Lasse war ein Freund, aber hier bei den Füchsen war er mir untergestellt. Er hatte mich vielleicht auch ein Stück weit manipuliert. Nicht mit Absicht. Aber ich hatte mich manipulieren lassen. Von meinen Gefühlen zu ihm als Person und nicht als Spieler. Ich legte geschockt die Hände auf mein Gesicht.
„Was hab ich getan?", stöhnte ich dann.
„Wir brauchen den Vertrag zurück", forderte Bob. Ich sah an. Wie sollte ich den Vertrag zurückbekommen ohne mich vor Lasse komplett zu blamieren? Ohne ihn zu sagen, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Es ging nicht.
„Wirklich?", fragte ich vorsichtig.
„Ja, wirklich Malia!", sagte Bob streng.
„Es tut mir Leid!", entschuldigte ich mich dann doch. Es war angemessen. Es war ein Fehler von mir. Dabei hatte ich es doch nur gut gemeint.
„Das ist ja nichts, was man nicht wieder ausbügeln kann. Sag Lasse einfach, an den Konditionen ändert sich nichts, er soll einfach noch mal zu einem Termin vorbeikommen", besänftigte Kretzsche die Situation.
„Na gut..", seufzte ich. Tja, wollt ihr raten, wie der Rest meines Arbeitstages war? Ich mache mir so große Vorwürfe. Erst lief alles rund bei den ganzen Sponsorengesprächen, dann bekomme ich nicht nur viel Lob von Bob, sondern auch noch sein Vertrauen in Sachen finanzielle Planung mit Lasse und dann zerstöre ich mir gleich diesen Fortschritt wieder. Ich wurde etwas unsicherer. Jeder einzelne Mausklick wurde von mir zweimal kontrolliert. Noch ein Fehler und Bob würde mich lynchen. Ich konnte froh sein, dass er nicht schon längst ausgerastet ist. Das hatte ich bestimmt auch Kretzsche zu verdanken. Und ich schämte mich. Jedem hier war klar, dass ich unprofessionell gehandelt hatte. Weil Lasse ein Freund war. Weil ich ihn glücklich machen wollte. Und das bedeutete vielleicht, dass auch wenn Bob und Kretzsche ihre Einwilligung für die Vertragskonditionen, die Lasse gefordert hatte, gaben, ich hier trotzdem nicht den Verein an erster Stelle gesehen hatte, sondern die private Person Lasse Andersson. Das war ein großer Fehler. Und das könnte Bob mir unter Umständen noch ewig vorhalten. Gab das nun schon einen Bruch in unserem Vertrauen? Ich hoffe nicht. Ich wusste nur, dass mir das Gespräch mit Lasse super schwerfallen würde.

Nach der Arbeit schlurfte ich quasi zur S-Bahn und dann zur Trainingshalle. Das Training der Jungs war bereits beendet, aber Lasse würde ich wohl noch erwischen, er kam immer als letztes raus. Ich näherte mich immer mehr der Halle. Viele Jungs standen noch in Gruppen zusammen und quatschten. Auf einer Bank in der Sonne saß eine junge Frau. Rechts von ihr ein Kinderwagen. Als sie mich sah, winkte sie freudestrahlend. Es war Nanna.
„Hey, wie schön, dich wiederzusehen!", begrüßte ich sehe und nahm sie in den Arm.
„Finde ich auch! Vielen, vielen Dank für deine Einsatz mit Vertrag! Lasse hat erzählt!"
„Oh, hat er das...", murmelte ich.
„Er war sehr happy gestern!"
„Hmm..."
„Alles in Ordnung?"
„Ja, ich muss nur...ich muss kurz nochmal mit ihm sprechen."
Und er kam auch kurze Zeit später. Freudestrahlend wie schon gestern Abend umarmte er Nanna, dann mich und nahm Kalle dann aus dem Kinderwagen in seinen Arm. Er gab ihm einen Kuss auf den Kopf und lächelte.
„Du...äh...Lasse, können wir kurz reden?"
„Klar, was gibt's?"
„Ähhh...alleine? Es ist...ne interne Vereinssache..."
„Okay...", er runzelte die Stirn und gab Kalle an Nanna weiter.
„Tut mir Leid, es ist nichts gegen dich!", sagte ich zu ihr.
„Schon gut!", lächelte sie. Sie war wirklich einfach nur super nett.
Wir gingen zurück zur Halle und in den kleinen Besprechungsraum, in dem wir auch gestern schon standen. Tür zu. Durchatmen. Und schnell wieder raus aus der Situation.
„Lasse, ich brauche den Vertrag noch mal zurück...", sagte ich schnell und sah zu Boden.
„Was? Wieso?"
„Ich hab da was falsch verstanden...a-aber keine Sorge, an den Konditionen ändert sich nichts! Es geht nur um den offiziellen Rahmen..."
„Hä?"
„Ja, du weißt doch, wie das ist! Man setzt sich an einen Tisch, man redet und dann unterschreibt man während 1000 Fotos von einem gemacht werden...tja und das...ist eben nicht passiert. Noch nicht. Deshalb brauche ich bitte den Vertrag nochmal zurück!"
„Du kannst ihn doch noch mal ausdrucken."
„Ja, aber... du darfst ihn trotzdem noch nicht haben..."
„Warum?"
„Ach Lasse, warum? Warum...keine Ahnung! Fakt ist, ich hätte heute Morgen fast richtig Ärger bekommen! Also, bitte hilf mir jetzt und gib mir den Vertrag wieder!"
„...Nein", antwortete er und runzelte die Stirn.
„Wie? Nein?"
„Nein. Bob wird wieder irgendwas ändern!"
„Das wird er nicht! Er hat mir sein Ehrenwort gegeben! Lasse bitte! Du kannst mich nicht so hängen lassen!"
Lasse stöhnte.
„Ich will da lieber auf Nummer sicher gehen..."
„Lasse, das kannst du nicht machen! Ohne mich gäbe es den Vertrag gar nicht. Ich hab was für dich getan und jetzt tust du was für mich. Das bist du mir schuldig! Und außerdem läuft das in einer Freundschaft so oder nicht?"
Lasse stöhnte wieder und kratzte sich am Hinterkopf.
„Hier geht's doch nicht um Freundschaft, Malia..."
„Lasse bitte!", versuchte ich es noch einmal. Ich griff nach seinen Armen und schüttelte leicht daran. „Hilf mir, bitte!"
„Na schön, aber...es bleibt der gleiche Vertrag?"
„Versprochen!", sagte ich und sah ihm tief in die Augen.
„Gut. Ich hab ihn zu Hause. Du kannst mitkommen."
„Danke!", lächelte ich und umarmte ihn, „das war total doof von mir, ihn mitzunehmen und dir zu geben! Ich hab nicht nachgedacht! Ich dachte, ich soll das so machen. Ich wollte dir unbedingt eine Freude machen. So schnell wie möglich und nicht erst, wenn die beiden einen Termin vereinbart haben. Ich hätte dir einfach nur stecken sollen, dass mit den Konditionen alles in Ordnung geht..."
„Ja wahrscheinlich..."
„Bist du sauer?"
„Nein, sauer nicht. Aber ich mache mir natürlich Gedanken, ob das alles gut geht..."
„Das wird es!", versicherte ich ihm nochmal.
Als wir zurück zu Nanna gingen, war auch Mathias aus der Halle gekommen. Er saß neben ihr auf der Bank und die beiden unterhielten sich. Als er mich sah, kam er lächelnd auf mich zu und küsste mich. Ganz selbstverständlich. Ich muss zugeben: Hier auf dem Trainingsgelände sah ich schon nochmal nach rechts und links, ob uns jemand beobachtet hatte. Nicht, weil es mir unangenehm war. Nur die Tatsache, dass die Jungs nur das wussten, was sie sich selbst dachten und keiner von uns ihnen erzählt hatte, dass wir ein Paar waren, machte es seltsam.
„Können wir los?", fragte Mathias und legte einen Arm um mich.
„Ich muss noch kurz mit zu Lasse und etwas abholen."
„Ja super, dann machen wir einfach ein schön Abend zu viert!", beschloss Nanna.
Und so war es dann auch. Wir bestellten Essen, denn kochen hätte nun etwas zu lange gedauert und die Jungs hatten Hunger nach dem anstrengenden Training. Es wurde viel gelacht und Lasse überwand meiner Auffassung nach sein Misstrauen mir gegenüber, als er mir schließlich die Mappe mit dem Vertrag zurückgab.
„Was macht ihr da?", fragte Nanna.
„Bob macht Stress. Aber es bleibt alles so, wie es ist!", versicherte ich auch ihr. Er musste einfach dabei bleiben. Er hatte es versprochen. Und Kretzsche auch.
„Vielleicht, wir können morgen was unternehmen, wenn Jungs sind bei Training?", schlug Nanna schließlich vor.
„Ja gerne!", nickte ich.
„Cool. Dann Treffen bei Füchse Town."
Ich freute mich auf den Tag mit Nanna. Ich mochte sie sehr. Und sie schien mich auch zu mögen. Ich nahm mir fest vor, sie zum nächsten Auswärtsspiel zu mir nach Hause einzuladen.
Als der Abend später und später wurde, verabschiedeten sich Mathias und ich von den beiden. Es dämmerte bereits, als wir durch die Straßen Berlins gingen. Mathias legte einen Arm um meine Schulter.
„Also...", begann er, „zu dir oder zu mir?"
Ich lachte.
„Jetzt lernst du schon deutsche Anmachsprüche?!"
„Wenn's hilft", antwortete er und zuckte mit den Schultern.
„Dann zu mir!"

Traum und Wirklichkeit (Mathias Gidsel | Füchse Berlin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt